Helmut H. Schulz

Felix Morak / Meschkas Enkel


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sehen, wie es sich ergibt.«

      »Weshalb soll sie denn nicht ins Heim zurück, wenn die ihr einen Lehrvertrag geben?«

      »Weil sie es nicht will«, sagte er mit Nachdruck.

      »Ach? Die hat auch einen Willen? Der du alles sagen musst? Na, weißt du! «

      »Das wird sich alles demnächst finden«, erklärte er, das Thema wechselnd. »Du könntest mich bei meiner Neuen ein bisschen herausstreichen. Wer bin ich denn? Hätte ich keine Papiere, besser gesagt, keine Vergangenheit, wüsste keiner, daß ich überhaupt auf der Welt bin.«

      »So ein Unsinn«, warf sie entschlossen ein, »ein Kerl wie du!

      Nun, wir werden ja sehen!« Nach diesem Gerede gingen sie weiter auf der Hauptstraße in Richtung Hotel.

      Kapitel 3

      Nach dem Regen war die Kleinstadt um die Mittagsstunde recht belebt. Die schmalen Gehsteige reichten nicht hin, um drei Personen nebeneinander gehen zu lassen. Plötzlich drängte sich Hanna zwischen Morak und seiner Schwägerin; sie tat es so energisch, daß die beiseitegeschobene kleine Frau verblüfft stehenblieb.

      »Na, ist dieses Luder dreist!«

      »Hör auf zu sticheln«, sagte Morak. »Wirst dich daran gewöhnen müssen, daß sie da ist. Du erfährst es ja doch; ich treffe sie morgen zum ersten Mal.«

      Ob dieser Mitteilung verschlug es der Schwägerin die Rede.

      Als sie sich gesammelt hatte, fand sie die Sprache wieder. »Kaum daß meine Schwester unter der Erde ist? Weshalb denn das?«

      »Jetzt ist es genug«, entfuhr es ihm. »Was mischst du dich in meine Angelegenheiten ein? Tot ist tot.« Er steigerte sich noch: »Und was hast du vorhin alles gequatscht? Nimm dich in acht, Isolde!«

      Er atmete tief, rüttelte ärgerlich die Schultern und beruhigte sich wieder. Ahnend, daß ihn diese alte Geschichte, die Mär vom Totschlag, anlässlich dieser Erbschaftsgeschichte wieder einholen könnte, beschloss er der Schwägerin Rede und Antwort zu stehen. Sie würde wohl nicht locker lassen. Mit der Schwester Isoldes hatte er einen gut Teil seines Lebens bereits verbracht, als er für drei Jahre hinter Gitter wanderte, viel mehr wandern sollte. Es kam anders, aber die Tote hätte auch ohne das unbeirrbar zu ihm gehalten. Immerhin entsann er sich auch heute noch mit Scham seines Verbrechens, nein, seiner Feigheit, einem Fehler, von dem er zuvor nichts gewusst hatte.

      Hinter der juristischen Formulierung, fahrlässige Körperverletzung mit Todesfolge, steckte nichts anderes als ein vermeidbarer, also doch tatsächlich fahrlässig herbeigeführter Autounfall. Damals Mitglied der Kampfgruppe seines Betriebes, war er eines Nachts aus dem Bett zu einer Übung gerufen worden, hatte immerhin so viel Verstand besessen, sich mit dem Hinweis zu weigern, schwer berauscht nach einer Familienfeier gerade nach Hause gekommen zu sein. Schließlich war ihm vom Kommandeur der Truppe die Wahl gelassen worden, ein Parteiverfahren mit nicht abzusehenden Folgen hinzunehmen, oder die Fahrt anzutreten, zwei andere zur Übung abzuholen. Daß er nach zwei Tassen starken Kaffee nüchtern und fähig wäre, das Auto zu beherrschen, erwies sich als Fehlentscheidung. In einer Kurve verlor er die Herrschaft über den Wagen, prallte gegen das Wartehäuschen einer Buslinie und riss eine junge Frau in den Tod, er schleifte sie mit, ohne es überhaupt zu bemerken, und wurde erst aufmerksam, als ihn der Beifahrer anschrie und ins Lenkrad griff.

      Bei der Voruntersuchung war dies alles festgestellt worden; inzwischen aber kannte jedermann im Kreis den haarsträubenden Fall. Aber auch die Justiz war in der Klemme; sie konnte sich nicht dumm stellen, musste aber ein klares Urteil vor der Öffentlichkeit begründen.

      Von der Staatsanwaltschaft war Morak zugesichert worden, daß in dieser Strafsache ein Scheinurteil ergehen werde, falls er kooperativ sei und nicht auf der Version beharre, ihm sei keine Wahl geblieben. Zwischen Strafrecht und Parteidisziplin bestehe kein Unterschied, es gäbe also nicht etwa zweierlei Recht; er gab nach. So kam es zunächst auch, in der Hauptverhandlung bekannte er sich schuldig, erhielt drei Jahre Haft ohne Bewährung, was automatisch den Parteiausschluss nach sich zog und natürlich Ehrverlust und die Entlassung von einem leitenden Ingenieurposten. Immerhin saß er wirklich nur einige Monate ab, wurde begnadigt, die Strafe wurde außer Vollzug gesetzt. Im Knast hatte Morak Zeit genug gehabt, über sich nachzudenken, und war zu dem Schluss gekommen, daß es ihm an moralischen Mut mangelte, zumal ihn die durch sein menschliches Versagen Getötete bedrückte. Sein Fall hatte einen exemplarischen Charakter, jeder handelt für sich allein verantwortlich. Jetzt wollte er frei sein, die ganze Freiheit haben, um nach seiner Einsicht zu handeln. Man akzeptierte, um nicht noch mehr Staub aufzuwirbeln, und ermöglichte Morak die unauffällige Existenz eines kleinen Selbständigen.

      Bei dieser Gelegenheit war es also zur ehelichen Gütertrennung gekommen. Zwar ging der Fall Morak dem öffentlichen Gedächtnis schließlich verloren, hatte aber Folgen ganz anderer Art. Seine Frau übernahm als Wiedergutmachung zuerst eine Pflegschaft über Hanna und holte sie bald mit Zustimmung des Arztes und dem Vormundschaftsgericht zu sich. Das Kind hatte bei der Geburt einen Hirnschaden erlitten, der Nachlässigkeit oder der Unwissenheit eines Arztes geschuldet, der den Kaiserschnitt zu spät eingeleitet hatte, als der Kopf des Kindes schon längere Zeit, jedenfalls zulange, im Geburtskanal stecken geblieben war und Sauerstoffmangel eintrat. Die Mutter überlebte die zu spät vorgenommene Operation nicht, und ihr Kind behielt einen Hirnschaden, dessen Folgen im Laufe der Jahre zwar gebessert werden konnten, aber ein vollwertiges Leben, kaum ein Erwerbsleben, würde das Mädchen führen können, es war also auf Hilfe angewiesen. Dies lag mehr als zehn Jahre zurück und hatte das Leben der beiden Eheleute bestimmt.

      Mit dem Tode der Frau und Pflegemutter, als der Nachlass der Verstorbenen geordnet wurde, fand sich der Hinweis auf ein Testament in Händen eines Anwalts zu Gunsten ihrer Ziehtochter; dem Witwer sollte die Vormundschaft für dauernd übertragen werden. Nach dem Willen der Verstorbenen sollte er das Haus verkaufen, und den Erlös als Sicherheit für die Ziehtochter anlegen. So etwa der Stand der Dinge. Morak sah sich in einer Verpflichtung der Toten gegenüber, aber in den Jahren hatte er sich zudem an dieses kindliche Wesen um sich gewöhnt, das ihm bedingungslos vertraute, und das ihm auch eine gewisse Hilfe war. Da er sie nicht allein lassen konnte, war er auf den Einfall gekommen, eine neue Ehe einzugehen. Daß die Geschwister der Toten deren Verfügung auch anfechten könnten, darauf wäre er als Nichtjurist wie als Betroffener und Hinterbliebener nie gekommen. Erst auf dem Weg ins Hotel Zum Adler war ihm durch seine mundfertige Schwägerin vor Augen gehalten worden, daß die leicht Schwachsinnige, ein Hindernis bei einer neuen Ehe sein könnte.

      »Die Sache mit dieser Frau hat sich von selbst entwickelt«, erklärte er nach dieser Beichte auf dem Weg, »ich muss sie nun auch durchstehen.«

      »Was meinst du jetzt mit durchstehen? Das mit deiner Neuen? Deshalb hast du mich gerufen? Als Anstandswauwau! Da hast du dich vielleicht eine schöne Lage gebracht, mein guter Junge!«

      Sie hätte sich die Frage vorlegen können, welche Rolle sie hier spielen wollte. Allein sie stand wie auch er vor einer ungeöffneten Tür, und er mochte recht haben, wenn er ihre kühnen Behauptungen und Drohungen nicht ganz ernst nahm. Sie hielten jetzt alle drei Schritt.

      »Wenn du schon keinen Rat annehmen willst, Felix, sondern dickköpfig alles allein entscheiden willst, bitte, dann hättest du mich zu Hause lassen sollen, anstatt mich mit dem Versprechen herzulocken, ja, welchem eigentlich?«

      Sie lachte, ihre weißen Kunstzähne bis zu dem Rest rosigen Zahnfleisches entblößend. »Praktisch bist du ja, Felix, und schließlich ist dieses Trampel hier ja auch so etwas wie ein Mensch.« »Ich habe es mir so gedacht; Hanna und du, ihr nehmt ein Zimmer, ich nehme auch eins, ich kann hier doch nicht mit ihr in einem Zimmer schlafen. «

      »Ja, siehst du«, sagte Isolde befriedigt, »meine Rede. Zu wann ist denn der Anwalt bestellt?«

      »Gar nicht. Er erwartet uns im Gericht. Wir müssen ins Notariat, wir gehen, sobald ihr fertig seid; es ist nicht weit.«

      Indessen gab es beim Hotelempfang noch einige Schwierigkeiten. Der Angestellte hinter dem Tresen blätterte in seinem Buch mit