Fremde das etwas femininere, einen Hauch zartere Pendant der Assassinin. Ob Chara das auch auffiel?
„Schiff?“, nahm Siralen die Protokollierung der Daten wieder auf.
„Meerkatze.“
„Bauweise?“
„Güldenmaid.“
Die Frage war eigentlich überflüssig, da ohnehin nur die Kapitäne eines Güldenmaid-Seglers für die Posten der Vizeadmiräle in Frage kamen, aber Protokoll war Protokoll.
„Kapitän seit?“
„Kapitänin seit 338 nGF.“
„Größter bisheriger Einsatz?“
„Ein Kampfeinsatz während des Anbarisch-Ahanitischen Krieges. Ich hatte damals das Kommando über dreizehn Schiffe.“
Damit kam Siralen zu ihrer letzten Frage: „Wie viele Vizeadmiräle sollten, Eurer Meinung nach, in einer Flotte von tausend Schiffen ins Amt gehoben werden, mit anderen Worten, in wie viele Teilflotten würdet Ihr die Armada gliedern?“
Roella Kalladans finstere Augen zuckten hinüber zu Chara. „Wenn von Frauen kommandiert, reichen zehn Vizeadmiräle. Bei Männern …“ Ihr Mundwinkel hob sich zu einem schiefen Grinsen, womit sie Chara tatsächlich Konkurrenz machte. „… ich würde sagen mindestens zwanzig.“
Siralen stoppte die Feder und fixierte Chara, die sich zurücklehnte und Roella Kalladan interessiert musterte.
„Nette Tätowierung“, bemerkte sie mit einem provokanten Grinsen.
„Ebenso“, kam es prompt zurück.
Erst jetzt fiel Siralen auf, dass es sich bei Roellas Zeichnung ebenfalls um eine Dornenranke handelte, die sich, einer Fessel gleich, um den Hals der Kapitänin schlang. Nur die beiden Rosen fehlten.
„Danke“, gab sich Chara höflich, kramte eine Pfeife hervor und schlug Eisen und Zunder aneinander.
„Die nächste Frage habt Ihr im Grunde schon beantwortet“, nahm sie vorweg und brachte das Kraut im Pfeifenkopf zum Glühen. „Ihr habt also keine Probleme damit, von Frauen Befehle entgegenzunehmen, aber auf jeden Fall damit, einem Mann zu gehorchen …“
„Frauen sind die besseren Kommandanten“, erwiderte Roella, ohne mit der Wimper zu zucken.
Charas Blick ruhte auf ihrem langhaarigen Ebenbild. Eine Weile schien sie keinen Gedanken daran zu verschwenden, die Befragung wieder aufzunehmen. Ein leises Räuspern seitens Lucretia durchbrach schließlich die Stille.
„Wie sieht es mit Euren Interessen aus? Habt Ihr, abgesehen von der Seefahrt, noch andere?“, fragte die Magierin.
Das Gesicht der Kapitänin blieb unbewegt. „Männer.“
Siralens Augenbraue wanderte eine Stirnzeile höher.
„… Wein und das Spiel“, vollendete Roella nach kurzem Nachdenken.
„Na, wenn das alles ist“, bemerkte Chara, noch bevor jemand Einspruch erheben konnte.
„Ihr seid Euch hoffentlich darüber im Klaren, dass diese Mission kein Spiel ist“, mahnte Siralen die Kapitänin ab.
Roella verschränkte demonstrativ die Arme vor der Brust. „Ist mir klar. Ich spiele nur in meiner Freizeit.“
„Wie sieht’s mit Meutereien aus?“, setzte Chara paffend fort.
„Meine Jungs meutern nicht.“ Kurz schielte sie zu den beiden tätowierten Leibwachen hinter Charas Stuhl, dann lenkte sie ihr Augenmerk wieder auf die Assassinin. Siralen hatte den Eindruck, Roella verbarg irgendein zündendes Interesse hinter ihrem unnahbaren Auftritt. Die Kapitänin suchte eindeutig die Herausforderung und vermutlich war sie genau deshalb hier.
„Wie steht es mit Euch?“, fragte Chara.
Roella Kalladan wusste sofort, worauf sie hinauswollte. „Einmal … gegen Admiral Schroeder, der unsere Flotte in einer Schlacht gegen die Valiani befehligte. Er machte einen Fehler. Ich musste meutern.“
„Und Eure Schwächen?“
Wieder hob sich ihr Mundwinkel. „Ein hübsches Lächeln. Ich werde schwach bei einem hübschen Lächeln.“
„Ihr scheint hoch hinauszuwollen“, bemerkte Lucretia lauernd und zog ihren Fächer hervor.
„Wer nicht?“
„Wie hoch ist Eurer Meinung nach hoch genug?“
„Solange das Ende der Leiter nicht erreicht ist, gibt es auch ein Höher.“
Offenbar hatten Chara und Lucretia nichts weiter zu sagen, also entließ Siralen die Kapitänin mit den Worten: „Ihr könnt den nächsten reinschicken. Man wird Euch morgen das Ergebnis der Anhörung verkünden.“
„Lucretia hat vermutlich recht“, sagte Siralen, nachdem die Tür zugefallen war. „Roella Kalladan will zu hoch hinaus und könnte der einen oder anderen von uns gefährlich werden.“
Chara pfiff leise durch die Zähne. „Möglich“, gab sie zurück und in ihre schwarzen Augen trat ein seltsames Blitzen. War das ein gutes oder schlechtes Zeichen?
„Tauron Hagegard“, drang es unterdessen mutig, ja geradezu übermütig zum Tisch und alle Köpfe gingen nach oben. „Bin der Letzte, oder? Und der Beste, wenn ich es mal so sagen darf.“
Siralen blickte in ein charismatisches, von der Sonne braungebranntes Gesicht mit braunem, kurzem Vollbart und breitem Grinsen. Der Pirat, der die Bibliothek so dreist betreten hatte, sah so aus, wie er redete. In seiner Mimik fand sich eine Mischung aus Schalk, Frechheit und purer Selbstüberschätzung. Die Daumen lässig in seinen Gürtel gehakt, lächelte er in die Runde und wartete darauf, dass man ihm Fragen stellte. Siralen war sofort klar, dass dieser Mann in erster Linie darauf abzielte, Frauen aufs Kreuz zu legen – im wahrsten Sinne des Wortes. Nur würde ihm diese Neigung, die durchaus auch ein Talent sein mochte, hier keinen Schritt weiterhelfen.
„Ich kenne Euch“, bemerkte Chara, und Lucretia ließ ein leises Schnauben vernehmen.
„Oh ja, wir kennen ihn!“
„Klar kennst du mich, Schätzchen“, warf Tauron ein, wobei er Chara ansah. „Hab dich und deine Kollegen in Herkmar abgesetzt, wenn du dich erinnerst.“
Nok stieß in Charas Rücken ein leises Knurren aus, und Lucretia verdrehte die Augen „Genau deshalb wollte ich damals nicht mit ihm segeln. Du erinnerst dich, meine Liebe?“
„Erinnere mich“, sagte Chara lapidar und ohne den Kapitän aus den Augen zu lassen. „Nur damit das klar ist – du kannst mich nennen, wie du willst, aber unterm Strich bleibt das Ergebnis dasselbe: Ich bin nicht dein Schätzchen.“
Sein Grinsen wurde keinen Deut zahmer. „Hab gehört, du bist niemandes Schätzchen.“
„So kann man es auch sagen.“
Siralen, die sich bis jetzt zur Geduld ermahnt hatte, schickte Chara einen Blick akuter Dringlichkeit, und Chara kam auf ihre Fragen zurück.
Tauron Hagegard beantwortete jede davon unerwartet kooperativ und ohne unnötige Zwischenbemerkungen. Er war ein Anbari und von den Anbari war bekannt, dass sie im Besitz der weltweit besten Schiffe waren. Freibeuter stellten nur mehr einen kleinen Teil der Gesamtflotte der ehemaligen Piratenstadt Anbar, die vor allem für den Bau ihrer hervorragenden Kampfsegler bekannt war. Man bezeichnete sie als die schnellsten Schiffe der Meere, wobei ihre Bauweise und ihr Bauort streng geheim waren. Die Güldenmaid-Segler waren ein Nachbau dieser Schiffe, erreichten aber nicht die Qualität des Originals.
Während Tauron sich dem Verhör stellte, beobachtete Siralen ihn aufmerksam. In das warme Licht der Öllampen getaucht, wirkten seine kantigen Züge weicher, sanfter … Sein Mienenspiel erinnerte sie an einen Mann, der nicht über den Jungen in sich hinauswachsen konnte oder wollte. Das war wohl das einzig Schätzenswerte an ihm. Als er von seinen bisherigen Seefahrten erzählte,