B. Born

die gekachelte Sonne


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Gerburg deine Zwischenprüfung?“

      „Diese Hippieschlampe! Die halt‘ ich nicht aus.“

      „Unsinn. Sie hat echt was auf dem Kasten. Außerdem mag sie kreative Leute. Sie kennt den ‚Knacks‘ und hält ihn für gut. Bei ihr hättest du leichtes Spiel.“

      „Nee, studieren ist nichts für mich. Darüber bin ich mir klar geworden. Reine Zeitverschwendung. Ich geh‘ auf Sozi und damit basta! Hab‘ ich mir genau ausgerechnet. Mit Wohngeld und einigen verkauften Bildern, kann ich gut über die Runden kommen. Ab jetzt werde ich nur noch malen und schreiben!“ Verwirrt suchte Peter nach Argumenten, um ihn umzustimmen, als Tobias sagte: „Jetzt musst du mich übrigens rausschmeißen. Ich fahr‘ in die Pension, bade, bleche und düse zurück nach Hannover.“

      Zwei Wochen lang besuchte Peter Philosophie- und Germanistikvorlesungen. Er hatte keine Verabredungen und redete mit niemandem, selbst die Einkäufe und Erledigungen verliefen ohne Konversation. Abends beim Kochen befürchtete er, er könne das Sprechen verlernen oder Kieferstarre bekommen. Deshalb las er laut oder sang. Nachts ging er regelmäßig in die selbe Kneipe in der Nähe. Eine große Halle in der vereinzelte Männer Pool Billard spielten. Dort schrieb er, bis sie zumachten, fröstelnd an einem Ecktisch Geschichten.

      An einem Montag sieben Uhr morgens klingelte es Sturm und Peter riss die Wohnungstür auf.

      „Koohlen“, dröhnte es von unten. Er sprang in seine Jeans, streifte ein Hemd über und raste mit den Kellerschlüsseln die Treppen hinunter. Der Lastwagen stand in der zweiten Reihe.

      „Wo geht’s lang, Meister? Schließ mal uff“, sagte ein kleiner Mann. Er war so breit, wie er groß war und mit Kohlenstaub bedeckt. Auf seinem Rücken lastete die erste Kiepe, mit einem Lederriemen hielt er sie in Position. Beim Runtergehen in den Keller bückte sich Peter weit herunter, denn an den scharfen Kanten der Rohre, die die Decke entlang liefen, hatte er sich schon öfter den Kopf blutig gestoßen. Der letzte Verschlag war seiner. Er ertastete das Vorhängeschloss und zündete drei Kerzenstummel an, die er mit flüssigem Wachs auf eine Holzkante klebte. Der Kohlenmann hatte währenddessen die erste Ladung Briketts nach hinten abgeworfen und war wieder verschwunden. Ein zweiter kleiner Mann mit Briketts erschien. Auch er musste sich in dem niedrigen Gang nicht bücken.

      „Dunkel hier“, schnaufte er unzufrieden und warf seine Ladung ab.

      „Äh, ich wollt‘ die Briketts gestapelt“, sagte Peter.

      „Geht nicht“, erwiderte der und schlurfte zum Ausgang.

      Peter ging geduckt hinter ihm her. Draußen atmete er die frische Luft.

      „Ich wollt‘ die Briketts gestapelt, sonst passen sie mit dem Holz zusammen nicht rein“, rief er dem ersten Kohlenträger zu, als er die nächste Kiepe heranschleppte.

      „Ohne Licht machen wir das nich. Keene Sorje! Wir kriegen das schon rinn“, sagte er.

      Frierend zog Peter eine Kladde hervor und machte, so deutlich, dass die beiden Männer es registrieren mussten, für jede Kiepe einen Strich.

      Wenn gerade keiner vorbeikam, druckste er im Hof herum, befingerte neben den Mülltonnen eine Glühbirne auf einem Stiel, öffnete eine der Tonnen und ließ entsetzt über den Gestank, den Deckel wieder zufallen. Sein Blick wanderte durch die Fensterreihen. Keiner der Vorhänge bewegte sich. Bei Beate war das dunkelblaue Tuch vor, was bedeutete, dass sie noch schlief.

      Die hellbraunen Fassaden drückten sich nach oben hin zusammen, bis der bleischwere Himmel anfing. Der Schneeregen zirkelte genau in diese Schlucht.

      Die Kohlenmänner fingen an, unter der Last zu stöhnen. Eine schwarze Matschspur zog sich durch den Hausflur bis zum Keller.

      Nach 27 Kiepen brachte einer der Männer einen Holzsack.

      „Hey, das waren erst 27! Es müssen aber 34 sein“, rief Peter ihm zu.

      „Hast‘e nich‘ richtig jezählt. Ich wess doch, was ich rinnjeschleppt hab‘. Guck doch auf‘n Laster! Da is nur noch ne Tonne für den nächsten Kunnen“, schnaufte er und verschwand im Keller. Sein Kollege kam gleich hinter ihm her, auch mit Holz und überreichte Peter eine eingerußte Rechnung.

      „He, das könnt ihr doch nicht machen! Das waren nie und nimmer eineinhalb Tonnen!“ sagte Peter verzweifelt.

      „Bezalst‘e nun oder was?“ fragte der erste, der mit dem leeren Sack zurückkam.

      Peter überreichte 390 Mark. Der Kohlenträger zählte akribisch die Scheine und verdreckte sie dabei.

      „Und gibt’s noch was für die Schinderei?“ forderte er anschließend.

      „Ich denk gar nicht dran“, wehrte Peter ab.

      „Dast‘e nich‘ zählen jannst is deen Problem, wir haben trotzdem nen Rückenschaden und werden die Rente nich‘ erleben.“ Der Andere trottete gleichgültig an ihnen vorbei und kletterte auf einen der grauen Plastiksitze im Lastwagen, wo er sich eine Zigarette drehte. Resigniert händigte Peter auch noch einen Zehn-Mark-Schein Trinkgeld aus. Ohne einen Dank warf der Mann die leeren Holzsäcke hinten auf die Ladefläche und stieg auf der Fahrerseite ein.

      Peter schloss die Haustür. Als er den Eisenhaken, der die Hoftür offen hielt, aushängte, glitt ihm die Tür im Durchzug aus der Hand und knallte zu, da die Hauswartsfrau mit ihren Einkaufstaschen die Haustür wieder aufgedrückt hatte.

      „Das sieht ja wüst hier aus“, sagte sie unfreundlich. „Das müssen Sie aber alles wieder wegmachen, Herr Baldinger.“

      „Ja, ja, gleich“, erwiderte Peter.

      Vor seinem Verschlag im Keller glimmten in dem Briketthaufen schwach die Kerzen. Peter grub sie aus, befestigte sie neu und stapelte die Briketts an einer Wand hoch bis zur Kellerdecke. Als er endlich fertig war, holte er den Besen, das Kehrblech, einen Eimer mit Wasser und den Scheuerlappen. Oberflächlich beseitigte er den Kohlenmatsch.

      Zurück in der Wohnung wusch er erst das Geschirr und dann sich selbst am einzigen Waschbecken in der Küche, heizte den Kachelofen neu an, frühstückte und sah ‚Notruf 110‘ auf DDR1.

      Dann rief Sabrina an. Sie fragte, ob er nicht Lust hätte, sie in ihrer neuen Wohnung besuchen zu kommen. Sie wollte natürlich, dass er beim Renovieren helfe, aber er konnte diese Gelegenheit, unter Leute zu kommen, einfach nicht ausschlagen.

      Er machte sich fertig und brach auf. Der Schneeregen hatte sich in dichtes Schneegestöber verwandelt.

      Vor dem Haus von Gogo und Sabrina an der U-Bahn-Station Möckernbrücke staunte er über die tolle Lage und den stattlichen Altbau. Auf einem Stück Kreppklebeband an ihrer Tür standen ihre Namen gekritzelt. Niemand begrüßte ihn an der Tür, die angelehnt war. Nach einer Weile trat er einfach ein. Die Dielen knarrten wie verrückt. Ein langer Flur ohne Licht führte weit nach hinten und mündete in ein riesiges, mindestens 50 Quadratmeter großes Zimmer. In dessen Mitte hockte Gogo vor einem Zelt. Auf einem Stövchen vor ihm stand eine Porzellankanne mit Rosenmotiv. Sabrina lehnte in der hinteren Ecke des Raums am Kachelofen, der vier Meter fünfzig hoch fast an die Decke stieß. Neben ihr stand ein graues Telefon an einem endlosen, zum Fitz verdrehten Kabel und an der Wand ein monströses, dunkelbraunes Sofa und daneben zwei Sessel. Auf vielen Tellern brannten fette Kerzen. Sie strahlten hell, denn, obwohl es ein Uhr mittags war, gab es praktisch kein Tageslicht, denn das einzige kleine Fenster lag hinter einem Mauervorsprung und nur ein schmaler heller Streifen schaffte den Weg um diese Ecke.

      Gogo hatte einen Schlafsack über die Schultern gelegt.

      „Oh, hi“, grüßte er, überrascht tuend, „Tee?“

      „Klar, wenn’s kein Yogi-Tee ist“, erwiderte Peter zynisch. Aber Gogo fand die Bemerkung gar nicht komisch. Er verzog sauer sein Gesicht und schenkte einen Becher voll.

      „So, das ist also eure neue Wohnung! Gigantisch!“ versuchte Peter ein Gespräch zu beginnen, der den Empfang reichlich unterkühlt fand - immerhin war er zum Wändestreichen gekommen.

      „Irre