„Hm. Ja. Oh.“
„Setzen Sie sich doch. Wie war noch Ihr Name?“
„Maria. Entschuldigung, ich hab mich gar nicht vorgestellt. Tschida, Maria Tschida.“
„Wie ist es denn zu dem Unfall gekommen?“
„Ich war in Gedanken und habe nicht aufgepasst. Als ich den Hund gesehen hab, war es zu spät. Ich hab noch versucht auszuweichen und bin gestürzt. Wir lagen dann beide unter meiner Vespa.“
„Na wenigstens war es nur eine Vespa und die Geschwindigkeit vermutlich auch nicht so hoch. Sonst hätte das vor allem für Sie wohl ganz anders ausgesehen. Die Abschürfungen an der Hand sind nicht weiter schlimm. Die desinfiziere ich etwas. Wenn Sie in Wasser tauchen müssen, beim Geschirr spülen oder Putzen, sollten Sie einen Gummihandschuh drüber ziehen. Zumindest in den ersten zwei bis drei Tagen. Ist Ihre Tetanusimpfung aktuell?“
„Das weiß ich jetzt gar nicht so genau. Aber ich denke schon. Mein Hausarzt achtet eigentlich penibel auf solche Dinge.“
„Das ist vorbildlich. Das Knie sieht ziemlich lädiert aus. Um das genauer anschauen zu können, müssten Sie die Hose herunter lassen.“
Maria wurde tatsächlich rot. Irgendwie war das jetzt total peinlich. Also sowohl das Hose runterlassen, wie auch das verweigern. Sie setzte sich umständlich auf einen Hocker und versuchte, das Hosenbein hochzuziehen. Doch das tat zu sehr weh, als dass sie es bis übers Knie geschafft hätte. Also stand sie auf und ließ mit hochrotem Kopf ihre Jeans herunter. Benedikt grinste, senkte aber den Kopf, damit Maria es nicht so sah. Er tupfte die Wunde sauber, desinfizierte ordentlich und meinte, dass es besser wäre, wenn das noch einmal ein Humanmediziner anschauen würde. Es klaffte ein ziemlicher Hautfetzen weg, den er richtig positionierte und den Riss mit dünnen Stripes überbrückte.
„Ich hab vor lauter Aufregung gar nicht gemerkt, dass es so schlimm ist.“ Maria sah dem Tierarzt in die Augen und fragte sich kurz, wie sie selbst wohl gerade aussah. Immerhin hatte sie seit dem Streit mit Lukas nur noch geheult. Vermutlich würde Benedikt denken, dass es wegen des Unfalls war. Zum Glück.
Ein Signal vom Monitor zerstörte den kurzen Moment des ‚In den Augen des Anderen Ertrinkens‘. Was ich ausgesprochen bedauerte. Vielleicht hätten ein paar Sekunden mehr, mir eine Menge Arbeit gespart und vor allem meine Nerven geschont.
„Oh, die Aufnahmen des anderen Unfallopfers sind da.“ Benedikte wandte sich ab und schaute auf die Röntgenbilder. Ha, die bewiesen, dass ich von innen genau so schön wie von außen bin.
„Brüche kann ich nicht erkennen. Auch der Bauch fühlte sich unauffällig an. Vermutlich ist die kleine Dame etwas theatralisch und möchte Mitleid haben und Leckerli.“
„Dann ist bei ihr also alles in Ordnung?“
„Ja. Der Schreck wird ihr in den Gliedern sitzen und die ein oder andere Blessur kann auch zwicken. Aber gemessen an dem Geschehenen, ist es wirklich glimpflich ausgegangen für sie und für Sie.“
„Gott sei Dank! Was passiert nun mit dem Hund?“ Frau Müller krault mich unterm Kinn und ich muss mich arg zusammenreißen, das Leiden nicht zu vergessen. Nicht, dass ich mich noch ganz dem Genuss hingebe. Mich beunruhigt, dass ich von Maria nicht sofort höre: „Was soll die Frage?“ Stattdessen sagt der Doktor vet. was von Tierheim. Hatte ich Sympathiepunkte vergeben? Die sammel ich gerade alle wieder ein.
„Tierheim? Ach die arme süße Maus. Aber eine andere Lösung fällt mir auch nicht ein.“ Na toll Maria. Da bin ich nun das Opfer deiner miserablen Fahrkünste und dann auch noch das, deiner Einfallslosigkeit. Beleidigt drehe ich ihr meinen Hintern zu und pupse leise, aber herausragend olfaktorisch. Maria wedelt auch direkt mit der Hand vor ihrer Nase rum und fühlt sich korrekterweise angesprochen. „Ich komm dich auch besuchen. Versprochen!“, flüstert sie asthmatisch. Das ist zwar nicht ganz das, was ich mir als Ziel gesetzt habe, aber besser als nichts.
„Sie haben Glück Maria, ich arbeite für das hiesige Tierheim und kläre das gleich mal ab, ob ein Platz für das kleine Pupswunder vorhanden ist. Vorher prüfe ich aber noch, ob sie gechipt ist. Vielleicht ist das Tierheim gar nicht nötig, wenn ein Halter den Hund bei Tasso oder so registriert hat.“ Ohne extra Anweisung reicht Nadja ihm das Chiplesegerät. Damit werde ich von oben bis unten gestreichelt. Ich komme mir vor wie ein räudiger Köter, dass sie mich nicht mal mehr mit der Hand anfassen mögen. Doch wohl nicht bloß wegen etwas entwichener Darmluft? Da wären die aber ganz schön überempfindlich.
„Ich finde keinen Chip. Das ist außergewöhnlich, immerhin handelt es sich hier um ein reinrassiges Tier, das außerdem aktuell auch durchaus im Trend liegt und entsprechend Wert hat.“
„Im Trend? Wert?“ Marias Begriffsstutzigkeit rührt mich regelrecht. Dafür sinkt Ben in meinem Ansehen, als er wieder den Mund aufmacht: „Ja. Modehunde halt. Nun ja, dann müssen wir sie tatsächlich erst einmal ins Tierheim bringen. Möchten Sie ihr nicht einen Namen geben?“ Einen Namen geben? Hallo, geht es noch? Ich habe einen Namen. Ich heiße nämlich Milly. Aber ok, das steht mir natürlich nicht auf meiner süßen Nase geschrieben. Hoffentlich nennt Maria mich jetzt nicht Berta oder so.
„Milly, wäre doch schön.“, sagt Maria da und ich bin außerordentlich glücklich, mich nicht noch einmal umgewöhnen zu müssen. Dazu müsst ihr wissen, ich dachte am Anfang nämlich, mein Name wäre Nein. Bis ich gerafft hab, dass das nicht der Fall war, dauerte das eine Weile.
„Milly passt doch ausgesprochen gut zu dieser kleinen Bullydame. Dann kümmere ich mich darum, dass sie ins Tierheim kommt.“
„Meinen Sie, ich kann Milly da besuchen gehen?“
„Aber natürlich. Ich vermute allerdings, dass sie schnell ein neues Zuhause finden wird. Wie gesagt, diese Hunde sind aktuell stark nachgefragt. Allerdings ist das Tierheim in Emmenburgstedt sehr genau, wenn es um die Halterüberprüfung geht und nicht jeder, der sie haben will, wird sie auch bekommen.“
„Das ist beruhigend zu wissen.“
Beim Abschied hat Maria Tränen in den Augen. Ich werte das als gutes Zeichen. Sie bezahlt die Tierarztrechnung und wird dann wohl zu dem roten Ungetüm zurücklaufen.
Maria
Maria ging schweren Herzens zurück zur Unfallstelle. Ich tat ihr leid. Ja, sollte sie sich ruhig ein richtig schlechtes Gewissen machen. Von Mitleid konnte ich mir auch nichts kaufen. Ins Tierheim hatte sie mich bringen lassen. Also wirklich. Und der Tierarzt, dieser Doktor Benedikt, der sprach ja über mich, als wenn ich eine Handtasche oder irgendein anderes hippes Accessoire wäre. Menschen halt. Es ist gar nicht zu glauben, dass der gleiche Weltenbauer diese Spezies erfunden hat, der uns Tiere in die Welt gesetzt hat. Nun ja, alles Philosophieren bringt ja nichts, wir müssen uns unserem Schicksal stellen. Und Marias Schicksal wartete unverändert abgestellt an der Unfallstelle. Ein paar Kratzer zierten den Lack. Maria sagte sich: „Nicht ärgern! Wir nennen es Kunst.“, setzte sich aufs Moped und wollte losfahren. Die Vespa war dagegen. Ob es am Sturz lag, war gar nicht wirklich auszumachen. Vielleicht wollte sie auch nur an diesem geschichtsträchtigen Ort verweilen, der das Leben von Maria und mir nachhaltig prägen sollte, auch wenn ihr das momentan noch nicht bewusst war.
„Wer sein Fahrzeug liebt, der schiebt.“ Das muss eine ziemlich weit verbreitete Volksweisheit in Emmenburgstedt sein, denn Maria bekam das alle zwei Minuten zu hören. Irgendwann klappte sie die Ohren zu und überdachte ihre Situation. Leider spielte ich vorerst nur eine sehr untergeordnete Rolle in ihren Gedanken. Noch war Lukas zu präsent, als dass ein nichtmal kniehohes Tier ihn verdrängen konnte. Doch als sie gerade wütend genug auf ihren „Nunaberwirklichrichtigen Ex“ war, gelangte sie geistig zum Unfall und ich hopste geradewegs in ihre Gedanken, um mich da einzunisten.
Die kurze Hoffnung, dass der Ex zum Exex werden könnte, zerschlug sich, als Maria die vier Nachrichten von ihrem Anrufbeantworter abhörte. Statt reumütigen Entschuldigungen von Lukas, fanden sich Nachrichten von ihrem Bruder Laurenz und ihren Freundinnen Bianca und Tamara darauf. Die