Stefan Mitrenga

Goschamarie Der letzte Abend


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mit Spätzle.“

      Walter beugte sich vor und gab ihr einen Kuss. „Du bist die Beste!“

      Er räumte sein Geschirr ab und ging nach oben, um sich umzuziehen. Er beeilte sich, denn er wollte das Mittagessen auf keinen Fall verpassen.

      4

      Kuses Hof sah so aus, wie Walter ihn Erinnerung hatte. Als er begonnen hatte, die Zeitungen auszutragen, hatte Kuse noch ein Abo gehabt und Walter musste jeden Morgen den Weg zu ihm hinauflaufen. Das hatte ihn über eine halbe Stunde gekostet, darum war er auch froh gewesen, als Kuse das Abo gekündigt hatte.

      Vor dem Haus parkten drei Traktoren. Alle in die Jahre gekommen, aber Walter war sich sicher, dass sie noch liefen. Wenn Kuse eines hatte, dann ein Gespür für Maschinen. Er konnte alles reparieren. Meist funktionierten die Geräte dann sogar besser als zuvor.

      Auf den letzten Metern wurde Walter unsicher. Was sollte er denn jetzt sagen? Er schaute zu Balu, der brav neben ihm lief, ihm aber auch nicht helfen konnte.

      „Na dann …“, seufzte Walter und drückte auf den Klingelknopf.

      Es dauerte lange, bis er Geräusche vernahm und die Tür geöffnet wurde.

      „Ja bitte?“, fragte eine Frauenstimme durch den schmalen Türspalt. Die Sicherungskette war noch eingehängt.

      „Hallo Somlue, ich bin’s. Walter.“

      Wenn Walter eine Reaktion erwartet hatte, wurde er enttäuscht. Die zierliche Asiatin blinzelte ihn nur fragend an. Sie war noch genauso hübsch wie Walter sie in Erinnerung hatte. Sogar noch hübscher. Die schiefstehenden Zähne hatten offensichtlich Kontakt mit einem kieferorthopädischen Genie gehabt und strahlten nun in Reihe und Glied.

      „Du kennst mich ja hoffentlich noch … Walter … der Mann von Anita …“, setzte Walter erneut an.

      Stummes Blinzeln.

      „Also, ich würde gerne mit Kuse reden. Geht das?“

      „Kuse nix da!“, kam die Antwort im typischen Singsang schlecht deutschsprechender Asiaten.

      „Wann kommt er denn wieder? Kann ich auf ihn warten?“

      „Kuse nix da!“

      Prima, dachte Walter. Die hat immer noch den gleichen Wortschatz wie vor ein paar Jahren. War er etwa den ganzen Weg umsonst hergelaufen?

      „Wann-Kuse-wieder-da?“, fragte Walter und unterstützte seine Worte instinktiv mit einfachen Gebärden.

      „Kuse nix da!“, war die erneute Antwort.

      Walter raufte sich die Haare. „Ja Scheißndreckn. Wo Kuse? Nix hier? Wo ist?“

      „Kuse nix da!“

      Anscheinend hatte Kuses Frau nun keine Lust mehr auf die monotone Konversation und schloss die Tür.

      „Ja geht’s noch“, schimpfte Walter. „Das kann doch jetzt nicht wahr sein …“

      In diesem Moment hörte er das Motorengeräusch eines Traktors. Balu kam seiner Pflicht nach und bellte zweimal.

      Der Traktor fuhr auf den Hof und hielt neben den anderen. Jetzt waren es vier.

      „Kuse jetzt doch da“, murmelte Walter grimmig und ging über den Hof.

      Kuse kletterte vom Fahrersitz des Traktors und sprang herunter. Er trug einen ölverschmierten Overall, der mindestens eine Nummer zu klein war.

      „Hallo Walter“, knurrte er. „Kann mir schon denken, warum du da bist.“

      Kuse zog einen Schraubenschlüssel aus einer Tasche des Overalls und machte sich an der Fronthydraulik des Traktors zu schaffen. Wie bei den meisten Landwirten war auch bei Kuse der Sonntag ein normaler Arbeitstag.

      „Das war ne ordentliche Show, die du da gestern abgezogen hast“, sagte Walter vorsichtig. Er hatte nicht vor ihn zu provozieren.

      „Pfff … für nichts und wieder nichts“, knurrte Kuse. „Die machen doch eh was sie wollen. Und unsereiner hat das Nachsehen.“

      „Sind es die paar Hochstämme wirklich wert?“

      Kuse hielt inne und sah Walter an. Er wirkte müde und niedergeschlagen.

      „Es geht doch gar nicht um die Bäume, sondern um die Art, wie sie mit mir umspringen. Die Wiese habe ich seit Ewigkeiten gepachtet und von heute auf morgen heißt es: verschwinde! Ich hatte die Bäume erst ein paar Tage davor geschnitten und jetzt kommen sie alle weg, dabei hätte ich dieses Jahr zum ersten Mal ernten können. Eine Schande!“

      Walter spürte, dass Kuse es ernst meinte. Er konnte seinen Frust verstehen, doch solche Dinge passieren eben.

      „Das mit dem Pavillon gestern …“, Walter überlegte was er sagen sollte, „… also … der Vorstand vom Musikverein konnte den Landrat überzeugen, nicht die Polizei zu holen, aber du sollst den Schaden bezahlen.“

      „Ach ja? Und wer kümmert sich um meinen Schaden?“, blaffte Kuse zurück.

      „Kuse … bitte“, beschwichtigte Walter, „sie wollen ja nur das Geld für den Pavillon.“

      Kuse legte den Schraubenschlüssel auf das Vorderrad des Traktors und wischte seine ölverschmierten Hände an einem Lumpen ab.

      „Und was soll das Ding gekostet haben?“

      „Zweihundertfünfzig.“

      Kuse wühlte in den Taschen seines Overalls und zog ein Bündel Geldscheine hervor.

      „Hier“, er hielt Walter drei Hunderteuroscheine hin, „liefer das beim Vorstand ab. Für die übrigen fünfzig Euro sollen sie sich zwei Kästen Bier holen.“

      Walter steckte die Scheine in die Hosentasche.

      „Das ist sehr großzügig von dir.“

      „Mmmmh …“, brummte Kuse. „Aber es ist noch nicht vorbei.“

      „Dann kann der Musikverein nichts tun, was dich friedlich stimmen würde?“, startete Walter einen letzten Versuch.

      „Doch, natürlich. Die sollen woanders bauen! Dann bin ich zufrieden!“

      „Na, dann gehe ich mal das Geld abliefern“, sagte Walter und sah sich nach Balu um. Hier kämpfte er auf verlorenem Posten. Warum noch länger bleiben.

      „Sag Somlue liebe Grüße von mir!“

      Kuse brummelte etwas Unverständliches, hob aber kurz die Hand zum Gruß, bevor er sich wieder ganz seinem Traktor widmete.

      „Ach halt“, Walter schlug sich die Hand an die Stirn, „da fehlt noch was!“

      „Was denn noch?“, grummelte Kuse ohne aufzuschauen.

      „Der Spaten!“

      Mit dem Spaten in der Hand machte sich Walter auf den Heimweg. Er hatte die Befürchtung, dass Kuse nicht klein beigeben würde. Außerdem hatte ihn irgendetwas bei diesem Besuch gestört. Es war nur ein Gefühl, das tief in seinem Unterbewusstsein nagte, doch er kam nicht darauf.

      5

      Das Orakel hatte einen guten Tag prophezeit. Für Walter war der erste Song des Tages, der um zwei Uhr dreißig aus seinem Radiowecker erklang, entscheidend für dessen Verlauf. Gefiel ihm der Song, würde es ein guter Tag werden, wenn nicht, dann ein schlechter. Heute hatte S4 Bodenseeradio eine alte Nummer von Truckstop aufgelegt: „Ich möcht so gern Dave Dudley hörn“, eine leichte deutsche Country-Nummer, die durchaus Ohrwurmqualitäten hatte.

      Balu bellte zwei Mal, als Walter gerade den Kaffee abpresste. Er öffnete die Tür und stellte die beiden dampfenden Tassen auf den Tisch.

      „Morgen, Walter“, grüßte Jussuf fröhlich und knuddelte Balu, der aufgeregt um ihn herumsprang.

      „Heute geht es mit der Baustelle los“, wusste Jussuf. „Bist du aufgeregt?“

      „Warum sollte ich aufgeregt sein?“, entgegnete Walter schroff. „Ist ja nicht meine Baustelle.“

      „Ah, du bist immer noch nicht ganz überzeugt davon“,