Stefan Mitrenga

Goschamarie Der letzte Abend


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heute musste er einige Zeit im Freien verbringen und die Temperaturen waren, der Jahreszeit entsprechend, kühl. Mit einem Schulterzucken verwarf er alle Bedenken und legte die Lederhose aufs Bett.

      „Na also“, sagte Liesl kurz darauf zufrieden, nachdem sie Walter sorgefältig gemustert hatte. „Wird vielleicht ein bisschen kühl untenrum, aber du bist ja nicht so ein Verfrorener.“

      Sie gab ihm einen schnellen Kuss und ging durch die Küchentür hinaus.

      „Ich mach mich dann auch mal fertig“, rief sie über die Schulter. „Bin gleich wieder da!“

      „Was für ein Theater wegen einem Spatenstich“, knurrte Balu, Walters Wolfspitz, aus seinem Hundekorb heraus. Seine Freundin Kitty, die Tigerkatze, die eigentlich zur Wirtschaft gehörte, tretelte genüsslich in seinem Fell. „Lass sie doch. Menschen lieben sowas. Hauptsache, es gibt einen Grund zu feiern.“„Mir ist gar nicht nach feiern. Da bin ich ganz Walters Meinung“, raunte Balu. „Schon wieder Baustelle. Lärm, Dreck … alles vor der Haustür.“„Na ja“, beruhigte Kitty, „diesmal gibt es wenigstens keine neuen Nachbarn.“

      Es klingelte an der Haustür.

      Balu bellte zweimal und Walter beeilte sich zu öffnen.

      „Hallo, mein Lieber. Sind Sie bereit? Ich dachte, ich hole Sie ab.“

      Vor der Tür stand Eugen Heesterkamp. Der ehemalige Gymnasiallehrer (Oberstudienrat AD, Fächer: Biologie und Sport) hatte sich in einen schicken Anzug gequetscht, der ihm aber kaum mehr passte.

      „Da sprengt es ja gleich die Knöpfe weg“, feixte Walter und zeigte grinsend auf Eugens Bauch.

      Noch vor kurzem hatte Eugen keine Gelegenheit ausgelassen auf Walters Fülle hinzuweisen, doch nun hatte sich das Blatt gewendet. Walter vermutete, dass der ehemalige Lehrer um die zehn Kilo zugelegt hatte.

      „Was soll ich denn machen?“, jammerte Eugen. „Nach dem Achillessehnenriss konnte ich ein halbes Jahr keinen Sport machen und habe jeden Monat zwei Kilo zugenommen. Fürchterlich!“

      Walter grinste zufrieden. „Ja ja, das ist schon ein dickes Ding.“

      Bevor Eugen etwas erwidern konnte, kam Liesl zur Küchentür herein.

      „Hallo Eugen“, begrüßte sie ihn. „Uiuiui … Ihr Anzug ist im Schrank wohl eingelaufen …“

      Eugen richtete sich auf und zog den Bauch ein. So gut es eben ging. „Bitte, fangen Sie nicht auch noch an.“

      „Alles gut“, besänftigte Liesl und umarmte ihn kurz. „Können wir dann los?“

      Eugen nickte und ging nach draußen. „Es sind schon viele Leute da. Beeilen wir uns, damit wir nicht die Letzten sind.“

      Das Festkomitee hatte ganze Arbeit geleistet. Zwei kleine Pavillons boten den prominenten Gästen Schutz vor eventuellen Wetterkapriolen, das normale Volk musste hinter einem rot-weißen Absperrband bleiben. Ein etwas kleinerer Pavillon stand über der Stelle, an der der erste Spatenstich erfolgen sollte. Die Schaufel stand schon bereit.

      Die Musikkapelle war in voller Besetzung aufmarschiert und ordnete sich in Reihe und Glied. Bei Sekt und Häppchen plauderte der Orts-Vincenz mit dem Landrat. Die Amtszeit des Taldorfer Ortsvorstehers war bald zu Ende und er befand sich sozusagen auf Abschiedstour. Walter hatte die Befürchtung, dass die Rede, die er halten würde, eher durch Quantität als Qualität überzeugen würde.

      Die Kapelle begann zu spielen und die Offiziellen versammelten sich um die Stelle des ersten Spatenstichs. Ein kühler Wind kam auf und ließ Walter frösteln. Schon bereute er, sich für die dreiviertellange Lederhose entschieden zu haben. Er hoffte auf ein schnelles Ende der Veranstaltung, vermutete aber das Gegenteil.

      Der Alte sagte im Namen des Musikvereins ein paar Worte zur Begrüßung, dann übergab er das Mikrofon an den Orts-Vincenz. Wie befürchtet präsentierte dieser ein Best-Off aus seinen Reden der letzten zwanzig Jahren. Er begann fast bei Adam und Eva und arbeitete sich gemütlich bis in die Neuzeit vor. Ohne Skrupel spickte er seine Rede mit prominenten Zitaten und sogar Liedtexten. Während die Worte von Altkanzler Schmidt, Schopenhauer und Freud ganz gut passten, wurde es bei Liedzeilen von Helene Fischer und Costa Cordalis bedenklich. Zum Schluss griff er noch auf Xavier Naidoo zurück: „Dieser Weg wird kein leichter sein, dieser Weg wird steinig und schwer.“

      Na, wenn das mal kein Zeichen ist, grinste Walter und fröstelte erneut.

      Die Temperatur war weiter gefallen und hinzu kamen dunkle Wolken, die sich von Westen her am Himmel auftürmten.

      Ein Raunen der Erleichterung ging durch die Menge, als der Orts-Vincenz das Mikrofon endlich an den Landrat übergab. Während dieser seine Notizen sortierte, stimmte die Musikkapelle eine fröhliche Polka an. Wegen der Lautstärke der fast siebzig Musikanten hörte niemand den Traktor, der sich vom Dorf her genähert hatte und im Rücken der Kapelle auf das zukünftige Baustellengelände gefahren war.

      Kuse. Die Taldorfer Widerstandsbewegung. Seit der Ankündigung waren alle mit dem Bau des Musikheims einverstanden gewesen. Nur Kuse nicht. Er hatte die Wiese, zu der auch der Bauplatz gehörte, seit über dreißig Jahren gepachtet. Man hatte ihm rechtzeitig gekündigt, doch er wollte sich nicht damit abfinden. Er kämpfte für die zwei Reihen Hochstämme, die er erst vor wenigen Jahren gepflanzt hatte. Er hatte jede Entschädigungszahlung abgelehnt und seine Anwälte vorgeschickt. Doch die hatten nichts ausrichten können.

      Nach schwedischem Vorbild hatte er mit seinem Traktor wochenlang freitags auf der Wiese demonstriert, doch er war allein geblieben. Nicht jeder kann Greta.

      „Weg da!“, rief Walter und zog den Landrat am Ärmel aus dem kleinen Pavillon, als Kuse mit seinem Traktor auf sie zuhielt. Der Orts-Vincenz stolperte ihnen hinterher und ließ den auf Hochglanz polierten Spaten fallen. Auch die Musiker liefen auseinander und suchten Schutz hinter den Obstbäumen. Die Vertreter der Presse und die Schaulustigen, die hinter der Absperrung gewartet hatten, flüchteten in die Einfahrt vor Walters Garage.

      „Was hat der denn vor?“, kreischte Liesl und rannte mit Walter und Eugen in Walters Garten.

      Wild hupend tuckerte Kuse über die Wiese. Er drehte zwei Runden um den kleinen Pavillon, bevor er ihn direkt anvisierte. Er fuhr mitten hindurch. Die Zeltstangen sprangen krachend auseinander und die Plane verfing sich an der Ackerschiene des Traktors und wurde wie ein übergroßer Brautschleier mitgeschleift.

      Niemand hatte in dem Trubel bemerkt, dass die dunklen Wolken sich bedrohlich über Taldorf aufgebaut hatten. Von der einen Sekunde auf die andere fielen dicke feuchte Märzschneeflocken vom Himmel und man sah kaum die Hand vor Augen. Doch so schnell der Schneeschauer gekommen war, so schnell war er auch vorbei.

      Zurück blieb ein Bild der Verwüstung. Die Stangen des Pavillons lagen noch auf der Wiese wie ein vergessenes Mikadospiel. Kuse, sein Traktor und die Plane waren verschwunden. Und auch der Spaten.

      2

      „Und wie ging’s dann weiter?“, erkundigte sich Max wenig später am Stammtisch bei der Goschamarie.

      „Ich hab meinen alten Spaten geholt“, antwortete Walter. „Der andere war ja weg. Die haben die Reste vom Pavillon weggeräumt und den Landrat seinen ersten Spatenstich machen lassen. Musste ja sein … wegen der Presse.“

      „Jetzt dräht r dänn total am Rädle“, schnauzte Marie als sie die zwei Bier für Walter brachte. Beide Flaschen waren schon geöffnet. „Het nie dänkt, dass dr Kuse so durchknallt isch.“

      Walter zuckte mit den Schultern. „Ich verstehe es auch nicht. Man sieht ihn zwar kaum im Dorf, aber ich dachte, er ist ganz zufrieden da oben auf seinem Hof.“

      Kuse lebte auf einem Bauernhof am oberen Rand von Taldorf. Wie eine Burg thronte das freistehende Gebäude über dem Tal. Bis heute fragte sich jeder, wer diesen Bau genehmigt hatte.

      „Der war früher ganz normal“, warf Max ein und schnitt das hintere Ende seiner Zigarre ab. „Er war sogar im Musikverein. Flügelhorn, wenn ich mich recht erinnere.“

      Marie stellte Max den großen Aschenbecher mit der besonders tiefen Ablage für Zigarren auf den