Ole R. Börgdahl

Fälschung


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woanders gegeben hatte oder noch gab. Dann sah sie die Signatur. Es war ihr erst gar nicht aufgefallen. Der berühmte Paul Gauguin hatte auf den Marquesas gemalt und dies war eines seiner Bilder. Warum auch immer Colette ihr dieses Foto geschickt hatte, sie fand das Bild schön und freute sich darüber. Sie überlegte kurz, ob es möglich war, davon einen größeren Abzug zu machen und es ins Büro zu hängen. Es gab in Taiohae mehrere Drogerien, die solche Aufnahmen auf Fotopapier drucken konnten. Sie wollte schon weiterblättern, sah aber noch einmal in das Gesicht des Mädchens. Die Kleine mochte fünf oder sechs Jahre alt sein. Sie schaute so, als habe sie eine Frage gestellt und wartete nun auf eine Antwort. Erst jetzt sah Florence, dass sie den Arm leicht angehoben hatte und etwas in der Hand hielt, etwas, das sie dem Betrachter anscheinend zeigen wollte.

      Nach einigen Sekunden blätterte Florence weiter. Das nächste Foto zeigte Colette lachend. Sie selbst hatte diese Aufnahme gemacht. Es folgten noch einige solcher Fotografien, abwechselnd mit ihr oder Colette. Auf dem letzten Foto stand der kleine Marc neben ihr. Er lächelte nicht, sondern sah nur erwartungsvoll in Richtung Kamera. Florence schmunzelte über die Aufnahme, dieser Gesichtsausdruck. Dann fiel ihr plötzlich etwas ein. Sie blätterte über die Tastatur in der Bildershow zurück, bis sie wieder die Aufnahme des Gauguin-Gemäldes fand. Hier stoppte sie. Sie ging mit dem Gesicht näher an den Monitor, nur ein kleines Stück, es war fast unbewusst. Sie kannte das Mädchen. Sie hatte das Kind schon einmal gesehen. Nicht als lebende Person, nein, auch als Bild, auf einer Fotografie, auf irgendeiner Fotografie.

      *

      Es kam eher selten vor, dass Heinz Kühler zu einer Dienstreise außerhalb Deutschlands geschickt wurde. Sein Ziel für die nächsten Tage war London. Als stellvertretender Geschäftsführer des Kunst- und Auktionshauses Blammer durfte er sich immerhin einen Flug in der Business Class und ein Vier-Sterne-Hotel leisten. Dieser Luxus war der Ausgleich für die anstrengende Arbeit, die ihm bevorstand. Noch am Tage seiner Ankunft war sein erstes Ziel die Tate Britain, eine der vier Tate Galleries, die sich in Millbank am Londoner Themseufer befand. Er konnte an diesem Tag noch nicht in die Archive. Er musste sich zunächst eine Benutzerberechtigung besorgen. Das Haus Blammer war Mitglied im Tate-Verein. Seine Mitarbeiter konnten sich daher zeitlich befristet in den Archiven aufhalten, um Recherchen in den umfangreichen Katalogmaterialien durchzuführen. Heinz Kühler füllte im Büro der Tate-Verwaltung den Antrag aus und gab ihn bei einer älteren Dame ab, die nach seinem Pass und dem Firmenausweis fragte. Er übergab ihr die Dokumente und sie notierte sorgfältig seine persönlichen Daten. Die Dame gab ihm schließlich die Ausweise zurück und unterrichtete ihn, dass er am nächsten Tag ab 9:00 Uhr seine Benutzerberechtigung abholen könnte, wenn die Angaben stimmten und die Genehmigung erteilt wurde. Er nahm die bürokratische Hürde gelassen und fand sich tags darauf pünktlich wieder in der Verwaltung ein. Die Berechtigung wurde ihm selbstverständlich erteilt, immerhin zahlte Blammer jährlich mehrere Hundert Pfund Gebühren für die Mitgliedschaft im Tate-Club. Die Archive befanden sich abseits der Ausstellungsräume. Die Tate Gallery war vornehmlich eine Kunstsammlung, mit regem Publikumsverkehr. Bis er in das Heiligtum gelangte, musste er noch dreimal seinen neuen Ausweis vorzeigen. Dafür boten ihm die einzelnen Archivräume und der Lesesaal eine angenehme Ruhe. Es gab einen Instruktor, den er um Rat fragen konnte. Er hatte sich verschiedene Stichpunkte notiert. Das Foto des Ölgemäldes hatte er selbstverständlich nicht dabei. Die gesamte Recherche sollte bis auf weiteres sehr diskret ablaufen. Sein erstes Interesse richtete sich nach Ausstelllungen, in denen Paul Gauguins Werke in den letzten hundert Jahren präsentiert wurden. Der Instruktor brauchte eine halbe Stunde, bis er die ersten Bände vorbeibrachte. Heinz Kühler hatte sich inzwischen eine Ecke des Lesesaales ausgesucht und dort lediglich sein Jackett über den Stuhl gehängt. Andere Besitztümer durfte er nicht in das Archiv mit hineinnehmen, er musste sie vorne im Eingangsbereich, in den dafür vorgesehenen Schließfächern verstauen. Im Eingangsbereich gab es auch eine Kaffeemaschine und einen Sandwichautomaten. Das Getränk und die Speisen durften allerdings auch nicht mit an den Arbeitsplatz genommen werden und mussten vor Ort im Stehen gegessen und getrunken werden.

      Der Instruktor hatte ihn für die nächsten Stunden versorgt. Es gab allein sieben Kataloge aus dem Folkwang Museum Essen, mindestens ebenso viele aus dem Musee d’Orsay. Später brachte ihm der Instruktor noch Kataloge aus dem Detroit Institute of Arts, vom Fine Arts Museums of San Francisco, aus der Neuen Pinakothek, aus der Staatsgalerie Stuttgart und von weiteren Museen und Galerien. Es war erstaunlich, welche Häuser alles Ölgemälde, Zeichnungen und sogar Skulpturen von Gauguin besaßen. Oft waren es nur wenige Werke, die für Ausstellungen mit Leihgaben ergänzt wurden. Die Eremitage in Sankt Petersburg besaß eine umfangreiche Sammlung gerade jener Bilder Gauguins, die auf Tahiti und den Marquesas entstanden waren. Dann fanden sich noch Südseebilder in New York, im Guggenheim Museum und im Metropolitan Museum of Art und auch hier in London, in der National Gallery. Mit der Zeit, von Ausstellung zu Ausstellung und über die Jahre und Jahrzehnte wiederholten sich die gezeigten Werke. Es dauerte nicht lange und Heinz Kühler hatte einen recht guten Überblick. Es gab Ausstellungen nur über den Maler Paul Gauguin, sein Schaffen vor 1892 und danach, aus der Zeit, in der er auf Tahiti und den Marquesas lebte. Dann gab es Themen, die sich nur mit der Kunstrichtung beschäftigten, die Gauguin vertreten und auch geprägt hatte. Bei Ausstellungen zum Synthetismus waren neben Paul Gauguin auch Maler wie Émile Bernard, Louis Anquetin und Paul Sérusier vertreten, die durch die sogenannte Schule von Aven bekannt geworden waren. Eine Ausstellung zum Symbolismus kam ganz ohne Gauguins Bilder aus, lediglich einige seiner schriftlichen Ausführungen und Briefe zu diesem Thema begleiteten die Werke von Nesterow, Bonnard, Klinger, Moreau und Munch. Bei mehreren Ausstellungen zum Expressionismus wurde Gauguin gar als der große Wegbereiter gefeiert. Die Liste der Künstler, die er inspiriert hatte und die mit ihren Bildern gezeigt wurden, war beinahe endlos. Alle Ausstellungskataloge waren in einem hervorragenden Zustand. Die Abbildungen der Ölgemälde, Zeichnungen, Aquarelle und Lithografien waren von hoher Qualität. Heinz Kühler konnte sich an den Fotografien nicht sattsehen. Er musste sich immer wieder ins Gedächtnis rufen, was er hier eigentlich suchte, um nicht abzuschweifen. Den ganzen Vormittag, fast bis nach 13:00 Uhr verbrachte er an seinem Arbeitsplatz, ohne eine Pause. Schließlich zwang er sich, doch zu einem Milchkaffee, den er sich aus dem Automaten im Eingangsbereich des Archivs holte. Das Personal am Eingangstresen hatte gewechselt. Anstelle des militärisch gekleideten Herrn war jetzt eine junge Dame erschienen, die ihm freundlich zulächelte. Er zog sich auch noch ein Sandwich aus dem anderen Automaten und aß es im Stehen, während er den Tresen beobachtete. Zur Mittagszeit verließen viele Besucher das Archiv. Ein Mann, der in der anderen Ecke des Lesesaals gesessen hatte, bediente sich ebenfalls am Kaffeeautomaten. Sie sprachen aber nicht miteinander. Der Mann sog sein Getränk schnell in sich ein und ging wieder zurück an die Arbeit. Nach fünfzehn Minuten suchte auch Heinz Kühler wieder seinen Schreibtisch im Lesesaal des Archivs auf und setzte seine Recherche fort.

      Die zahlreichen Abbildungen in den Katalogen hatten ihm inzwischen ein Gespür für den Malstil Gauguins vermittelt. Er hatte sich in seiner bisherigen Laufbahn eigentlich noch nie richtig mit diesem Künstler beschäftigt. Er war sich auch sicher, noch nie zuvor auf einer Auktion gewesen zu sein, auf der ein Gauguin versteigert wurde. Die Impressionisten, Expressionisten oder andere zeitgenössische Maler gehörten dazu ohnehin selten zum Geschäft des Hauses Blammer. Die einzige kleine Sensation, die Blammer jemals zu verzeichnen hatte, war die Versteigerung eines Liebermann. Es war allerdings keines der millionenschweren Werke, sondern ein eher unbekanntes Aquarell, aber immerhin ein Liebermann, der mehrere Hunderttausend eingebracht hatte. Das Kunst- und Auktionshaus Blammer war allerdings nur der Veranstalter und hatte damals eher bescheiden daran verdient.

      Heinz Kühler suchte nochmals nach dem Instruktor, der aber mittlerweile müde geworden war. Er gab ihm jetzt nur noch Tipps, wie er sich selbst auf die Suche machen konnte, um auch die vielbeachteten Privatsammlungen einsehen zu können. Es war seine letzte Chance, zumindest was die Tate-Sammlungen betraf. Es war aber auch eher wahrscheinlich, dass der Gauguin irgendwann einmal in einer der Privatsammlungen schlummerte und Edmund Linz ihn darum überhaupt erst kaufen konnte. Von einem Museum erhielt man höchst selten ein Kunstwerk, es sei denn, man war ein anderes Museum oder aber es handelte sich um Diebesgut, was Heinz Kühler im Falle des Gauguins zu fast hundert Prozent ausgeschlossen hatte. Unter dem Stichwort Privatsammlung gab es zwei verschiedene Arten der Veröffentlichung. Entweder entlieh ein Sammler einzelne, thematisch zu der