Elias Reich

Begegnung bei Vollmond


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Kurzerhand entschied ich sie in den Armen zu tragen. Stoisch lief ich los. Meine Last machte mir nicht allzu sehr zu schaffen. Ich war in guter Form. Einige Zeit herrschte Stille. Leise fielen die Schneeflocken. “Bin ich dir nicht zu schwer?“, fragte sie. Ich grinste. “Keine Sorge. Für mich bist du ein Fliegengewicht. Aber was mich stört ist, dass ich deinen Namen nicht kenne! Wie heißt du?“ Kurze Stille. Sie atmete tief durch. “Violetta Miller.“ “Hallo Violetta“, sagte ich lächelnd. “Ich würde dir ja jetzt die Hand schütteln, aber irgendwie habe ich gerade beide voll. Merk dir das für später! Das holen wir nach.“ “Warum hilfst du mir?!“, fragte sie und musterte mich misstrauisch. “Was versprichst du dir davon?“ Ich zuckte mit den Schultern, was gar nicht so einfach zu bewerkstelligen war, während ich sie trug. “Ich tue gerne so, als wäre ich nett. Karmapunkte und so.“ “>Karmapunkte<?!“, wiederholte sie. “Was versprichst du dir wirklich davon? Mach dir keine Hoffnung, Geld habe ich keins!“ “Du brauchst Hilfe. Ich kann helfen“, sagte ich geduldig. “Das ist doch jetzt keine Quantenphysik oder?“ “So, so“, sagte sie. “Wer´s glaubt!“ Ich verdrehte die Augen. Meine Güte ist die anstrengend! Unauffällig schnüffelte ich an ihr. Jetzt wo sie so nah war konnte ich mit Sicherheit sagen, dass das ganze Blut nicht alleine von ihr stammte. Es war auch eindeutig menschliches Blut dabei. Violettas Blut roch... irgendwie anders, aber ich konnte es beim besten Willen nicht einordnen. Sie war auf keinen Fall hundertprozentig Mensch. Außer dem Blut roch ich nur billiges Shampoo und Duschgel, welches unangenehm in meiner Nase kitzelte. “Ach da fällt mir ein“, sagte ich spontan. “Wohin soll es eigentlich gehen? Willst du, dass ich dich ins Krankenhaus bringe?“ “Nein“, murmelte sie. “Nur raus aus dem Wald. Ab da gehe ich alleine weiter.“ Nachdenklich musterte ich sie. “So kannst du nicht gehen. Deine Verletzungen müssen versorgt werden, du musst unter die Dusche und dir was anderes anziehen. Ansonsten erfrierst du noch.“ “Kein Krankenhaus!“ Ich dachte nach. Sie will in kein Krankenhaus. Bei unsereins ist dies nicht weiter ungewöhnlich. Ich könnte sie zu einem Arzt aus unserer Welt bringen, doch ich weiß nicht, wie viel Violetta über unsere Welt weiß. Und ob sie irgendwelche Feinde hat, die dadurch auf sie aufmerksam werden würde. Ich dachte weiter nach. Genau genommen weiß ich nicht mal, ob sie weiß, das sie kein Mensch ist... Da sie keine Angst vor mir hat, nehme ich an, sie weiß nicht allzu viel. Ich könnte auch einen Menschen-Arzt entführen und dazu zwingen sie zu versorgen, grübelte ich. Anschließend würde ich ihn einfach beseitigen... Neee das wäre dann doch etwas überzogen. Immerhin scheint sie nicht mal ernsthaft verletzt zu sein. Unauffällig linste ich auf sie hinunter. Sie konnte kaum älter als 20 Jahre sein. Ich seufzte. Wo bin ich da nur wieder rein geraten? Dank meiner hervorragenden Nachtsicht kamen wir gut voran. Herumliegende Äste und Löcher im Boden umkurvte ich problemlos. Das Licht des Vollmondes schien plötzlich auf uns herab. Ich konnte einfach nicht widerstehen und schaute hinauf in den Himmel. Ein Beben ging durch meinen Körper. All die Symptome, die ich bisher erfolgreich verdrängt hatte kamen nun wieder, nur um vielfaches stärker. “Ist was?!“, fragte Violetta. Ich unterdrückte ein Knurren. “Alles bestens“, erwiderte ich und riss mich zusammen. Ohne weitere Worte zu verlieren lief ich weiter. Mir war nicht mehr danach zu sprechen. Schweigend schleppte ich meine Last durch den Wald. Nach einiger Zeit hörte ich leises schnarchen. Überrascht schaute ich nach Violetta und stellte fest, dass sie eingeschlafen war. Unwillkürlich musste ich grinsen. Erst durchkreuzt sie mir meine Pläne, dann schläft sie einfach ein. Naja, gut für sie! Sie sah schon ziemlich fertig aus. Schnellen Schrittes ging ich weiter. Einige ganze Weile verging, dann kamen wir auf den kleinen Schotterparkplatz auf dem ich meinen >Mercedes-Benz GLK< geparkt hatte. Mein Wagen war ein SUV mit Vierradantrieb und Automatikschaltung. Ich hatte mich für das Modell mit dem größeren Kofferraum entschieden für den Fall der Fälle, dass ich mal jemanden ääähm ich meine natürlich etwas sperriges transportieren musste. “Violetta“, sagte ich. “Ich muss dich kurz absetzten, ansonsten komme ich nicht an meine Autoschlüssel.“ Sie schreckte hoch. “Was?!... Oh ja okay.“ Behutsam ließ ich sie herunter. Ihre Beine waren ein wenig wackelig, aber sie stand. Ich holte meinen Autoschlüssel aus meiner Hosentasche und öffnete den Wagen, dann ging ich zum Kofferraum. “Warte noch mit dem Einsteigen“, sagte ich. “Ich gebe dir noch eine Unterlage, damit meine Sitze sauber bleiben.“ Nicht das mir mein Auto am Herzen liegen würde, verstehen Sie mich nicht falsch, mein Wagen ist ein reiner Gebrauchsgegenstand, aber ich möchte trotzdem nicht das Blut fremder Leute auf meinen Sitzen haben. So etwas kann zu unangenehmen Zwischenfällen führen. Aus dem geöffneten Kofferraum nahm ich eine Plastikplane heraus, die ich für besondere Anlässe immer dabei hatte. Geschmeidig ging ich zur Beifahrerseite, öffnete die Tür und legte die Plane über den Sitz. “Bitte nehmen Sie Platz, junge Dame“, sagte ich höflich. Sie zog die Augenbrauen hoch. “Warum hast du eine Plane im Kofferraum?!“ Du bist nicht die erste Person, die ich blutverschmiert transportiere, dachte ich. Zugegebenermaßen liegen die anderen normalerweise im Kofferraum... Das behalte ich lieber für mich, beschloss ich. “Ist nur ein glücklicher Zufall“, sagte ich stattdessen. “Steig ein.“ Violetta taxierte mich, doch dann zuckte sie nur mit den Schultern und ließ sich auf den Sitz plumpsen. Erschöpft atmete sie auf, doch im selben Moment inspizierte sie die Rückbank. Sie traute dem Braten definitiv noch nicht. Ich schloss für sie die Tür, ging um den Wagen herum und stieg selbst ein. Violetta blinzelte heftig neben mir. “Hatte ich nicht gesagt, du sollst mich nur aus dem Wald bringen und ab dann würde ich alleine weitermachen?!“ “Ja, das hast du gesagt“, bestätigte ich. “Aber ich habe höflich widersprochen-...“ “Ich kann in kein Krankenhaus!“, stieß sie hervor. “Eigentlich sollte ich nicht mal hier sitzen! Ich bin-...“ Sie stoppte mitten im Satz. “Du bist was?“, fragte ich interessiert. Sie schüttelte den Kopf. “Nicht so wichtig. Ich sollte jetzt gehen!“ “Nein“, widersprach ich ruhig. “Sag mir, wo du wohnst und ich setzte dich dort ab.“ “I-I-Ich ka-kann“, stotterte sie. “Ich kann nicht mehr nach Hause.“ “Warum?“, fragte ich ruhig. “Was ist passiert?“ “Ich kann einfach nicht!“, antwortete sie erstaunlich heftig. “Hör auf zu fragen!“ “Okay. Okay“, sagte ich beschwichtigend. “Reg dich nicht auf.“ Was mache ich jetzt?, überlegte ich. Ich kann sie nicht einfach gehen lassen! Nicht nur für ihr Wohlergehen, sondern auch für die Sicherheit der übernatürlichen Gemeinde. Aufmerksamkeit ist das letzte was wir brauchen. Und eine junge blutverschmierte Frau erzeugt definitiv Aufmerksamkeit. Ich seufzte. Na toll! “Ich mache dir einen Vorschlag“, sagte ich. “Ich bringe dich zu mir nach Hause, flicke dich zusammen und du kannst meine Dusche benutzen, anschließend kriegst du Kleidung, die halbwegs passt und du erzählst mir was passiert ist. Einverstanden?“ Violetta schwieg. Sie schien über meinen Vorschlag und das damit verbundene Gefahren-Nutzen-Verhältnis nachzudenken. “Wehe du versuchst irgendein krummes Ding!“, sagte sie plötzlich drohend. “Ich bin kein hilfloses Püppchen! Wenn du irgendwas unanständiges versuchst, wird es dir leidtun!“ “Keine Sorge“, sagte ich. “Wenn ich dir etwas böses wollte, hätte ich dich nicht ewig und drei Tage durch den Wald geschleppt.“ Violetta grummelte irgendetwas unfreundliches, dann schwieg sie. Ohne weitere Diskussionen startete ich den Wagen und fuhr los. Eine Zeit lang fuhren wir schweigend durch die Gegend. Unauffällig linste ich zu meiner Beifahrerin hinüber. Sie zitterte von oben bis unten und klapperte mit den Zähnen. In dem Versuch sich zu wärmen wickelte sie sich noch fester in meinem Mantel ein. Ohne etwas zu sagen drehte ich die Heizung meines Wagens voll auf. “Warum hilfst du mir?“, fragte Violetta. Ich zog die Augenbrauen hoch. “Müssen wir das jetzt nochmal durchkauen? Ich helfe dir, weil ich kann.“ “Warum vertraust du mir soweit, dass du mich in dein zu Hause lassen willst?“ “So wie du das sagst, könnte man glatt meinen zu planst mich abzuziehen“, sagte ich amüsiert. “Sollte ich misstrauischer sein?“ “Misstrauen ist nie verkehrt!“, grummelte Violetta und schaute aus dem Fenster. Sie machte den Eindruck, als wäre sie jedem Moment bereit aus dem Fenster zu springen. So sehr stand sie unter Strom. Was ist mit dir passiert?, fragte ich mich. So verhält sich nur ein Mensch, der ein schweres Leben hatte. “Ich vertraue meinen Instinkten“, sagte ich. “Ich glaube nicht, das du mir dem Kopf abschneidest, sobald wir um die nächste Kurve rum sind.“ Aus dem Augenwinkel heraus sah ich, das Violetta nicht einmal ein wenig darüber schmunzeln konnte. “Perlen vor die Säue“, murmelte ich amüsiert. “Du bist wirklich nicht die unterhaltsamste Gesellschaft.“ “Nicht mein Problem“, sagte sie schnippisch. “Ich will nicht mal hier