Ulrike Piechota

Nur mit Maske


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von fast zwei Metern vorgeschrieben ist. Theater, Kinos, Konzertsäle, Museen, Zoos, Tierparks und die meisten Geschäfte sind geschlossen. Im Supermarkt, in Bussen und Bahnen müssen alle Menschen Mundschutz tragen. Egal, ob sie damit Luft kriegen oder nicht. Handschuhe oder Händedesinfektion sind Pflicht, wenn man einen Einkaufswagen schiebt. Natürlich muss so ein Handschuh danach sofort weggeworfen werden. Das Reisen ist erheblich eingeschränkt. Überall sieht man Polizisten oder andere Ordnungshüter, die dafür sorgen, dass alle Maßnahmen eingehalten werden. Ach ja, ganz wichtig, die Schulen und Kindertagestätten sind schon seit vielen Wochen geschlossen. Die Eltern verzweifeln, weil sie zu Hause arbeiten müssen, was man Homeoffice nennt. Dazu müssen die Kinder beschäftigt werden. Hausaufgaben werden per Computer an die Kinder geschickt und müssen per Computer zurück an die Lehrer gesendet werden. Selbstverständlich sind die Eltern gezwungen, dabei zu helfen. Die Kinder verzweifeln, weil sie nicht mehr draußen spielen, geschweige denn andere Kinder treffen dürfen. Kirchen, Moscheen und Synagogen sind verschlossen, dürfen nicht betreten werden. Außerdem…“ „Hör auf!“, schrie Zeus und wischte sich die Lachtränen aus den Augen. „Du warst schon immer gut in der Kunst der Lüge, Hermes. Und oft sind wir auch drauf reingefallen. Aber dieses Mal nicht. Du hast zu dick aufgetragen, mein Freund. Ich muss einfach nur lachen, wenn ich mir vorstelle, es wäre wahr, was du uns da aufgetischt hast. “

      „Aber es ist wahr!“, rief Hermes beleidigt.

      „Das kann doch gar nicht wahr sein“, mischte Poseidon sich bedächtig ein. „So bescheuert sind die Menschen nun wirklich nicht, Hermes.“ „Verflucht!“Hermes riss den Vorhang, der den Götterhimmel von der Menschenerde normalerweise abschirmte, wütend in zwei Teile. Und da sahen die beiden per Zufall ausgewählten griechischen Götter Zeus und Poseidon, dass ihr Bote nicht zu dick, sondern beinahe noch zu dünn mit seiner Beschreibung der gegenwärtigen Menschenwelt aufgetragen hatte. Sie schauten lange nach unten, Zeus und Poseidon. Irgendwann tat ihnen das Genick weh und sie schauten sich gegenseitig an. Bis sie in brüllendes Gelächter ausbrachen. Also so etwas hatten sie wirklich noch nie gesehen. Das war ja köstlicher als das köstlichste Saufgelage, was da unten auf der Erde los war. Wer hatte diese Posse geschrieben? Ein Halbgott mit Sinn für schwarzen Humor? Oder ein Teufel, falls es ein Trauerspiel und gar keine Posse war? Sie wurden wieder ernst, die beiden zufällig ausgewählten Götter im Olymp. „Vielleicht“, sagte Zeus, „vielleicht erwarten die Menschen Hilfe von uns? Schließlich sind wir ihre Götter.“

      „Gut möglich“, erwiderte Poseidon. „Wenn wir nicht helfen, könnten sie sich enttäuscht von uns abwenden.“

      „Das sollten wir nicht riskieren.“ Zeus nickte. „Das haben sie doch längst getan“, wandte Hermes ein, der als Götterbote besser auf der Erde Bescheid wusste als die Götter.

      „Wie? Echt?“, fragten Zeus und Poseidon gleichermaßen erstaunt.

      „Ja. Echt“, antwortete Hermes. „Sie haben schon lange ganz andere Götter als euch, die Menschen.“ Na, wenn das so war, dann war es ja gut. Dann konnte man weiter ganz gelassen das seltsame Treiben da unten beobachten. Ein Glück, dass die Menschen das Theater, in dem sie ihr Lust- oder Trauerspiel gerade aufführten, nicht wie alle anderen Theater schließen konnten. Dann hätten sie, die Götter im Olymp, nichts zu lachen gehabt. Lachen aber, eine Weisheit der Menschen, Lachen war gesund. Hermes zitierte einen Satz, den er auf der Erde aufgeschnappt hatte. Ein gewisser Wilhelm Busch, erinnerte er sich, hatte einmal gesagt: „Wer zusieht, sieht mehr, als wer mitspielt.“

      Na also! Zeus und Poseidon nickten. Ein kluger Mann, dieser Wilhelm Busch. Und so sahen sie weiter zu, wie die Menschen die Corona-Posse oder das Corona-Trauerspiel oder was auch immer da unten aufführten. Dass sie dabei mehr sahen als die agierenden Menschen, nützte leider niemandem etwas. Und deshalb überlassen wir die Götter ihrem Schicksal und wenden uns wieder unserem menschlichen Schicksal zu.

      3. Der ökologische Mundschutz

      Mundschutz gegen das Corona-Virus ist wichtig. Sagen die Fachleute. Das heißt, Wochen vorher war der Mundschutz laut den gleichen Fachleuten nur bedingt wichtig. Auf jeden Fall schadet er nicht, hieß es damals. Was ja schon recht beruhigend klang. Man setzte also- damals, vor ein paar Wochen- eine Maske auf, von der man wusste, dass sie möglicherweise nichts schadet und möglicherweise nichts nutzt.

      Egal, was vor Wochen richtig war. Wahrheiten können sich ändern. Im Hier und Jetzt ist der Mundschutz nun doch zum Nutz avanciert. Er ist sogar so wichtig geworden, dass er zur Pflicht für alle erklärt wurde. Kein Einkauf mehr ohne Mundschutz. Keine Bus- oder Bahnfahrt mehr ohne Mundschutz. Dreißig Euro Strafe, wer ohne erwischt wird. In manchen Bundesländern nur zehn Euro. In wieder anderen fünfzig Euro. Bitte nicht aufregen! So ist das nun einmal in einem demokratischen Staat. Für den einen sind zehn Euro demokratisch, für den anderen dreißig, für den dritten wiederum… Ach, befassen wir uns doch nicht mit so einem Kleinkram wie Geld. Was ist schon Geld gegen die Gesundheit? Gesundheit geht vor. Ja, das haben wir nun alle begriffen. Und deshalb kaufen, nähen, stricken, häkeln und basteln wir Mundschütze, was das Zeug hergibt. Der Ehrgeiz derer, die Mundschütze herstellen, kennt keine Grenzen. Kittelschürzen, die wir in Urgroßmutters Nachlässen finden, werden zu Mundschützen verarbeitet. Blümchentischdecken, die niemand mehr leiden kann. T-Shirts, die normalerweise in der Altkleidersammlung gelandet wären. Unterwäsche, der man nicht ansieht, dass sie Unterwäsche war. Die Kreativität kannte keine Grenzen. Und doch sind nicht alle Menschen zufrieden mit dem, was sie da um sich herum als Mundschutz sehen. Zum Beispiel die Menschen, die weiter denken, hinein in die Zukunft sozusagen. Und dort- in der Zukunft- sehen sie mit hellseherischer Begabung all die Mundschütze des Hier und Jetzt auf einem gewaltigen Müllberg liegen. Vielleicht so hoch wie die Zugspitze. Oder noch höher. „Grauenhaft“, stellten die beiden Schwestern Hanne und Lore fest, die zu diesen weitsichtigen Menschen gehörten. Wunderten sich, dass noch niemand sonst auf dieses Phänomen – wohin mit den benutzten und nicht mehr brauchbaren Mundschützen -hingewiesen hatte. Das doch auf der Hand lag, wenn man sich die Millionen und Abermillionen von Mundschützen vorstellte, die bis zum Ende der Corona-Krise benötigt wurden.

      Die Schwestern wollten dem Mundschutzmüllberg keine Chance geben und schrieben einen offenen Brief an die Umweltministerin. Hatte sie sich schon Gedanken um die Entsorgung der Mundschütze gemacht? Und wenn ja, hatte sie dabei die Umwelt im Blick gehabt? Die Umwelt, die unter der Last der zu entsorgenden Mundschütze stöhnen würde. Nein, darüber hatte die Umweltministerin noch nicht nachgedacht, erfuhren Hanne und Lore. Während das Corona-Virus wütete, konnte auch eine Umweltministerin kaum bis morgen geschweige denn bis übermorgen denken. Keine Zeit. Kapiert? Keine Zeit für die Umwelt, aha. Das hätten sich Hanne und Lore denken können. Für den Klimawandel hatte ja auch seit Wochen niemand mehr so recht Zeit. Was eine Umweltministerin gerne einmal hätte bemängeln können. Hatte sie aber nicht. Sicher auch aus Zeitgründen. Also mussten Hanne und Lore ohne das zuständige Ministerium einen Mundschutz entwickeln, der keinen Berg in Höhe der Zugspitze hinterließ. Am besten einen Mundschutz, der sich so leicht entsorgen ließ wie die Kartoffelschalen, die Lore gerade auf den Komposthaufen im Garten warf. Sie winkte Hanne zu, die Rhabarber erntete, aus dem nachher ein wunderbarer Rhabarberkuchen entstehen würde. Hanne schnitt gerade die nutzlosen großen Blätter ab, wollte sie zu den Kartoffelschalen auf den Kompost werfen, da hielt sie abrupt inne. Sie sah Lore an, Lore sah Hanne an. Und in dem Moment wurde in zwei Köpfen die gleiche Idee geboren. Hanne hielt sich das eine Rhabarberblatt vor Mund und Nase, Lore das andere. Ohne ein Wort zu sprechen gingen sie ins Nähzimmer. Stachen Löcher in die Blätter, durch die sie ökologisch abbaubares Gummiband zogen, das sie stramm zogen und verknoteten. Fertig war der ökologische Mundschutz. Ob er Viren abhielt war ebenso unbewiesen wie es bei anderen, selbst gebastelten Mundschützen der Fall war. Doch das war nicht sonderlich wichtig. Wichtig war, dass Mund und Nase ökologisch einwandfrei bedeckt waren. Hanne und Lore gingen in den Supermarkt, um ihr Werk auszuprobieren.. Ein kräftiger Mann im schwarzen Outfit stand vor dem Supermarkt und passte auf, dass alle potentiellen Käufer und Käuferinnen einen Mundschutz trugen.

      „Was ist das denn?“ Mit dieser Frage hielt er die Schwestern auf, die total entspannt auf die Eingangstür des Supermarktes zugingen. Er zeigte auf das Grün in ihrem Gesicht. „Ein natürlicher Mundschutz“, erwiderte