Beate Morgenstern

Eine Frau schon in den Jahren und andere Mördergeschichten


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im Kühlschrank, in dem er das übrig gebliebene Dosenfutter aufbewahrte, tat es auf einen sauberen Teller, setzte sich. Denn der Kater, nicht mehr so hungrig, fraß nur noch, beobachtete er ihn dabei. Na, friss, friss, sagte er und wiederholte den Namen des Katers, machte wieder einen kleinen Sprechgesang daraus. Wir wollen doch groß und stark bleiben! Dave holte sich die Hanteln aus dem Schrank, trainierte eine dreiviertel Stunde. Duschte, wusch sich wie jeden Abend gleich die Haare mit, föhnte, rasierte sich, wärmte in der Mikrowelle das Essen vom vergangenen Abend. Mal kochte er für zwei Tage. Nie aß er aus der Büchse. Als er in die Stadt gekommen war, achtzehn war er gewesen und hatte das Abitur nachholen wollen, und Gedanken an eine Zukunft waren in ihm gewesen, da hatte er anfangs nur von Büchsen gelebt, bis ihm das zuwider geworden war. Zudem war Büchsennahrung nicht gesund, und er achtete auf seine Gesundheit. Er schaute auf seine Armbanduhr. Der Kater lag auf dem Sessel, öffnete kaum die Augen, als er ihm mitteilte, er werde nun kurz mal weggehen.

      Gegen Abend gelang es ihm einigermaßen, den Müll auf Höfen und der Straße zu übersehen, den die Menschen fallen ließen wie Tiere, die koteten, wo es ihnen gerade einfiel. Hundehaufen unter den dünnen alten Bäumen, die sich auf schmaler Straße zwischen hohen Häusern dem Licht entgegenstrecken. Er kam auf die sich endlos hinziehende Hauptstraße. Die auch nicht eben breit. Eine Menschenflut an den Rändern, viele Schwarzhaarige darunter und einige Frauen in langen dünnen Mänteln, Haare und Stirn von feinen, ebenfalls langen Kopftüchern bedeckt. Der Supermarkt gleich an der Ecke. Beim Türken in seiner Straße sein letzter Einkauf. Hier wählte er in großer Gelassenheit Obst und Gemüse für sich aus.

      Zu Hause legte er CDs auf. Vielleicht kaufe ich mir doch ein E-Piano!, dachte er. Wenn der Wunsch überhand nähme, würde er ihn sich erfüllen.

      Der Kater saß an der Tür. Dickies Zeit war gekommen. Seine auch. Ja, ja, sagte er, warte noch. Ja, ja.

      Sie gingen durch den Hof. Sein Blick die Kastanie hinauf in das Himmelsgeviert. Der Kater misstrauisch schnuppernd, schlich, als befände er sich in höchster Gefahr, hatte jetzt keine Augen mehr für seinen Quartiergeber, verschwand in Richtung des Friedhofs. Vielleicht reichte sein Revier noch weiter. Der Gedanke machte Dave einen kurzen, spitzen Schmerz in seinem Bauch.

      Er lief lange auf der Hauptstraße. Das Laufen tat ihm gut. Im angrenzenden Stadtbezirk die Kneipen. Die brachten sich mühsam durch, seitdem die Touristen in den Osten gingen, wo sie die Stadt erleben wollten, wie sie angeblich am echtesten war. Was zur Folge hatte, dass dort eine Kneipe nach der anderen öffnete, in der man Speisen aus aller Welt zu kosten bekam. Der Charme eines untergehenden Stadtbezirks verschwand. Die bröckelnden, einstmals prächtigen Gründerhausfassaden wurden saniert, die Wohnungen ebenfalls. Was er nie geglaubt hatte, trat ein: Im Viertel, in dem er gelebt hatte, gewöhnte sich der Osten weitgehend seine schlechten Manieren ab. Für Menschen wie ihn gab es kaum noch Zuflucht. Da hatte er sich aufgemacht, um sich im Westen eine dauerhaft billige Unterkunft zu suchen.

      Das Leben nun in der Phase, die ihm eher behagte. Er schlenderte durch die Straßen, sah auf die Menschen, die es wie ihn nach draußen trieb, bemerkte wie jeden Tag, dass man zur Gründungszeit auch hier nicht gespart hatte, den Quartieren ihr besonderes Gesicht zu geben. Als er auf seinen Türken traf, trat er ein. Die Einrichtung sauber, der Fußboden weiß gefliest, die Wände weiß. Ausnahmslos Landsleute des Wirts kamen hierher. Er bestellte eine Buttermilch und noch eine, beobachtete die Familien, die jungen Männer, die er bisweilen um ihre Robustheit beneidete, die schöne Türkin, die bediente und ihn manchmal mit einem Lächeln bedachte. Er las in einer Tageszeitung, schaute in ein mitgebrachtes Buch. Nach Mitternacht war es Zeit für seine Besuche.

      Er schloss eine Haustür auf, klingelte an der Wohnungstür schloss dann auch diese auf.

      Agnes auf einem Krankenbett in der Wohnstube gebettet. Dort lag sie seit ihrem Sturz vor einem Jahr. Vorher hatte sie sich noch allein versorgt.

      Ach, Herr Dave!, sagte Agnes. Ihre alten, blauen Augen leuchteten. Es ist soweit! Morgen bringen sie mich in ein Heim.

      Er schaute die alte Dame an, schüttelte leise den Kopf.

      Sie haben es mir versprochen, Herr Dave! Ich habe mich auf Sie verlassen!

      Ja, er hatte sich ein Versprechen abnötigen lassen. In Zukunft würde er darauf dringen, dass seine Klientinnen für den Notfall selbst vorsorgten. Zu allem, was er Agnes vorhielt, nickte sie und sagte bloß: Ich kann Ihnen nicht mal was extra geben!

      Ich würde auch nichts haben wollen. Wir, die wir über sind ... Sie sind nicht über, sagte Agnes. Sie am allerwenigsten. Nachher nahm er das Geld, das sie ihm für den Monat hatte bereitlegen lassen, tat einen letzten Blick auf sie. Agnes hatte kämpfen müssen, ehe sie ihr Leben abgeben konnte. Jetzt sah sie aus wie eingeschlafen.

      Auch in dieser Nacht besuchte er Gertrud und Mathilde. Soviel er sich sonst gehen ließ, in seiner kleinen Arbeit war er korrekt und auf die Minute pünktlich. Er nahm für die Stunde 10 Euro. Wenn eine Klientin ihm zusagte und das Geld nicht erübrigen konnte, auch weniger. Beim Vorlesen sagte man ihm schauspielerische Begabung nach. Die Manie, perfekt zu sein, schlug ihm einmal zum Guten aus.

      An diesem Morgen wartete der Kater nicht in der Toreinfahrt.

      Dave ging die Straße zurück. Unentwegt dessen Namen rufend, umlief er das Straßengeviert, das zu Dickies Revier gehörte, ging am Friedhof vorbei. Mit einem Mal nicht imstande, an das Schlimmste zu glauben, war er überzeugt, den Kater bei seiner Rückkehr in der Toreinfahrt zu finden. Dave ging in seine Wohnung, legte sich hin. Eine halbe Stunde später schaute er wieder nach dem Kater. Wie selbstverständlich saß Dickie vor der Haustür und sah ihn mit seinen großen, gelben Augen an. Er nahm den schweren Kater auf den Arm, trug ihn, unablässig seinen Namen aussprechend, in seine Wohnung. Für einen Tag war er wieder ein Mensch, der es mit sich und der Welt aushielt. Wie hatte Agnes gesagt? Sie sind nicht über, Sie am allerwenigsten!

      SEIN TRAUM

      Sie sahen sich in die Augen. Dunkel und schmal seine. Dunkel und schmal ihre.

      Der Abspann mit den Namen der Darsteller und der an der Produktion Beteiligten lief über den Bildschirm. Sie drückte auf die Fernbedienung. Das Bild verschwand. Und jetzt?, fragte sie, lächelte. Es war ein deutliches Angebot.

      Er wendete seinen Blick von ihr ab. Es ist Zeit, sagte er, stand auf, ging ins Bad, begann sich zu rasieren.

      Sie kam ihm nach. Ich möchte das nicht, sagte sie. Bitte. Es ist keine so gute Idee. Ich finde das gar nicht witzig. Eine Weile redete sie auf ihn ein. Aber er kümmerte sich nicht darum, rasierte Bahn um Bahn seines Gesichts. Als er fertig war, hockte er sich auf den Rand der Badewanne und blickte sie auffordernd an. Du musst es wissen, sagte sie, schüttelte seufzend den Kopf, nahm ihre Schminksachen aus dem Spiegelschrank, legte sie sich auf die Waschmaschine. Das Bad in der sonst großen Altbauwohnung eng, aber Platz war für alles Notwendige. Sie zupfte seine Augenbrauen aus, was er hinnahm, ohne eine Miene zu verziehen, cremte sein Gesicht ein, legte Schminke auf, schwärzte seine Lidränder, die Wimpern, färbte seine Lippen. Er lächelte leise. Ihre Gereiztheit wich. Dann setzte sie ihm eine Perücke auf mit langen blonden Haaren, in der Art, wie sie die neuerdings trug.

      Er stellte sich vor den Spiegel, nahm sie am Nacken, zog sie zu sich heran, betrachtete sich, betrachtete sie, die ebenfalls neugierig auf ihr Werk schaute. Im Spiegel trafen sich ihre Augen: schmal, dunkel. Wir gingen glatt als Schwestern durch, sagte er. Die gleiche Größe, die gleichen Augen und nun auch die gleichen Haare. Wenn wir keine Perücke tragen. Selbst unsere Gesichter sind sich ähnlich. Findest du nicht? Absolut der gleiche Typ.

      Wie wir dann aufeinander gekommen sind, meinte sie nachdenklich. Man sagt doch, Gegensätze ziehen sich an.

      Wie Schwestern!, wiederholte er und versuchte, sie zu küssen. Sie wich aus. Es gefällt dir! sagte sie. Oh Gott, es gefällt dir auch noch!

      Es gefällt mir nicht, erwiderte er trocken.

      Nicht viel später trat aus dem Haus, in dem Tanja lebte, eine schmale, große Blondine. Sie ging mit kleinen wie aufgezogen wirkenden festen Schritten und schien