Frater LYSIR

Voodoo, Hoodoo & Santería – Band 5 Zombies, Voodoo-, Hoodoo- und Santería-Exorzismen und Kurzrituale


Скачать книгу

Tetrodotoxin, was bedeutet, dass man eben auch andere Quellen nehmen bzw. finden kann, auch wenn der Kugelfisch wirklich „der Klassiker“ für TTX ist. Wie ich schon erwähnt habe, blockiert das TTX die spannungsaktivierten Natriumkanäle in den Neuronen, sodass hier keine Aktionspotentiale mehr ausgelöst werden können. Kurz gesagt bedeutet das, dass jegliche Nerven- und Muskelerregung unterbunden sind, wodurch dann die Folge motorische und sensible Lähmungen sind.

      Diese ganzen Symptome der Vergiftung, die eben nach einer Aufnahme des Giftes eintreten, beginnen innerhalb einer recht kurzen Zeit. Es kommt natürlich wieder auf die Masse des Menschen an und wie seine Konstitution ist, aber dennoch kann man in etwa von 45 Minuten ausgehen. Dann geht es los, dass das Opfer diverse Lähmungserscheinungen zeigt, darunter die Lähmung der Skelettmuskulatur und somit auch der Atemmuskulatur, was dann definitiv bemerkt wird. Im weiteren Verlauf werden dann Koordinations- und Wahrnehmungsprobleme auftreten, sodass man hier recht schnell Hilfe benötigt – oder eben unfähig ist, sich zu wehren. Hier einmal eine Abbildung des Kugelfischs und die Formel des TTX:

      Grafik 6 Grafik 12

      Gut, doch wie geht es weiter? Letztlich ist alles ohne weiteres denkbar, auch wenn es immer noch keine 100-prozentigen Beweise gibt. Hinzu kommt der Umstand, dass in den verschiedenen Versuchen eben unterschiedliche Ergebnisse produziert wurden. Dies war eben auch der primäre Punkt der negativen Kritik. Edmund Wade Davis wollte hier selbstverständlich einen wissenschaftlichen Beweis, sodass er in seinen Anfangsjahren der Zombiepulvererforschung dem Columbia Presbyterian College in New York eine Probe schickte, und hier Schnelltests von Professor Leon Roizin durchführen ließ. Auch hierbei soll berichtet worden sein, dass das Pulver im Vorfeld aus einem „Schädel eines toten Babys“, „blauen Eidechsen“, „einer großen Kröte“, „Juckbohnen“ und irgendwelchen „Innereien eines Fisches“ hergestellt wurde. Aha! Der Schädel eines toten Babys?! Gut, im Mittelalter musste man auch den Oberschenkelknochen eines Vatermörders finden, den Kopf eines Ziegenbock, der eine Frau entjungfert hat, den Kopf einer Katze, die neun Tage lang mit Menschenfleisch gefüttert wurde, um den Satan zu beschwören, also kann man bei einem Zombiepulver selbstverständlich auch den Schädel eines toten Babys nehmen. Ohne Worte! Aber Dramaturgie und Show ist hier immer vorhanden. So mag man meinen? Wie „so mag man meinen“? Was soll das denn bedeuten? Das bedeutet, dass Edmund Wade Davis bei der Suche nach dem eigentlichen Zombiepulver wortwörtlich über Leichen ging. Na gut, das heißt nicht, dass er Menschen tötete, aber er beauftragte Grabräuber entsprechende „Ingredienzien des Friedhofs“ zu organisieren, da ihm von den jeweiligen Bokor/Bocor/Bòkò/Azeto, mit denen er zusammenarbeitete, gesagt wurde, dass hier Reste von Leichen essenziell sind.

      Also der Schädel eines Babys?! Nun ja, es ging erst einmal um verweste Fleischreste, eines verstorbenen Menschen. Hier wurde ein verstorbenes Kind wieder ausgegraben, und es wurde mit einem Stock das verweste Gehirn herausgeholt. Hiervon soll es Fotos geben, sodass Edmund Wade Davis hierfür sehr stark kritisiert wurde. Dass eine Kinderleiche geschändet wurde, zeigt, dass Edmund Wade Davis ethische und moralische Grenzüberschreitungen für seine Zielsetzung ausführte, und sich hierbei eben auch Hilfe holte, sodass man auch hier wieder sagen kann, dass Grabräuberei auf Haiti nicht so unüblich ist, wie es zum Glück in Deutschland der Fall ist.

      Gut, Pulver hin, Pulver her, Leon Roizin führte entsprechende Experimente aus, sodass er Teile des Pulvers Ratten kutan (auf der Haut) auftrug. Er rasierte den Ratten den Rücken kahl, und rieb die entsprechende Stelle mit dem Pulver ein. Hier wurde dann der Beweis erbracht, dass die Ratten nach einer kurzen Zeit vollständig komatös waren, sich nur noch bewegten, wenn sie extrem stimuliert wurden, möglicherweise mit Elektroschocks, und das nach einer weiteren Zeit, kaum noch ein Herzschlag zu spüren war, jedoch, durch ein EKG erkannt wurde, dass das Tier noch lebt. Nun, mittlerweile sind diese Aussagen aber auch widerrufen worden, sodass hier eigentlich Professor Leon Roizin sehr deutlich Abstand nahm bzw. immer noch nimmt. Andere Forschungen haben ergeben, dass das besagte Pulver einen sehr hohen pH-Wert hatte, was also bedeutet, dass hier das Pulver alkalisch ist, was jedoch für das Gift Tetrodotoxin sehr ungünstig ist, da dieses bei einem pH-Wert, der über 9 liegt, in wirkungslose Bestandteile zerfällt. Da das Pulver aber angeblich einen pH-Wert von über zehn hatte, würde hier das TTX wirkungslos enthalten sein.

      Tja, man könnte nun sagen, dass hier bewusst ein Schwindel inszeniert wurde, man könnte aber auch genauso gut sagen, dass Edmund Wade Davis einfach betrogen wurde, selbst davon aber nichts wusste, und sich eben darauf verließ, das richtige Pulver zu haben. Und da in den religiösen Breiten der Glaube felsenfest existiert, dass die „lebenden Toten“ künstlich durch „Zombiepulver“ erschaffen werden können, ist hier sehr vieles denkbar. Doch egal, ob es jetzt erst einmal Betrug oder Wahrheit ist, man muss sich erst einmal vorstellen, dass hier eine entsprechende Dosierung gefunden werden muss, um das Gift auch zu verabreichen. Natürlich, TTX wirkt in geringen Mengen, doch wenn ich hier einen Giftcocktail über die Haut, oder auch über die Schleimhäute, wenn ich dieses Pulver ins Gesicht puste, einem Menschen appliziere, dann muss ich vorher aber verdammt viele Experimente durchgeführt haben, um zu gucken wie konzentriert mein Pulver denn sein muss. Frei nach dem Motto „Versuch und Irrtum“, und vielleicht wird es dann ja auffallen, dass irgendwo ein Berg Leichen herumoxidiert, wo dann die Versuche eben fehlgegangen sind. In der Sklavenzeit wäre dies sicherlich denkbar gewesen, zumindest wenn es hier Sklaven gewesen wären, die von den Plantagenbesitzern getötet wurden.

      Man könnte sich auch vorstellen, dass hier entsprechende Tests in der eigentlichen Rebellion, im Sklavenaufstand gemacht wurden, sodass man hier eben auch ausreichend Probanden hatte. Denkbar ist es, doch gibt es hier keine 100 %ige Sicherheit, denn es heißt, dass Edmund Wade Davis es geschafft haben soll, von sieben (manchmal wird auch von acht berichtet) unterschiedlichen Bokor/Bocor/Bòkò/Azeto eine Probe des Zombiepulvers bekommen zu haben. Respekt! Dafür, dass er ein Fremder ist, dafür dass die magischen Bestandteile grundsätzlich geheim gehalten werden und dafür, dass uneingeweihten Menschen gegenüber definitiv ein aggressives Misstrauen aufgebracht wird, ist es sehr „respektabel“, dass hier gleich sieben oder acht verschiedene Bokor/Bocor/Bòkò/Azeto sich darauf einließen, ein gigantisches Geheimnis „mal eben“ preiszugeben. Der größte Knackpunkt ist natürlich das Gift Tetrodotoxin (TTX), denn die Dosierung ist so minimal, dass es so gut wie unmöglich ist, in einem Pulver die entsprechende Menge zu applizieren, dass der individuelle Mensch, entsprechend reagiert – also sich zu einem Zombie verwandelt. TTX ist eins der stärksten Gifte überhaupt, was bedeutet, dass hier die letale Dosis in etwa 10 µg, also 0,01 mg, also 0,00001 g, pro Kilogramm Körpergewicht des Menschen ist. Wow! Wie schwer ist denn so ein Mensch, ganz genau? Wie schwer ist denn sodass Opfer, welches Kleidung trägt, 180 cm groß ist, und einen Bauch hat? 95 kg? 110 kg? Nicht immer ganz einfach dies abzuschätzen. Natürlich kann man sein Opfer vorher nackt und mit entleerten Darm wiegen, sodass man hier einen exakten Wert hat. Vielleicht lässt man ihn auch noch ein bisschen schwitzen, sodass hier keine Wassereinlagerungen existieren. Und dann sagen wir einfach mal, dass unser Opfer exakt 100 kg wiegt. Somit ist die letale Dosis von TTX bei diesem Opfer auf 0,001g einzugrenzen! Dann hoffen wir doch mal, dass jeder Voodoo-Priester in seinen eigenen vier Wänden eine Analysenwaage hat, die auf drei Stellen hinterm Komma genau wiegt. Oder wie soll man sonst 0,001 g exakt dosieren? Eine Messerspitze? Ein Teelöffel? Außerdem müsste in diesem Kontext das Gift schon entsprechend zubereitet sein. Wenn man jetzt wirklich den Kugelfisch nimmt, wobei man hier auch noch berücksichtigen muss, dass die verschiedenen Körperregionen über verschiedene Giftkonzentrationen verfügen, dann stellt sich doch wirklich die Frage, wie viel „Kugelfisch“ man abschneiden muss, um es dem Opfer zu applizieren?! Diese Frage musste sich auch Edmund Wade Davis gefallen lassen, sodass er hierauf den Klassiker brachte: „Versuch-und-Irrtum!“ Ja, Naturvölker agieren so. Aber dann befindet man sich voraussichtlich nicht im Mikrogramm, bzw. im Milligramm Bereich, da hier die Spannweite viel zu gering ist. Das Thema „Versuch-und-Irrtum“ kann ohne weiteres bei Tollkirschen mal verwendet werden, sodass man hier schaut, ob ein Mensch eine Tollkirsche, zwei Tollkirschen oder auch drei Tollkirschen „aushält“, da man hier einfach die Früchte nimmt, ohne diese exakt abzubiegen. Bei TTX ist dies jedoch eine ganz andere Thematik.