Petra Mayr

Innen


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      Petra Mayr

      Innen

      Ein Erkenntnisroman

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       1. Zeitrisse

       2. Zwei Welten

       3. Realitätstraum

       4. Zeitlosengewächse

       5. Realitäten

       6. Zufall

       7. Das Ohr

       8. Teilchen Theater

       9. Goldenes Glas

       10. Rot und Blau

       11. Seite sechsundsiebzig

       12. Innen

       13. Lichtschranken

       14. Das Offene

       15. Mammutbäume

       16. 20+C+M+B+18

       17. Wassertropfen

       18. Durchsichtig

       Impressum neobooks

      1. Zeitrisse

      „Wer nach außen schaut, träumt. Wer nach innen schaut, erwacht.“

      C. G. Jung, Psychiater

      Schwer zu sagen, warum sich Philipp ausgerechnet heute an die Tapete seines Kinderzimmers erinnerte. Vielleicht war es die Sonne, die durch die schwingenden Zweige des Kirschbaumes ein lebendiges Muster über die Wand flattern ließ.

      Früher jedenfalls hatte er öfter die Tapete betrachtet. Ein Muster aus abstrakten Pfauenfedern. Symmetrisch angeordnete Rauten, exakt aufgereiht. In prächtigem Orange mit weißem Rand und einem dicken grünen Punkt in der Mitte, wie ein magisches Auge.

      Hin und wieder wurde Philipp damals von einem plötzlichen Anfall kindlicher Langeweile gepackt. Es war, als ob jemand bei einem fahrenden Zug die Notbremse gezogen hatte. Als zwinge ihn etwas, innezuhalten und alles, was er gerade tat, zu hinterfragen. Nicht, ob es gut oder schlecht war, sondern wie es sich anfühlte. Erlebte hier das kindliche Ich erste Einbrüche in die Erwachsenenwelt? Wer weiß das schon.

      Jedenfalls hatte Philipp dann, sich selbst ausgeliefert, in seinem Zimmer gestanden. So kam es, dass ihn 386 Pfauenaugen neugierig betrachteten. Er hatte sich dann auf sein Bett gelegt und die Blicke erwidert, jedes einzelne untersucht. Sie waren alle gleich.

      Ihre Farbkontraste hatten ein angenehmes Kribbeln direkt im Inneren seiner Augen erzeugt. Noch während ihm das bewusst geworden war, hatte er bemerkt, dass sich durch eine Art leichtes Schielen die Pfauenaugen vorsichtig von der Wand lösten.

      Wie Abziehbilder, die nichts mehr an ihrem Untergrund hielt, hatten sie glasig schimmernd im Raum geschwebt, zehn oder zwanzig Zentimeter vor der Wand. So, als hätte man sie anfassen können.

      Jetzt strahlten die Wände seines Büros in schon fast schmerzhaftem weiß. Filigrane Zeichnungen von Hausentwürfen hingen dort. Sie waren präzise in Gruppen angeordnet, offenbar nach einem durchdachten Prinzip.

      Von dieser Wand löste sich nichts mehr ab. Der Mann, der über den Schreibtisch gebeugt saß, war mittlerweile achtunddreißig und ein überaus tüchtiger Architekt. Wie zum Beweis blätterte Philipp im Terminkalender.

      Morgen würde er aufs Land fahren, in eine Region, wo sich von weitem nicht klären ließ, ob die Straße weitergehen oder zu einem Feldweg werden würde. Er würde einen jungen Landwirt treffen, der ein Einfamilienhaus bauen wollte.

      Philipp kam bei Menschen meistens gut an, das war schon immer so. Es hatte aber nichts mit einer angeborenen Eigenschaft, seiner Natur, zu tun. Nein, es war weiß Gott kein Charisma. Philipp hasste alles Autoritäre, auch die Autorität der Natur. Philipp pflanzte Bauwerke in die Landschaft, dort wo die Natur über kurz oder lang Bäume wachsen ließ. Stein auf Stein oder Beton als Schutz vor Wind und Wetter, Kälte und Sturm.

      Abgrenzung gegen die Außenwelt. Klare Form, Masse und Ästhetik.

      Er hatte ein angenehmes Wesen, weil er sich für sein Gegenüber wirklich interessierte, und zwar ganz egal, wer es war. Er wollte wissen, mit wem er da sprach, er wollte wissen, was die Menschen bewegte, warum sie taten, was sie taten und sagten, was sie sagten. Manchmal passierten deshalb unerwartete Dinge.

      Zum Beispiel vor drei Jahren, als Philipp einen Kasten Bier gekauft und, weil keine Parkplätze frei waren, im Halteverbot geparkt hatte. Als er aus dem Getränkeshop gekommen war und auf seinen alten Citroen zusteuerte, wurde er von einem Polizisten in Empfang genommen. Dem Mann in dunkelblauer Uniform war schon von weitem der Ärger im Gesicht anzusehen. Er hatte das ausgefüllte Strafmandat mit einer übertrieben ausladenden Bewegung vom Block gerissen.

      Dann hatte er losgelegt:

      „Sie haben falsch geparkt, wissen sie das?

      Warum haben sie im Halteverbot geparkt?

      Sie haben grob die Verkehrsregeln missachtet!“

      Philipp hatte überlegt und dann gesagt:

      „Ich bin ohnehin auf dem Weg zur Bank. Bitte geben sie mir einfach den Strafzettel.“

      Dann war der Polizist deutlich lauter geworden.

      „Sie wären doch wohl am liebsten mit dem Auto direkt in den Getränkehandel gefahren, oder nicht?“

      Philipp hatte nachgedacht, wie es ihm wohl gelingen konnte, an das Strafmandat zu kommen. Er trat einen Schritt nach vorne. Dann hatte er ruhig gesagt, er wolle gerne das Strafmandat, um die Sache gleich in Ordnung bringen zu können.

      „Da gibt es nichts in Ordnung zu bringen“, hatte ihm der Uniformierte entgegen geschleudert. Philipp war verblüfft.

      „Ich habe falsch geparkt und ich will das nicht bestreiten. Ich habe gegen eine Regel verstoßen und ich bin bereit dafür zu zahlen. Aber ich bin nicht bereit, mich deshalb anschreien zu lassen“, hatte er ruhig gesagt und weiter:

      „Haben sie noch nie in ihrem Leben einen Fehler gemacht?“

      Der