Thomas Pfanner

Kampf um Katinka


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Kommandant zweifelte keinen Augenblick daran, wer am Ende die Verantwortung für den Tod des Kaiserlichen Sprösslings angehängt bekäme.

      Die Zeit lief ab, Nazifa führte einige Kommandos mit ihren Händen und Unterarmen aus, die von außen nicht sichtbar waren. Sie starrte wieder in ihren Holo, im Zentrum das eigene Schiff, ein gutes Stück voraus und leicht nach rechts unten versetzt die Jacht. Im Holo wurde auch die Ionenspur abgebildet, ein guter Indikator für die eingeschlagene Richtung. Der Lärm an Bord veränderte sich nicht, doch allmählich wurden die Besatzungsmitglieder in die Sitze gepresst. Langsam, dann nach und nach schneller werdend, verringerte sich der Abstand zur Jacht.

      *

      Datenbankauszug 1201

      Kurz vor dem Untergang der Erde gaben einige Erfindungen der Menschheit die Möglichkeit in die Hand, den Planeten in nennenswerter Zahl zu verlassen. Die Hast bei der Entwicklung führte dazu, dass etliche Fragen in Bezug auf die neuen Techniken offenblieben. Durch den Exodus ging dann noch zusätzlich eine große Menge Hintergrundwissen verloren und das für immer, da auch die verantwortlichen Wissenschaftler nicht überlebten. Man kann Maschinen bedienen, ohne viel Ahnung über die inneren Vorgänge zu haben. Praktisch jeder kann zum Beispiel eine Pistole abfeuern, einige Hochbegabte schaffen es, anhand des Anschauungsexemplars Ersatzteile oder auch eine ganze Waffe zu fertigen, fast niemand wird die physikalischen Grundlagen und die prinzipielle Funktionsweise bis ins Letzte verstehen. Um aber das vorhandene Design in entscheidenden Punkten zu verbessern, wäre ein Team bestens ausgebildeter und mit allem notwendigen Wissen ausgestatteter Spezialisten erforderlich. Diese Spezialisten existierten jedoch schlicht und ergreifend nicht, auf keinem der Planeten, die von der ersten Welle erreicht werden konnten. Der Umstand, dass nach dem Exodus im ersten Jahrhundert auf jedem Planeten der Überlebenskampf alle verfügbaren Ressourcen auffraß und niemand die Zeit fand, über Weiterentwicklungen der technischen Grundlagen nachzudenken, trug nicht zur Verbesserung der Situation bei. Nachdem die jeweiligen Bevölkerungen ihre Lebensgrundlage soweit gesichert hatten, dass sie ihren Blick nach draußen richten konnten, begannen unverzüglich die Kriege, die sich bis in die heutige Zeit nahezu pausenlos hinzogen. Erzeugt wurde die Situation durch die unglaublich schlimmen Zustände auf den Planeten. Wohin sich die von der Erde geflüchteten Menschen auch wandten, den Garten Eden fanden sie nicht. Die zur Besiedlung ausgesuchten Planeten wehrten sich gegen die neuen Herren und brachten den nicht übermäßig zahlreichen Siedlern hohe Verluste bei. Die verzweifelte Situation bewirkte eine Veränderung der Herrschaftsstruktur. Es zeigte sich, dass die Tradition der Demokratie zu kurz und zu zerbrechlich gewesen war, um der Rückkehr der in den Jahrtausenden zuvor herrschenden Diktaturen ernsthaften Widerstand entgegensetzen zu können, zumal unter den gegebenen Umständen. Die jeweilige Ausprägung der totalitären Regime variierte von Planet zu Planet, im Ergebnis konnte es der Bevölkerung egal sein. Überall setzte sich eine kleine Gruppe durch und unterdrückte den großen Rest mit aller Härte. Zwar begünstigten die kurzen Entscheidungswege und das rücksichtslose Einsetzen entrechteter Menschenmassen das Überleben als Ganzes, gleichzeitig wohnte jeder Diktatur bereits der Keim für weiteres Elend inne. Im Moment der Wiederaufnahme der Raumfahrt begegneten sich Herrschaftssysteme, die weder willens waren, irgendwelche Kompromisse einzugehen, noch darin Übung hatten, sich mit einem gleichrangigen Konkurrenten in friedlicher Diskussion auseinanderzusetzen. Die Kriege zogen sich schier endlos in die Länge, weil der technische Stand bei allen gleich geblieben war. Die Grundlage der Weltraum- und Waffentechnik entsprach immer noch voll und ganz der, die am Tag des Exodus mit ins Weltall genommen worden war. Die Bevölkerungszahlen der einzelnen Planeten waren einigermaßen vergleichbar und damit auch die militärische Stärke und die industriellen Ressourcen.

      Für Raumschlachten und ganz allgemein für die Raumfahrt ergaben sich mithin zwei Probleme, die seit Urzeiten niemand zu lösen sich die Mühe gemacht hatte, weil der Wissensstand nicht ausreichte und bei pausenloser Kriegsführung weder genug Menschen noch finanzielle Mittel für Grundlagen-Forschung zur Verfügung standen, von der notwendigen Geduld ganz zu schweigen: Energie-Erzeugung und Energie-Transport. Etwas Effizienteres als eine Wasserstoff-Helium-Fusionsmaschine stand nie zur Verfügung. Der für den Normalraum üblicherweise zum Einsatz kommende Antrieb war der Ionenhammer. Dieser benötigte enorm viel Energie, um eine Beschleunigung zu bewirken, die wenigstens im Ansatz militärischen Ansprüchen genügte. Um ab einem gewissen Punkt die Beschleunigungswerte für die Besatzung erträglich zu machen, brauchte es den Gravitationsnegator, der wiederum in puncto Energieverbrauch alles bisher da Gewesene in den Schatten stellte. Insbesondere wuchs der Bedarf an Energie quadratisch für jedes zusätzliche g Beschleunigung an. Da Ionenhammer und Gravitationsnegator ihre Leistungsaufnahme prinzipbedingt gleichzeitig in die Höhe schraubten, war die Grenze des Leistbaren unangenehm rasch erreicht. Zumal da noch das zweite Problem lauerte, der Transport der Energie vom Meiler zu den Verbrauchern. Einfache Kabel und Leitungen genügten den Ansprüchen längst nicht. Die Lösung bestand in hochfesten Rohren, durch die glühendes Plasma geleitet wurde. In den Plasmakupplungen, ein mehr als schlichtes Wort für die Herkules-Arbeit, die dort verrichtet werden musste, fand die Umwandlung statt. Ein brauchbarer Sternenantrieb bestand also aus einem Meiler, einem Ionenhammer, einem Gravitationsnegator und jeweils zwei Plasmakupplungen zwischen Energieerzeuger und –verbraucher. Dies nahm enorm viel Platz in Anspruch, zumal der eigentliche Antrieb für das Erreichen anderer Sonnensysteme auch noch eine Menge Energie und Raum benötigte, wenngleich nicht zur selben Zeit wie der Rest des Ensembles. In einem Schlachtkreuzer musste zudem noch Raum reserviert bleiben für die Bewaffnung, für Landetruppen und Beiboote. Aus den vorgenannten Gründen verbot sich der Einsatz von Waffen mit übermäßigem Energiehunger, zum Beispiel alle Sorten von Strahlwaffen. Man konnte auf einem Raumschiff einfach nicht gleichzeitig feuern und dabei manövrieren, was unbedingt notwendig wäre für einen erfolgreichen Kampf.

      Im Laufe der Zeit und ganz ähnlich vorgehend wie Menschenaffen, nämlich durch Versuch und Irrtum, hatte man in zahllosen katastrophalen Fehlversuchen die ideale Größe für einen Schlachtkreuzer herausgefunden, in dem Gewicht, Manövrier- und Beschleunigungsfähigkeit, Energiebedarf und Maschinenleistung, sowie der Platzbedarf der Crew in optimalem Verhältnis zueinanderstand. Das Ergebnis sah so aus, dass um die sechzig Prozent des Rauminhaltes eines Schiffes für Energie und Antrieb reserviert wurden. Unglücklicherweise handelte es sich sowohl bei den Planern als auch bei den Offizieren der Schiffe um Adlige, die ihren Anspruch auf einen gewissen Lebensstandard in ihre Berechnungen einfließen ließen. Nach der reinen Lehre, wenn man also alle subjektiven Argumente und egoistische Motive außer Acht ließ, lag der Quotient für Energie und Antrieb bei etwas über fünfundsechzig Prozent. Zudem könnte die Panzerung stärker ausgeführt und ein paar zusätzliche Features eingebaut werden, die auf der einen Seite eine nicht geringe Unbequemlichkeit für die Mannschaft mit sich brachten, auf der anderen Seite jedoch einen nicht zu unterschätzenden Vorteil in der Schlacht bedeuten konnten. Glücklicherweise wurden alle Schiffe von Adligen geplant und befehligt, die aus prinzipiellen Erwägungen heraus lieber in der Schlacht starben, als sich nur einen Tag lang irgendwelchen Unannehmlichkeiten auszusetzen.

      Zum nicht geringen Entsetzen der Feinde Horaves existierte jedoch eine Ausnahme: die Grizzly.

      *

      Das Verzögerungsmanöver war sehr brutal verlaufen. Da ein Schlachtkreuzer nur einen Ionenhammer besaß, der aus rein praktischen Gründen das Heck bildete, konnte die Grizzly nur in die Richtung beschleunigen, in die die Nase zeigte. Die Verfolgung eines anderen Schiffes geriet wegen dieses Umstandes zu einem wahren Eiertanz. Das Schiff beschleunigte eine Zeit lang, bis es einen komfortablen Geschwindigkeitsüberschuss gewonnen hatte. Um nicht mit hohem Tempo an der Jacht vorbei zu orgeln, musste es auch wieder abgebremst werden, damit bei Erreichen des anderen Schiffes die gleiche Geschwindigkeit anlag. Dazu wurde die Grizzly um hundertachtzig Grad gedreht, anschließend volle Triebwerksleistung gegeben und dann das Ganze retour. Die Jacht versuchte natürlich, auf jede mögliche Weise ihre Flucht zum Erfolg zu führen. Deshalb führte sie einige Manöver aus, beschleunigte, bremste auch wieder ab, versuchte schließlich eine sich immer weiter zuziehende Hundekurve, damit die Grizzly nicht mehr rechtzeitig abbremsen konnte und vorbeiflog. Dies alles zwang Nazifa dazu, jedes Manöver des Flüchtlings mitzugehen, die Vektoren und Beschleunigungen anzupassen. Im Ergebnis tanzte das Schiff hin und her, drehte sich ständig, bremste, beschleunigte,