Heinz Gellert

Die Erdmännlein


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bauen solle? Nun sagte der, einen Thronsessel mit rotem Samtpolster, dazu einen langen Tafeltisch und zwölf gleiche Armlehnstühle. Nicht gerade wenig!, dachte der Geselle. Aber da das Männlein nicht mal eine Elle groß war … also weniger als 50 cm“, erklärte die Großmutter … „wären es ja auch nur Möbel wie für eine große Puppenstube. So willigte er ein und versprach, in einer Woche damit fertig zu sein. Gut, sagte darauf das Erdmännlein, dann solle er genau in einer Woche zum selben Ort, zur gleichen Stunde wiederkommen und verschwand.“

      „Und …? Ist er wieder hingegangen, Oma?“, fragte Tim - vor Spannung ganz aufgeregt.

      „Ja, wie verabredet“, bestätigte die Großmutter. „Genau eine Woche später, wieder zur Abendzeit, trug der Geselle den Thronsessel, die Stühle und den Tisch in einem Weidenkorb zum Feldstein, setzte sich und wartete. Da kam das Erdmännlein und wies ihn an, die kleinen Möbel aus dem Korb zu nehmen, auf dem Erdboden abzustellen und dann zu gehen. Und am nächsten Tag, um die Mittagszeit, sollte er sich wieder einfinden.

      Der Geselle war nicht sehr erfreut darüber, dachte, er würde betrogen und wollte darum wieder alles mitnehmen. Doch das Erdmännlein sagte, er solle nur so machen, wie es ihm gesagt wurde. Sein Lohn sei ihm gewiss. Dort, wo nun die kleinen Möbel standen, sollte er seinen Hut auf den Boden legen, dann würde er schon sehen.“

      „Der wollte ihn ja betrügen“, meinte Tim empört. „Das ist aber kein Schabernack mehr.“

      „Nun warte doch ab!“, beruhigte ihn die Großmutter. „Die Geschichte geht ja noch weiter.

      Natürlich wusste der Geselle auch, dass diese Unterirdischen eigentlich nicht böse waren. Aber er hatte auch gehört, dass sie allerlei Zauber konnten. Und aus Angst vor den Zauberkräften des Männleins nahm er darum den leeren Korb und ging. Nicht einmal umzusehen, wagte er sich zuerst. Als er sich dann doch verstohlen umblickte, waren das Erdmännlein und die Möbel fort, der Platz vor dem Stein war leer.“

      „So eine Gemeinheit!“, rief Tim, machte mit seiner rechten Hand eine Faust und schlug kräftig auf die Bettdecke. „Das sollte mir mal passieren. Dem würde ich´s aber geben!“

      „Du bist ja ganz schön mutig“, meinte die Großmutter. „Und was würdest du machen, wenn er dich verzaubert?“

      „Quatsch! Zauberei gibt´s doch gar nicht!“, erwiderte er und lachte.

      „Na, wer weiß!“, flüsterte sie.

      „Ach, Oma! Erzähl´ lieber weiter! Hat sich der Geselle gerächt?“

      „Wie sollte er sich denn rächen? Dazu hatte er viel zu viel Angst.“ Die Großmutter sah Tim bedeutungsvoll an.

      „Vorwürfe machte er sich den ganzen Abend lang, solch einen Handel eingegangen zu sein. Und glaub nicht, Tim, dass ihm das vorher noch nie passiert war, dass er um den Lohn für seine Arbeit betrogen wurde. Während seiner Wanderschaft von Meister zu Meister wird ihm das zur damaligen Zeit sicher passiert sein. Und da half ihm keiner, sein Recht zu bekommen. Wer stand denn schon einem armen Tischlergesellen bei? Der Geselle war sich darin sicher, er würde nie seinen Lohn für die kleinen Möbel bekommen. Trotzdem ging er am nächsten Tag, um die Mittagszeit zu dem Feldstein, setzte sich darauf und wartete. Doch kein Männlein erschien.

      Er wollte schon aufsteh´n und geh´n, da fiel ihm ein, was das Männlein ihm gesagt hatte, dass er seinen Hut auf den Erdboden legen sollte. Kaum aber hatte er es getan, da bemerkte er vor sich im Kornfeld Seltsames, das er sich nicht erklären konnte. Zwischen den Halmen huschte und bewegte es sich; was es war, konnte er anfangs nicht erkennen. Als er jedoch genauer hinsah, sah er, wie einzelne Halme knickten und die Ähren zu Boden fielen. Und dann entdeckte er die, die das verursachten.

      Denn plötzlich liefen Mäuse aus dem Feld auf den Hut zu. Jedes Tier hatte eine volle Ähre im Maul. Sie warfen die Ähren, eines nach dem anderen, in den Hut hinein und liefen danach zurück, um neue zu holen. Das taten sie so lange, bis der Hut randvoll mit Ähren gefüllt war. Darauf verschwanden sie spurlos im Feld … auf Nimmerwiedersehen!“

      „Mäuse?“, fragte Tim „Hatte die das Erdmännlein geschickt?“

      „Ja ... Mäuse“, antwortete die Großmutter. „Der Geselle suchte noch nach ihnen. Da er so was noch nie erlebt hatte, dachte er sich, dass das wohl das Erdmännlein gemacht haben musste. Aber er war enttäuscht darüber, was das Männlein als Lohn für seine Arbeit ansah. So ging er traurig mit dem Hut voller Ähren zurück ins Dorf, in seine Kammer beim Bauern. Doch als er dort ankam, war alles Korn zu Gold geworden.“

      „Einen ganzen Hut voller Gold!“, staunte Tim, während er von seiner Großmutter mit der Bettdecke zugedeckt wurde.

      „Ja, Tim, solche Geschichten hat man sich früher hier bei uns über die Erdmännlein erzählt. Dass sie allerlei Zauber können und sich in verschiedene Tiere verwandeln. Manch einer wollte sie sogar schon so gesehen haben, wenn sie als Hamster den geringen Kornvorrat einheimsten, den sie brauchten. Oder als Eichhörnchen in den Nussbäumen der Vorgärten. Oder als graue Feldmäuse wie in der Sage, die ich dir erzählt habe.

      Und man sagte auch, dass dort, wo die Erdmännlein einen Anteil von den Feldern und Gärten nahmen, alles besser wuchs und reifte und mehr Ertrag brachte als anderswo.“

      „Meinst du wirklich, Oma, dass es diese Erdmännlein früher hier gegeben hat?“, fragte Tim, sichtlich beeindruckt. „Oder ist das nur ein Märchen?“

      „Ich kann dir nur sagen, was man sich über sie erzählt“, antwortete sie, während sie seine Bettdecke noch einmal aufschüttelte. „Selber geseh´n habe ich sie nicht … Und nun schlaf jetzt! Du willst doch morgen zu deinem Onkel auf die Weide und in den Rinderstall geh´n.“

      4. Die Kuh Elsa

      Am nächsten Tag, nach dem Frühstück, brach Tim zur Weide auf. Ein schöner Tag sollte es werden. Die Sonne stand bereits strahlend am blauen Himmel, keine Wolke nahm ihr den Glanz. Es würde warm werden - sehr warm sogar. Darum hatte Tim kurze Hosen und sein liebstes T-Shirt angezogen. Im Haus war nur noch die Großmutter, der Großvater arbeitete in seiner Werkstatt auf dem Hof. Er stellte Holzpantoffeln für die Leute im Dorf her. Er meinte, er müsse was tun, sonst wüsste er den Tag über nichts mit sich anzufangen. Die Gartenarbeit allein füllte ihn nicht aus.

      Tim ging den breiten Feldweg entlang, der zum See führte, kam am Maisfeld vorbei. Die Pflanzen reichten ihm schon bis über den Kopf. Der Mais würde bald abgeerntet und als Futtervorrat für den Winter zu Silage in einem Silo bei den Kuhställen verarbeitet werden. Das hatte ihm der Großvater am Vortage beim Rückweg vom See erzählt.

      Dann hatte Tim die Weide erreicht. Noch unentschlossen blieb er vorm Elektrozaun stehen. Er überlegte, ob er einfach so auf die Koppel gehen könnte. Er hatte ein bisschen Angst vor den Kühen, die verstreut umherstanden und grasten.

      Eine Weile beobachtete er seinen Onkel, der eine Tränke auf der Weide reinigte. Zwei Frauen waren noch bei ihm. Endlich entschloss er sich und rief ihn.

      Der Onkel blickte auf und rief zurück: „Du musst hierher kommen, Tim! Hier ist das Koppeltor. Du wirst dich doch nicht vor den Kühen fürchten?“

      „Nein, nein!“, rief Tim zurück. Aber ganz wohl war ihm nicht, als er das Tor öffnete. Zwei Kühe standen in der Nähe, drehten den Kopf nach ihm und glotzten ihn an. Eine Kuh ging dann sogar noch ein Stück auf ihn zu. Er blieb wie angewurzelt stehen.

      „Die ist nur neugierig“, sagte der Onkel. „Musst dich nicht drum kümmern.“

      Tim ging in einem großen Bogen um das Tier herum zum Onkel. Der stellte ihn den beiden Frauen vor.

      „Das ist mein Neffe, Tim“, sagte Onkel Bernhard. „Ist für zwei Wochen zu Besuch. Will mal richtige Landluft schnuppern.“ Er klopfte ihm mit der Hand auf die Schulter. „Und das ist Frau Bredow, unsere beste Melkerin“, sagte er stolz. „Und das hübsche Girl daneben ist Nina, ihre künftige Schwiegertochter.“

      Die junge Frau