lehnte sich in seinen Stuhl zurück. Er nahm seine Notizen und plante weitere Kombinationen der Suchbegriffe. Einige der Artikel, die er geöffnet und gelesen hatte, beschäftigten sich mit dem Stil Gauguins. Symbolismus, Expressionismus und Impressionismus. Er beugte sich wieder über die Tastatur. Er löschte den Namen »Julie« aus seiner letzten Suchanfrage und fügte zu »Gauguin« die Begriffe »Symbolismus«, »Expressionismus« und »Impressionismus« hinzu. Zusätzlich verwendete er noch den Begriff »Hiva Oa«, um das Ganze weiter einzuschränken. Er löste die Suche aus. Nach wenigen Sekunden erschien wieder die Anzahl der Treffer auf dem Computermonitor. Immerhin waren es diesmal dreiundsiebzig. Er ließ sich die Liste mit den Titeln der Treffer anzeigen. Einiges war in Französisch, das meiste aber auf Englisch. Er hatte vorher noch nicht gesehen, dass er die Liste auch chronologisch sortieren konnte. Er ließ die Anzeige jetzt mit dem ältesten Artikel beginnen. Der dritte Eintrag war eine Abhandlung zum Tode Claude Monets vom Dezember 1926. Er überlegte kurz und ihm fiel ein, dass der Suchbegriff »Impressionismus« zu dem Treffer geführt haben musste, aber auch der Begriff »Gauguin« musste in dem Artikel vorkommen, da er seine Suche so eingestellt hatte, dass immer alle Suchbegriffe in einem Treffer vorkommen sollten. Er öffnete den Treffer über Claude Monet. Es war ein Leserbrief, aus einer neuseeländischen Tageszeitung, dem Auckland Chronicle. Der Autor behauptete Zeitzeuge gewesen zu sein und das Aufkommen des Impressionismus in Frankreich miterlebt zu haben. Der Leserbrief begann sehr ausschweifend. Erst nach mehreren Absätzen tauchte zum ersten Mal der Name Paul Gauguin auf, in einer Aneinanderreihung weiterer Künstler aus dem Umfeld oder der Zeit Claude Monets. Er las nicht weiter und machte sich noch nicht einmal die Mühe, den Leserbrief nach weiteren Stellen abzusuchen, an denen der Name Gauguin auch noch erwähnt wurde. Es bestand die Möglichkeit, ausgewählte Treffer in einer separaten Liste zu speichern, die später auf CD-ROM mitgenommen werden konnten. Er wusste nicht warum, aber er verschob den Leserbrief aus der neuseeländischen Zeitung ebenfalls in diese Liste, in der er schon gut zehn seiner bisherigen Treffer gesammelt hatte.
Er beendete seinen Ausflug in die Kunststile des neunzehnten Jahrhunderts und nahm sich der polynesischen Sprache an. Er begann den Titel eines Gauguin-Bildes als Suchbegriff einzugeben. Alle Wörter des Bildtitels zusammen ergaben einen einzigen Treffer. Es war der Verweis auf das Werk selbst. Er nahm daraufhin die einzelnen Worte und verknüpfte seine Suche mit dem Namen »Gauguin«. Hierbei erschien ebenfalls nur der Verweis auf das Gauguin-Gemälde. Er probierte es weiter, mit anderen Bildtiteln, ohne Erfolg. Bei seinen letzten Versuchen konzentrierte er sich schließlich auf die Frauennamen. Den Namen »Julie« hatte er bereits ausgeschlossen. Er versuchte es jetzt mit den Namen von Gauguins Geliebten. Immerhin kamen dabei zusammen etwa dreißig Treffer heraus. In den Artikeln, die er als Treffer erhielt, ging es vornehmlich um die Bedeutung dieser Frauen in Gauguins Werk, sein Verhältnis zu ihnen und wie und wo er sie dargestellt hatte. Dieser letzte Punkt schien noch einmal interessant zu sein. Er öffnete zwei der Artikel, die er sich diesmal sofort ganz durchlas. Das eine war eine fast fünfzigseitige Abhandlung, eine Übersetzung aus dem französischen ins Englische. Er brauchte fast eine Stunde und vertiefte sich dabei in die Abgründe von Gauguins Liebesleben. Es war sehr interessant, wie er feststellte, hatte aber nichts mit dem zu tun, wonach er suchte. Es gab in den gesamten Ergebnissen seiner Recherche keinen einzigen Hinweis auf das Bild »Julie des Bois«, es gab auch keinen Anhaltspunkt auf irgendein anderes Bild, mit einem ähnlichen Motiv oder Titel. Heinz Kühler hatte sich vom Victoria and Albert Museum mehr versprochen. Dass er in der Tate Gallery nicht fündig geworden war, hatte ihn nicht weiter gestört, doch wenn das Gemälde von dem kleinen Mädchen mit dem Sonnenhut jemals irgendwo aufgetaucht war, dann hätte er etwas in den Historic Catalogues of the National Art Library finden müssen.
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Sowohl in London als auch in München war es bereits später Nachmittag, als eine neue Spur auftauchte. Während Heinz Kühler im Victoria and Albert Museum an dem Fall arbeitete, hatte sein Chef mit einem Kurator des Museums Folkwang in Essen gesprochen und sich beraten lassen. Es kam eine Liste mit einem halben Dutzend Sammlern heraus, die dem Museum als Besitzer eines Gauguins bekannt waren. Es ließ sich allerdings nicht nachvollziehen, ob die Bilder noch im Besitz der Sammler waren. Simon rief in London an. Er konnte Heinz Kühler zwar nicht direkt erreichen und ihn auch nicht ans Telefon holen lassen, aber er erhielt eine E-Mail-Adresse, mit der er Kontakt zu seinem Mitarbeiter aufnehmen konnte. Heinz Kühler war nicht überrascht, als plötzlich der Eingang einer Nachricht angezeigt wurde. Er las sich durch, was sein Chef für ihn hatte und öffnete dann die Liste mit den Namen der Privatsammler. Er suchte daraufhin nach den Werken, die diese Sammler von Paul Gauguin besaßen. Noch einmal begann er alle Register der Suchmaschine der Historic Catalogues zu ziehen. Die Informationen, die ihm Simon übermittelt hatte, waren so detailliert, dass Heinz Kühler ohne Probleme die Kunstwerke aufspürte, die sich in den Privatsammlungen befanden. Er stieß sogar auf Artikel mit bebilderten Beschreibungen der Gauguin-Gemälde. Es gab allerdings kein einziges Bild mit dem Titel »Julie des Bois« oder gar eines, das dem Motiv des kleinen Mädchens mit dem Sonnenhut nur annähernd glich. Die Recherche blieb auch hier erfolglos.
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Colette ging zuerst in die Küche, obwohl sie die Einkaufstüten noch im Auto hatte. Marc war heute Nachmittag bei einem Freund. Er war kurz zu Hause gewesen, hatte sich aus dem Kühlschrank ein vorbereitetes Essen genommen und war dann wieder mit dem Fahrrad losgefahren. So hatte er es ihr zumindest am Telefon berichtet. Die Post hatte er schon aus dem Briefkasten genommen und auf den Küchentisch gelegt. Es kam vor, dass Simon Geschäftspost an ihre Privatadresse erhielt. Der Stapel mit den Briefen lag neben dem Obstkorb. Colette sah ihn sich an. Diesmal war es hauptsächlich Werbung und ein Brief von der Bank, den sie sofort öffnete. Ihre neuen EC-Karten lagen zur Abholung bereit, ein Vorgang, der sich alle zwei Jahre wiederholte. Sie legte den Packen zurück auf den Küchentisch. Die Werbung würde sie sich später noch ansehen. Sie ging noch einmal in die Garage, um aus dem Wagen die Einkaufstüten zu holen. Sie musste zweimal gehen.
Am Nachmittag hatte sie nichts Besonderes mehr vor, sie musste auch keinen Unterricht geben, erst morgen wieder. Es war an manchen Tagen schon recht warm draußen, zumindest schien die Sonne. Sie ging in den Wintergarten, legte eine Auflage auf einen der Teakholz-Deckchairs und nahm sich das bereitgelegte Buch, das sie endlich einmal ohne Unterbrechung durch Marc lesen konnte. Nach einer halben Stunde legte sie den Roman aber dann doch beiseite und entschloss sich, im Internet zu surfen. Sie holte ihren Laptop aus dem Arbeitszimmer. Vom Wintergarten aus hatte sie immer einen guten Empfang zum Router, sodass sie kabellos ins Internet gehen konnte. Sie ließ sich die Schlagzeilen französischer Zeitungen anzeigen. Im Internet war es ihre Lieblingsbeschäftigung, Nachrichten aus ihrer Heimat zu lesen. Sie war in Nantes geboren und suchte hier zuerst in den Tageszeitungen und Magazinen, im L’Eclair, im Plein Ouest oder im Paruvendu Nantes. Nach den lokalen Nachrichten interessierte sie auch die Presse in Paris und überregional aus Frankreich. Sie wählte die Internetseiten vom L'Équipe, vom Le Parisien und natürlich vom Le Figaro und vom Le Monde. Sie stöberte schon eine ganze Stunde, als sie an ihre elektronische Post dachte. Sie hatte heute noch nicht ihren Maileingang geprüft. Sie wechselte zum Mailprogramm und öffnete ihren Posteingangskorb. Es gab nur eine einzige neue Nachricht. Florence hatte ihr geantwortet. Es war schon fast zwei Wochen her, dass Florence sie hier in München besucht hatte. Colette öffnete die Mail und las sich die Grüße ihrer Freundin durch. Florence hatte sich sehr über die Bilder gefreut, auch wenn einige Aufnahmen nicht besonders schmeichelhaft waren. Colette überlegte, sie hatte sich die Bilder selbst noch gar nicht angesehen, sie hatte es vergessen. Sie würde es gleich nachholen, sie las zunächst aber weiter. Florence meinte, dass zwei oder drei der Fotos in den Müll gehörten, aber insgesamt sei es eine schöne Erinnerung. Colette wollte schon den Ordner mit den Bildern aufrufen, um sich endlich auch selbst einen Eindruck zu verschaffen, dann stutzte sie. Sie las die Mail noch zu Ende und verstand zunächst nicht. Florence hatte noch drei Bilddateien an ihre Mail gehängt, zwei Fotografien und die Aufnahme von einem Ölgemälde, das ein kleines Mädchen mit einem Sonnenhut zeigte. Aus dem, was Florence ihr dazu schrieb, verstand Colette, dass sie selbst ihrer Freundin die Aufnahme von dem Ölgemälde geschickt hatte. Colette wusste nichts von diesem Bild, ihr wurde aber schnell klar, dass es schon auf der Kamera gespeichert gewesen sein musste, als sie den Apparat für ihren Ausflug in die Münchner City benutzt hatten. Sie