Thomas Pfanner

Kampf um Katinka


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      Istvan Horvath tat, was getan werden musste. Die Steuerbefehle Nazifas vorausahnend gab er kurz Feuerstöße ab. Die beiden Rotorkanonen im Kaliber elf Zentimeter spuckten jedes Mal eine Geschoss-Wolke aus, die zu gleichen Teilen aus Sprengmunition und gehärteten Wuchtgeschossen bestand. Die Wolken trafen sich, zeitlich um eine Winzigkeit versetzt, auf verschiedenen Stellen des Rumpfes der Jacht. Der Waffenspezialist benötigte einige Feuerstöße, bis er die Bewegungen des Gegners verstanden hatte und in der Lage war, sie einigermaßen präzise in die Berechnungen seines eigenen Feuers einfließen zu lassen.

      Für den unbedarften Zuschauer musste das Ganze wie ein Ringkampf wirken, nur dass ein Kind gegen einen Preisboxer antrat. Die Jacht maß kaum achtzig Meter in der Länge, die Grizzly knapp über vierhundert Meter. Zudem verfügte die Saskia über keinerlei Offensivbewaffnung. Ihre einzige Möglichkeit zur Gegenwehr bestand im Absetzen der wenigen Blendgranaten, worauf die Mannschaft aber aus gutem Grund bislang verzichtet hatte. Der Effekt würde nur wenige Sekunden andauern, wenn überhaupt. Somit eignete sich eine Blendgranate für die Jacht nur, um für die kurze Zeitspanne Ruhe zu haben, die der Hyperspleiß zum Laden benötigte. Da das Schwerefeld der Sonne bis hierher reichte, entfiel die Möglichkeit, eine Raumkrümmung zu erzeugen und einfach zu verschwinden. Ergo war es sinnlos, eine Blendgranate abzufeuern.

      Istvan seinerseits trachtete danach, die Sensoren der Saskia mit konzentrischem Beschuss abzurasieren. Dabei brauchte er nicht genau zu treffen, lediglich nach Möglichkeit den Rumpf von vorne bis hinten mit Granaten abzustreuen. Er traf sehr gut, was auch daran lag, dass sich die Grizzly bis auf sechshundert Metern genähert hatte, wodurch die Geschosse aus den beiden riesenhaften Kanonen keine halbe Sekunde bis zum Aufschlag benötigten. Die Jacht wurde in Feuerwerk gehüllt, in rasender Folge wuchsen flammende Blumen aus ihr heraus, was zu großen Teilen eine optische Täuschung war, denn der Rumpf hielt noch.

      Die Sturmboote kamen in Zweiergruppen ins Zentrum seines Holos geflogen, durch den Geschosshagel vor Entdeckung gefeit. Sie kamen jedoch rasch voran, und da die Jacht immer noch um die Hochachse tanzte, um dem Angriff zu trotzen, sah Istvan die Notwendigkeit, unverzüglich zum zweiten Teil überzugehen. Im gewölbten Unterboden öffnete sich gleich neben der Hangarschleuse eine kleine Luke, aus dem eine kegelförmige Rakete fiel. Sie setzte sich mit flammenden Reaktionsdüsen in Bewegung und der Waffenoffizier gab Nazifa ein Zeichen. Unverzüglich gab der Schlachtkreuzer seine leicht überhöhte Position auf und versuchte mit harten Manövern, auf einer Ebene mit der sich windenden Jacht zu gelangen. Die Pilotin täuschte eine Wendung an, tat so, als wolle sie mit zur Saskia gerichtetem Ionenhammer abbremsen und die Entfernung wieder etwas vergrößern, führte die Bewegung jedoch nur halb aus. So schwenkte sie bereits wieder zurück, als die Jacht sich ihrerseits drehte, um die Bremsung des Verfolgers zu nutzen, um von der Grizzly weg zu beschleunigen. Dadurch geschah es, dass die Saskia eine halbe Sekunde später den Kanonen den Rachen des Ionenausstoßers präsentierte. Istvan zögerte nicht, peilte eine Zehntelsekunde lang zum linken Rand des quadratischen Austrittsfeldes hin und gab Feuer.

      Es reichte gerade so. Die Steuerdüsen der Saskia feuerten bereits panisch, um den offenen Hintern des Schiffes in Sicherheit zu hieven, da schlugen die Granaten ein. Der Waffenoffizier der Grizzly hatte speziell für diesen Feuerstoß ausschließlich Hartkernmunition angewählt. Explosionsgeschosse hätten das Risiko einer Kettenreaktion mit sich gebracht, immerhin galt in der Flotte ein Treffer in die offene Austrittsöffnung des Ionenhammers als Fangschuss, der in der Regel weiteren Beschuss überflüssig machte. Im Unterschied zur üblichen Raumschlacht war heute Präzision gefragt. Das Schiff sollte intakt bleiben, nur nicht mehr weiter weglaufen können.

      Es war ganze Arbeit. Die Hartkerngeschosse drangen in den linken Bereich des offenen Hecks ein, verschwanden wie verschluckt. Die Jacht drehte sich um, zeigte mit der Nase wieder zum Verfolger. Für die nächsten Sekunden unterbrach Istvan die Beschießung und wartete auf das Ergebnis seiner Bemühungen. Er brauchte nicht lange zu warten. Offenbar wollte die Saskia wieder gegen die Grizzly beschleunigen, um hinter sie zu gelangen, aber das Manöver missriet auf spektakuläre Weise. Ein Teil der Austrittsöffnung flammte wie gewohnt auf und spie den ellenlangen Ionenstrahl aus, in der linken Ecke jedoch blähte sich ein gelblich eingefärbter Ballon aus Flammen heraus und verpuffte wirkungslos im All. Eine halbe Sekunde später stand der komplette Ionenhammer still. Auch die Positionsdüsen erloschen.

      Istvan verzog das Gesicht zu einem kleinen triumphierenden Grinsen und gab der Rakete neue Befehle. Der Kegel sprang regelrecht nach vorne, bremste sofort wieder ab und senkte sich auf eine Stelle im vorderen Drittel der Jacht, dort leicht nach rechts versetzt. Das dicke Ende des Kegels krachte auf die Hülle, hüpfte wieder hoch, senkte sich erneut auf die Jacht herab, nun deutlich langsamer. Bei diesem zweiten Kontakt klappten kleine Füße aus dem Kegel heraus, die wie Landebeine aussahen. Tatsächlich waren sie etwas viel Besseres: Saugnäpfe. Mit ihrer Hilfe fixierte sich der Kegel, saß unverrückbar auf der Hülle und begann mit der eigentlichen Arbeit. Aus dem stumpfen Ende sprang gleißendes Licht heraus, brandete gegen die Hülle an und verfärbte sich und den angestrahlten Punkt im Cardonium ins Violette.

      Dies stellte die zweite Möglichkeit zur Überwindung einer Raumschiffhülle dar. Genügend Zeit und Energie vorausgesetzt, vermochte ein hochenergetischer Plasmastrahl das Cardonium schlicht und ergreifend aufzuschweißen. Der Vorgang nahm einige Zeit in Anspruch, weil auch hier mit rasch fluktuierendem Energieniveau operiert werden musste. Kein Weg führte an der Überlastung der Fähigkeit zur Energieableitung der Kristallgitter vorbei.

      Die Zeitspanne nutzten die Sturmboote. Die beiden ersten Boote warfen ihrerseits Saugnäpfe aus, um an der Jacht festzumachen. Die Leinen an diesen Saugnäpfen, gleichfalls aus Cardonium, dem universellen Material zum Einsatz im Weltall, wurden eingeholt, wodurch die Sturmboote auf der Außenhülle landeten. Sogleich öffneten sich zahlreiche Luken in den Seitenwänden, aus jeder Einzelnen quoll ein Füsilier in vollem Raumkampfanzug heraus. Der gepanzerte und allerlei Gerät behangene Anzug wirkte extrem unförmig, wie ein überdimensionierter Ziegelstein, ausgestattet mit ganz ähnlicher Beweglichkeit. Doch das täuschte nur einen kleinen Augenblick lang. Kaum aus den Luken befreit feuerten die Antriebseinheiten, woraufhin die Füsiliere in erstaunlich flotten Manövern um die Jacht herumflogen und sich in die gähnende und nun auch kräftig qualmende Öffnung des Ionenhammers warfen. Kaum waren sie verschwunden, erreichte die Kegel-Rakete ihr Ziel. Das bestrahlte Cardonium flammte einen winzigen Moment hell auf und wechselte sogleich in tiefes schwarz. Der Strahl drang nun durch die Hülle, erlosch jedoch sofort. Die Saugnäpfe lösten sich, veränderten sich blitzartig zu einer Art Greifwerkzeug und ergriffen die Ränder des frisch entstandenen Loches. Die Rakete drehte sich unter ihren eigenen Werkzeugen durch, das Triebwerk feuerte. Wie ein Kobold hüpfte der Kegel auf seinem Feuerstrahl hin und her, sehr schnell und abrupt. In diesen Sekunden machte sich die Rakete eine Eigenschaft des Cadoniums zunutze, die nach der Durchdringung mit einem Plasmastrahl üblicherweise auftrat. Das an die hineingebrannte Öffnung angrenzende Material wurde spröde. Nicht sehr lange, vielleicht eine Minute, doch es reichte. Die Rakete bog die heißen Ränder des Loches auf, ein etwas umständlicher Prozess, der sehr schnell durchgeführt werden musste. Schließlich war eine Öffnung von vielleicht zwei Metern Durchmesser gebogen, als die Rechner der Rakete erkennen mussten, dass es nicht mehr weiter ging. Folgerichtig öffnete sich der eiserne Griff der Werkzeuge, und die Rakete kehrte zur Grizzly zurück.

      Die beiden verbliebenen Sturmboote hatten die Zeit genutzt, um sich auf der Hülle zu verankern. Sobald die Rakete ihre Position verließ, öffneten sich auch bei diesem Boot die Luken und ein Schwarm gepanzerter Füsiliere bevölkerte die Außenhülle der Jacht. Der erste Mann an der Öffnung warf eine Granate hinein, wartete ab, bis der Glutball an ihm vorbei verpuffte, und stürzte sich kopfüber in die Saskia.

      Die Brückencrew beobachtete den Kampf über die Displays. Fünf der beteiligten Füsiliere trugen Helmkameras mit sich, deren Aufnahmen direkt ins Mutterschiff gesendet wurden. Major Anheuser hielt sich hinter der Spitze seines Trupps auf, erhielt dadurch die Muße, über das Helmdisplay im Splitscreen-Verfahren alle Einzelheiten des Unternehmens überwachen und lenken zu können. Alle Führungsoffiziere der Raumlande-Füsiliere durchliefen eine langwierige Ausbildung mit dem Ziel, komplexe Informationen auswerten zu können, ohne in