Mona Gold

Die Blutsippe


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niemand würde dir glauben, wenn du einen blutsaugenden Fremden beschuldigen würdest, dich überfallen und dein Blut getrunken zu haben. Außerdem würde ich meinerseits erst recht nicht zugeben, solch eine Person zu kennen bzw. von einer solchen mit 'Cousin' angesprochen zu werden.“ Anna schluckte. Nun fasste Leo sie sanft an den Schultern und schüttelte sie leicht. „Stell dir doch mal vor, wie du einem Polizisten diesen Vorfall beschreiben würdest?“ Leo wurde allmählich unruhig. Anna hatte etwas erlebt, das durchaus real war, jedoch niemals irgendwo ernst genommen werden würde. Er wusste nur zu gut, dass sie die Wahrheit sprach, aber er wusste noch zu wenig von ihr, um ihr trauen zu können. Niemals würde er bei der Polizei diesen Vorfall bestätigen. Fast schon mitleidig schaute er auf die junge Frau runter, die mehr als zwei Köpfe kleiner war als er und nun einen wirklich erbosten Gesichtsausdruck zur Schau trug.

      Hinter Annas Stirn arbeitete es. Irgendwie hatte Leo sogar recht. Was sollte sie einem Polizisten denn erzählen? Dass sie in einem alten Keller von einem Vampir angezapft worden war? Bestenfalls würde sich die gesamte Polizeiwache über sie amüsieren, aber glauben, glauben würde ihr niemand. Sie schluckte, dann nickte sie langsam. „Du hast recht, niemand würde es mir glauben.“ Doch noch während sie diese Worte sprach kam ihr irgendetwas eigenartig vor. Wieso hatte Leo nicht genauso verstört auf diesen Vorfall reagiert wie sie selbst? Es war, als habe er eine gewisse Routine mit Angelegenheiten dieser Art… Anders ließ sich sein Verhalten nicht beschreiben. Aufmerksam sah sie ihn an. Er jedoch erwiderte ihren Blick mit einem unverfänglichen Lächeln. Doch hinter seinem Lächeln verbarg er seine große Besorgnis darüber, dass es ausgerechnet Anna getroffen hatte. Ausgerechnet. Jedem anderen Bewohner der Burg wäre von alleine klar gewesen, dass diese Art der Bedrohung nichts ist, das man bei der Polizei anzeigen kann, sondern etwas, das auf andere Weise gelöst werden musste. Aber Anna war erst seit gestern auf der Burg. Als nach dem Tod ihrer Mutter ihre Existenz bekannt wurde, hatte er zumindest am Rande mitbekommen, dass sie ohne jegliches Wissen über das mütterliche Erbe groß geworden war. Mittlerweile vermutete er, dass das auch ihr Nichtwissen um die Existenz von Vampiren betraf. Das könnte sie zu einem Problem werden lassen. Ausgerechnet die Frau, die sein Herz so hoch schlagen ließ wie schon lange keine mehr vor ihr. Er wollte alles andere, als sie gegen ihn und Seinesgleichen aufbringen. Aber daran wollte er jetzt lieber noch nicht denken. Vielmehr sollte er sie besänftigen und ihr wirklich helfen, wo es möglich war, um sie für sich zu gewinnen.

      Die erste Gelegenheit dazu bot sich in Form seiner entlastenden Aussage bei der Polizei bezüglich des gestrigen Abends. So versöhnlich wie es nur ging lächelte er Anna an. „Wenn du willst können wir gleich jetzt zur Polizei fahren und die Aussage machen.“ Jetzt lächelte sie endlich wieder. „Aber dafür ist es längst zu spät.“ Mit einem flüchtigen Kopfnicken verwies sie auf seine Armbanduhr. "Schau doch mal, wie spät es schon ist. Wir sind doch bestimmt schon Ewigkeiten hier unten.“ Irritiert warf Leo einen Blick auf seine Armbanduhr. „Da muss ich dich leider eines Besseren belehren. Es ist erst halb sechs. Wenn wir jetzt Johanns Kutsche nehmen, sind wir in nicht mal zwei Stunden da.“ Anna schaute zweifelnd. „Wäre es nicht besser, deine Aussage auf morgen zu verschieben?“ Sie wollte noch weiter sprechen, doch legte ihr Leo ganz zart seinen Finger auf die Lippen und schüttelte den Kopf. „Nicht morgen. Jetzt und heute. Hast du irgendeine Telefonnummer von den beiden Polizisten, die dich heute befragt haben? Ja? Dann ruf an. Deine Tante hat zwar kein Telefon, aber du hast doch bestimmt ein aufgeladenes Smartphone von zu Hause mitgebracht?“ Als Anna ihn fragend anschaute, zuckte er nur lächelnd mit den Schultern. „Wie gesagt, du hast mir bei unserem gestrigen Spaziergang durch den Wald sehr, sehr viel über dich erzählt. Unter Anderem, dass du befürchtest bei der vorsintflutlichen technischen Ausstattung deines neuen Zuhauses sehr bald Entzugserscheinungen zu bekommen und deswegen ein voll aufgeladenes Smartphone mitgebracht hast.“ Lächelnd strich er mit seinem Zeigefinger erst an Annas Schläfe entlang, dann an ihrem Kinn und endete kurz vor ihrem Schlüsselbein. Dabei sah er ihr tief in die Augen und Anna wurde das Gefühl nicht los, hypnotisiert zu werden. Auch wusste sie nicht genau, warum sie ohne weiter nachzudenken gehorsam ihr Smartphone zusammen mit der Visitenkarte des Polizisten aus ihrer Hosentasche zog und begann die Nummer zu wählen.

      Zehn Minuten später saßen sie in der Kutsche des alten Burgverwalters. Glücklicherweise war Johann gerade von einem kurzen Ausflug ins Dorf zurückgekehrt, so dass sie keine Zeit damit verloren, erst noch Pferd und Kutsche fahrbereit zu machen. Während sie durch den Wald fuhren, der sich um die Burg herum erstreckte, beobachtete Anna Leo. Irgendwie wurde sie aus ihm nicht schlau. Er war anders als die Männer, die sie vor ihm kannte. Anders auf eine Art, die sie nicht genau beschreiben konnte. Dazu kam noch ihre steigende Besorgnis, was sie ihm am gestrigen Abend alles auf ihrem Weg zur Burg erzählt haben mochte. Ihren Namen, wer sie war, den Umfang ihres Erbes, ihre Begeisterung für ihr neues Smartphone und damit verbundene Furcht auf Burg Rittertal nicht mal eine Steckdose zum Aufladen zu finden… Wie hatte er das nur angestellt, dass sie ihm gestern Abend so sehr vertraute? Und wieso erinnerte sie sich an nichts mehr? Lächelnd schaute Leo sie an. Als ob er ihre Gedanken erraten hätte… Seine glitzernden grünen Augen betrachteten sie übermütig. Es waren wunderschöne Augen, in denen sie sich am liebsten verloren hätte. Und sein Lächeln. Es war wirklich umwerfend. Wann immer er sie so ansah konnte sie kaum noch einen klaren Gedanken fassen. Ob er sie so auch gestern Abend ausgefragt hatte? Unsinn, schalt sie sich. Das würde immer noch nicht erklären, warum sie sich an nichts mehr erinnern konnte.

      Um sich selbst wieder unter Kontrolle zu bringen, setzte sie sich gerade auf, schaute stur auf den Waldweg vor ihnen, der allmählich in die sandige Dorfstraße überging und begann, den Spieß umzudrehen. Jetzt würde sie ihn ausfragen. Lächelnd beugte sie sich vor. „Aber nun haben wir genug von mir geredet. Erzähl mir etwas von dir.“ Lachend warf Leo den Kopf in den Nacken. „Du lernst schnell. Gut. Was möchtest du wissen?“ - „Alles. Was du hier machst, wo du herkommst, ob du verheiratet bist, ob du Kinder hast. Einfach alles.“ Verschmitzt beobachtete sie ihn von der Seite und errötete, als er sie ebenfalls anlächelte. Mit seinem umwerfenden Lächeln. Anna konnte sich nicht erinnern, jemals einen Mann mit so viel Charme getroffen zu haben. Er wirkte so umwerfend, so entwaffnend, so…anziehend. Diese grünen Augen, sein ebenmäßiges Gesicht, sie hatte das Gefühl, sich darin zu verlieren. Wie machte er das nur? Ob das Liebe auf den ersten Blick war? Wenn man sich von jemandem vom ersten Augenblick an so angezogen fühlte, dass man zu keinem klaren Gedanken mehr fähig war? Leos Stimme ließ sie aus ihren Gedanken hochschrecken. „Warum wechseln wir uns nicht ab? Du stellst eine Frage und ich beantwortete sie dir, danach stelle ich dir eine Frage und du antwortest, und so weiter?“

      Überrascht schüttelte sie den Kopf. „Aber dann bist du immer noch im Vorteil! Du hast gestern Abend schon so viel über mich erfahren… Diesen Vorsprung kann ich so ja gar nicht mehr aufholen.“ Mit gespielter Empörung knuffte sie ihn in die Seite und wollte gerade dazu übergehen, sich weiter zu beschweren, als er sie mit seiner nächsten Frage völlig aus der Bahn warf. „Bist du eigentlich noch zu haben?“ Verdutzt schaute Anna ihn an. „Musst du darüber nachdenken?“ Mit spöttisch blitzenden Augen beobachtete Leo sie. Irritiert schüttelte Anna den Kopf. „Nein, nein, natürlich nicht. Es ist nur so, dass mich noch keiner so direkt gefragt hat, ich meine so schnell gefragt hat.“ - „So direkt oder so schnell gefragt hat?“ - „Was? Ähm, beides.“ - „Aha. Und?“ - „Was und?“ Wieder lachte Leo. „Kann ich mir noch Hoffnung machen?“ - „Ja, also nein. Also, das heißt, ich bin nicht verheiratet.“ - „Aber du hast einen Freund?“ - „Nein, nein.“ Meine Güte, was redete sie nur für einen Stuss! Nicht verheiratet! Danach hatte er doch gar nicht gefragt, sondern wollte allgemein wissen, ob sie mit irgendjemandem liiert war. Ob nun verheiratet oder nicht, so genau hatte er sich gar nicht erkundigt. Jetzt glaubte er bestimmt, dass sie leicht beschränkt war. Besser sie hielt für den Rest der Fahrt den Mund. In seiner Gegenwart konnte sie sich einfach nicht konzentrieren. Und noch mehr blamieren wollte sie sich nun wirklich nicht. Unsicher verschränkte sie die Arme vor der Brust und starrte lippenkauend auf den Weg vor ihnen.

      Nach knapp zwei Stunden hatten sie die Stadt erreicht, in der sich das Polizeirevier und damit das Büro von Kommissar Baier befand. Mit klopfendem Herzen betrat Anna das mehrstöckige Gebäude. Wenn nur alles gut ging! Obwohl sie sich nichts vorzuwerfen hatte, hatte sie doch beim Betreten des Gebäudes ein