Katrin Fölck

Zahltag


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die Wohnung kommen können, da wir ihm etwas mitzuteilen haben.

      Er scheint bereits etwas zu ahnen. Sein angedeutetes Lächeln ist längst verschwunden.

      „Ist was mit Claudia?“

      Ich nicke.

      Bevor ich es ihm sagen kann, kommt es von ihm: „Sie ist tot.“

      Er sagt es tonlos, während er sich schwer auf die Couch fallen lässt.

      Ich blicke ihn überrascht an.

      „Woher wissen Sie das?“

      Wie abwesend sagt er: „Intuition.“

      Irritiert sehe ich ihn an.

      Ich hatte während meiner Dienstzeit schon einigen Menschen die Nachricht über den Tod eines nahen Angehörigen oder Liebsten überbringen müssen, tu mich jedoch bis heute schwer damit, zu glauben, dass es das wirklich gibt. Intuition.

      Vielleicht ist es doch eher eine Art Vorahnung. Oder nur die reale Konsequenz darauf, dass unser Gehirn das passende Ergebnis bereits bereithält, wenn man es nur genügend mit Nahrung versorgt. Alles andere setzt es aus vorhandenen Speichern zusammen, aus Gehörtem, Gelesenem, Gesehenem.

      Ich mustere ihn eindringlich. Er zeigt keine Regung.

      Rein gar nichts, was erkennbar macht, wie es in seinem Inneren aussieht. Oder wie es um sein Seelenleben bestellt ist. Er ist wie versteinert.

      Da ist kein Entsetzen, kein Schock, keine Verwunderung. Keine Wut.

      Spielte er uns etwas vor? Konnte er sich so gut verstellen?

      Oder hatte gar er etwas mit dem Mord zu tun?

      Eigentlich bin ich auf alles vorbereitet.

      Auf einen Schreianfall, Gefühlsaus- oder gar einen Zusammenbruch seinerseits. Wirklich auf alles.

      Aber nicht auf nichts.

      Nicht darauf, dass gar nichts passiert.

      Irritiert schaue ich zu Jost, meinem Kollegen. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Irgendwie bin ich mit der Situation überfordert. Das ist mir noch nie passiert. Aber vielleicht bin ich auch nur übermüdet. Immerhin hatte ich gerade mal drei Stunden Schlaf bekommen.

      Ich zücke mein Handy und informiere Susanne darüber, dass es einen Lebensgefährten gibt, und bitte sie, zu uns in die Lindenstraße 53 zu kommen.

      3

      „Was haben wir?“

      Susanne steht am Tisch und blickt in die Runde.

      Betretenes Schweigen der versammelten Kollegen an Ermittlern, Kriminaltechnikern und allen, die mit dem Mordfall Seiler vertraut sind, zeigt ihr an, dass wir gar nichts haben, außer der Toten.

      Keine Spuren vom Täter. Keine Zeugen. Keine Hinweise.

      Sie sieht müde aus, wie wir alle.

      Kurzes energisches Klopfen durchbricht die Stille, während im gleichen Moment schon die Tür auffliegt.

      Rosi Klein, die Kollegin aus der Pathologie, streckt ihren feuerroten Kopf ins Zimmer.

      Pumuckl, denke ich, gerade im rechten Moment.

      Ich grinse in mich hinein.

      Zum Glück, dass sie nichts davon weiß, welchen Spitznamen wir ihr gegeben haben.

      „Oh, das klappt ja.“, sagt sie. „Alle da.“

      Susanne nickt ihr zu und weist sie mit nur einer Handbewegung an, in unserer Runde Platz zu nehmen.

      „Kaffee?“, fragt sie.

      Während Rosi nickt, lässt sie eine weitere Tasse des äußerst schwarzfarbigen Getränks ein und stellt es auf den Tisch.

      Rosi nimmt einen Schluck und öffnet die Mappe, die sie mitgebracht hat, welche den Obduktionsbericht enthält.

      „Also. Die Tote ist weiblichen Geschlechts…“, beginnt sie.

      Damit ist das Schweigen gebrochen. Die Versammelten brechen in Lachen aus.

      Sichtlich verwundert über unsere Reaktion blickt sie auf. Sie hatte gar nicht erfasst, was sie da von sich gegeben hatte. Offensichtlich war sie mit ihren Gedanken schon beim nächsten Fall.

      Personalmangel, denke ich, wie überall.

      „Ich nehme an, Name, Wohnort und weitere Fakten zur Toten sind bereits bekannt?“, nimmt sie nochmals Anlauf, uns die Ergebnisse ihres Berichtes mitzuteilen.

      Wir nicken.

      „Der Leichnam wurde um 3.15 Uhr am Freitagmorgen an der Claußnitzer Straße/Ecke Moritzstraße von einem Zeitungsverteiler gefunden. Name, Wohnort und Aussage Selbigen liegen vor.

      Laut Obduktion war die Tote da bereits seit mehreren Stunden tot. Genau genommen, vier bis viereinhalb.

      Da der Tod zwischen zweiundzwanzig und dreiundzwanzig Uhr eintrat, können wir sagen, dass sie vom Tatort zum Fundort verbracht worden ist. Wahrscheinlich wäre sie ansonsten früher entdeckt worden.

      Der Tod erfolgte durch Fremdeinwirkung.

      Sie wurde erdrosselt. Es fanden sich keinerlei Spuren von Fasern in der Wunde, keine weiteren Spuren am oder im Leichnam.“

      Rosi macht eine kurze Pause, nimmt einen weiteren Schluck aus der Kaffeetasse, um uns dann mitzuteilen: „Georg hat mir seinen Bericht der Forensik gleich mitgegeben. Er wollte kurz nach Hause, um nach seiner Frau zu sehen. Ihr scheint es nicht gut zu gehen.“

      Sie nimmt ein loses Blatt Papier aus der Mappe, überfliegt es schnell und fasst dann für uns zusammen: „Keine Spuren am Tatort. Keine Fuß- oder Reifenspur. Kein Haar, kein Fingerabdruck. Nichts.

      Dass die Leiche zum Fundort gebracht wurde, ist sicher. Ob sie dabei jedoch im Kofferraum oder auf dem Beifahrersitz transportiert und dann heraus gestoßen wurde, können wir nur mutmaßen.“

      Rosi ist mit ihrem Bericht am Ende, schließt die Mappe und trinkt schnell ihren Kaffee aus.

      „So, tut mir echt leid, Leute, aber jetzt seid ihr dran.“

      Damit erhebt sie sich, legt die Mappe Susanne hin und verlässt den Raum mit den Worten: „Ich muss wieder…“

      „Verdammt!“, entwischt es Susanne. „Wir haben nicht die geringste Spur, nicht mal den kleinsten Ansatz, in welche Richtung wir ermitteln sollen.“

      Sie schüttelt ungläubig den Kopf und blickt dann in die Runde.

      „Kann sich jemand an einen solchen oder einen ähnlichen Fall aus der Vergangenheit erinnern? Hat es so etwas schon mal gegeben?“

      Raunen, Kopfschütteln und Schulterzucken.

      Ihr Blick bleibt an mir hängen.

      „Renner, checken Sie das mal?“

      Ich weiß, was jetzt auf mich zukommt.

      Stundenlanges Aktenwälzen.

      Aber auch, wenn dies nicht sonderlich zu meinen Lieblingsbeschäftigungen zählt, gehört es zu meiner Arbeit.

      Susanne scheint keine Antwort von mir zu erwarten, denn sie fährt bereits fort.

      „Einen sexuellen Hintergrund können wir nicht gänzlich ausschließen, denke ich. Es wurden zwar keine fremden Körperflüssigkeiten nachgewiesen, geschweige denn, irgendwelche Zeichen am Leichnam gesichtet, die in diese Richtung gehen, dennoch sollten wir diesen Aspekt nicht außer Acht lassen. Immerhin besteht die Möglichkeit, dass der Täter gestört wurde und so seiner eventuellen Absicht nicht nachkommen konnte…

      Jost, würden Sie sich um die kürzlich entlassenen Sexualstraftäter kümmern und deren Alibi überprüfen?

      In den dicklichen Beamten, der gemeinsam mit mir den Lebensgefährten der Toten aufgesucht