Ole R. Börgdahl

Fälschung


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hatte es dazu geführt, dass Details zum Teil verschwommen wirkten. Auf beiden Seiten des Flures hingen die Bilder, alle etwa im Abstand von einem Meter und alle auf gleicher Höhe. Die Rahmen waren größer, sodass die Aufnahmen als Passepartout von einem breiten weißen Rand umschlossen waren. Sie schritt die Galerie ab. In der Hand hielt sie den Ausdruck. Die Bilder an den Wänden zeigten Menschen, hauptsächlich die Ureinwohner der Marquesas, aber es waren auch europäische Gesichter darunter. Es gab Szenen an Anlegestellen, Fischer auf ihren Booten, das Anlanden von Waren oder Postsäcken nach Ankunft eines Versorgungsschiffes. Es gab eine Aufnahme vor einem der ersten Hotels auf Nuku Hiva, im Vordergrund hatten sich die Angestellten versammelt. Florence kannte das kleine Haus sogar. Das Hotel war mittlerweile etwas erweitert worden und heute in einer dunkleren Farbe gestrichen. Unter jedem Foto stand in Bleistift, ganz zart, der Ort, an dem die Aufnahmen entstanden waren und eine Jahreszahl. Florence erinnerte sich, dass noch in der Ausstellung im Gemeindehaus, neben den Fotoaufnahmen kleine Schildchen mit kurzen Erklärungen aufgehängt waren. Die Schildchen fehlten jetzt und waren durch die sorgfältigen Notizen ersetzt. Es gab Fotos, die auf Nuku Hiva, auf Hiva Oa und auf Ua Pou gemacht worden waren. Die Jahreszahlen hatten eine Spanne zwischen 1897 und 1905. Florence suchte nach einer Aufnahme, die sie im Geiste vor sich sah, an die sie sich eben in ihrem Büro erinnert hatte. Es handelte sich um ein Foto vom Strand, mit einem Boot im Zentrum des Bildes. Es war ein kleines Boot mit einem Mast, es gehörte vielleicht auch einem Fischer, der täglich in der Nähe der Inseln seine Netze auswarf. Die Boote, mit denen die Leute weit auf das Meer hinausfuhren, waren größer, es waren richtige kleine Schiffe, mit einem Deck und Laderäumen. Mit diesen Schiffen entfernten sich die Fischer weit von den Inseln und fuhren auf den Pazifik hinaus. Es war das Boot und es war das Gesicht des Mädchens. Beides hatte Florence schon einmal auf einem der ausgestellten Fotografien gesehen. Jetzt wo sie an der Galerie der Schwarz-Weiß-Bilder vorüberging, erinnerte sie sich an das, was sie suchte. Auf einem der Fotos befand sich ein Boot im Mittelpunkt der Aufnahme. Es waren Erwachsene, Halbwüchsige, Kinder, es waren Männer, Frauen, Jungen und Mädchen, die links und rechts neben dem Boot standen und sich fotografieren ließen. Florence war überzeugt, dass eines der Kinder ebenfalls einen Sonnenhut trug, genauso einen, wie die Kleine auf dem Ölgemälde. Sie schritt weiter an der Bildergalerie vorbei. Sie hielt sich jetzt nicht mehr damit auf, jede einzelne Fotografie genau anzusehen. Sie suchte nach dem Motiv, nach der Strandszene. In der Orthopädie hingen gut zwanzig Bilder. Aufnahmen vom Strand waren zwar auch darunter, aber nicht dieses eine, das sie suchte. Es gab noch einen Flur im Krankenhaus, auf der anderen Seite des Gebäudes, auf dem die übrigen Bilder aufgehängt waren. Florence verließ die Orthopädie. Jede Station hatte von außen einen Zugang. Vor dem Krankenhaus verlief ein breiter gepflasterter Weg, von dem die Eingänge zu den einzelnen Stationen abgingen. Sie verließ das Gebäude. Sie ging auf dem Weg, bis ans andere Ende des Komplexes und betrat dann die Abteilung für Innere Medizin. Bereits in dem kleinen Vorraum, von dem die Ärztezimmer und Behandlungsräume abgingen, hingen einige der übrigen Fotografien aus der ehemaligen Rathaus-Ausstellung. Jetzt wusste sie auch, warum sie sich so gut an das Bild erinnern konnte. Auf die Flure der Stationen kam sie eher selten. Hier in diesem Vorraum hatte sie aber mehr als einmal gewartet. Es kam oft vor, dass sie die Ärzte beriet, wenn es um die richtigen Medikamente für einen Patienten ging. Die Gespräche fanden zumeist in den Ärztezimmern auf den Stationen statt. Bei den Terminen musste sie oft noch warten, wenn gerade ein Patient im Behandlungsraum versorgt wurde. Dann hatte sie häufig die Zeit, sich die Fotografien anzusehen. Sie kannte die Aufnahmen hier in der Inneren daher besser als die Bilder, die in der Orthopädie hingen. Das Foto, das sie suchte, fand sie sofort. Es gab sogar noch ein zweites Bild, auf dem das kleine Mädchen zu sehen war und sie war es tatsächlich. Die Ähnlichkeit zwischen dem Gauguin-Gemälde und dem Kind auf den Fotografien war mehr als deutlich. Florence hatte sich zunächst nur an den Sonnenhut erinnern können und weniger an das Gesicht. Sie verglich noch einmal die alten Fotografien mit dem Gemälde. Sie hielt den Ausdruck daneben. Nein, es war eindeutig, sie war es. Florence war ganz aufgeregt. Eines der Bilder aus der Ausstellung war das Gruppenfoto, das Florence die ganze Zeit vor Augen hatte. Im Zentrum der Fotografie befand sich das Fischerboot, es war auf den Strand gezogen. Der Mast war durch den oberen Bildrand abgeschnitten. Mehrere Erwachsene standen links und rechts vom Kiel. Vor ihnen hatten sich Kinder und einige Frauen gehockt. Es waren vielleicht fünfzehn Personen. Das Foto war so aufgenommen, dass die Gesichter all der Menschen gut zu erkennen waren. Die zweite Fotografie zeigte nicht den Strand, sondern eine Siedlung mit Häusern und unbefestigten Straßen. Die Kleine trug hier keinen Hut mehr und hatte auch ein anderes Kleid an. Es war ein schweres, braunes Kleid, das nicht richtig zum Klima der Inseln passte. Vor einem Kolonialwarenladen hatten sich ein Dutzend Kinder versammelt. Es sah beinahe aus wie eine Schulklasse. Einige der Kinder hatten große geflochtene Körbe vor ihre Füße gestellt, die mit Obst und Gemüse angefüllt waren. Neben dem kleinen Mädchen schienen auch alle anderen Kinder europäischer Abstammung zu sein. Das Bild war anders, als die Aufnahme vom Strand. Auf dem Foto vom Strand hatten die Erwachsenen und auch die Kinder noch versucht, sehr würdevoll in die Kamera zu blicken. Insgesamt sahen aber alle immer noch sehr fröhlich aus und lächelten beinahe, als wenn der Fotograf es ihnen vor dem Auslösen der Kamera zugerufen hätte. Auf dem zweiten Foto, das vor diesem Laden aufgenommen worden war, hatte das kleine Mädchen die Augen leicht zusammengekniffen und sah recht ernst aus. Es war eindeutig, dass Gauguin in dem Ölgemälde eher die Stimmung eingefangen hatte, die auch in der Fotografie vom Strand herrschte. Florence nahm die zweite Aufnahme von der Wand und hielt sie neben die Strandszene. Sie sah sich die beiden Fotos genauer an. Ihr Blick wechselte mehrfach vom einen zum anderen. Irgendetwas unterschied die Gesichter des kleinen Mädchens. Es war nicht der Gesichtsausdruck, es war etwas anderes. Florence überlegte, aber sie konnte den Grund dafür nicht feststellen. Die Kleine hatte lange, wohl dunkelblonde Haare, die glattgekämmt über ihrer Schulter lagen. Bei der Aufnahme am Strand waren ihre Haare noch von dem Hut verdeckt. Florence betrachtete sich das Ölgemälde. Gauguin hatte sie so gemalt, dass ihre langen Haare nach hinten über den Rücken gelegt waren. Einige Strähnen bedeckten die Schulter und waren nur schwer von der Farbe ihres Kleides zu unterscheiden. Der Schwarzweiß-Ausdruck des Ölgemäldes gab diesen Kontrast nur schwach wieder. Florence erkannte jetzt auch, dass das Kleid auf dem Ölgemälde nicht nur einen ähnlichen Schnitt hatte, wie das Kleid, das die Kleine auf dem Foto vom Strand trug, das Muster schien auch sehr ähnlich zu sein. Es stimmten erstaunlich viele Details überein. Die beiden Fotografien, auf denen das Mädchen zu sehen war, stammten von der Insel Hiva Oa und waren im Jahr 1904 aufgenommen. Florence stutzte. Sie hatte immer noch eines der Fotos in der Hand und legte es auf den Boden des Stationsflures. Den Ausdruck des Ölgemäldes nahm sie jetzt in beide Hände und hielt ihn in das Licht, das durch die Stationstür von draußen in den Flur strahlte. Sie versuchte den Text zu entziffern, der mit einem feinen Pinselstrich in die rechte Bildecke geschrieben war. Neben der Signatur konnte sie als Entstehungsdatum des Ölgemäldes das Jahr 1902 lesen. Unterhalb von Signatur und Jahreszahl war der Bildtitel geschrieben. »Julie des Bois«, las Florence laut vor. Es war die Jahreszahl, die sie stutzig machte. Sie überlegte. Das Motiv des Ölgemäldes konnte nicht von der Fotografie stammen. Die Fotografie wurde erst zwei Jahre nach der Entstehung des Ölgemäldes aufgenommen. Oder war vielleicht die Datierung der Fotografien falsch, stammten die Aufnahmen vielleicht doch aus dem Jahr 1902. Sie sah sich wieder die Strandszene an und verglich auch diese Fotografie mit dem Ölgemälde. Es war schwer zu sagen, ob Gauguin das Foto gekannt hatte, bevor er sein Bild malte. Ganz sicher war sich Florence nur, dass das kleine Mädchen auf den beiden alten Fotografien mit dem Kind auf dem Gauguin-Gemälde übereinstimmte. Sie bückte sich wieder und hob die abgelegte Fotografie vom Boden auf. Sie hielt diese Aufnahme und das Foto des Ölgemäldes links und rechts neben die Fotografie der Strandszene. Ihr Blick wanderte noch ein paar Mal von Bild zu Bild. Sie klemmte sich den einen Rahmen schließlich unter den Arm und nahm die Strandszene ebenfalls von der Wand. Sie würde die Bilder in einer halben Stunde wieder zurückbringen. Florence verließ die Station und lief den Weg am Gebäude entlang zum Eingangsbereich zurück. In ihrem Büro angekommen, löste sie die Fotografien aus den Rahmen. Die Rückseiten der Bilder trugen Aufkleber, auf denen das Copyright eines Fotolabors vermerkt war. Das Fotolabor hatte seinen Sitz auf Tahiti. Es war eine Hausanschrift und sogar eine E-Mail-Adresse vermerkt. Zusätzlich hatten die Fotografien noch unterschiedliche Registrierungsnummern. Florence notierte sich alles. Im Vorraum ihres Büros hatte sie einen Drucker, mit dem sie die Aufnahmen scannen konnte.