Narcia Kensing

Nachtschwarze Sonne


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Säureangriff, sie reagieren nicht auf Wasser. Sie sind lediglich blau und schwarz angelaufen. Kein schöner Anblick. Ich wende mich ab. Stattdessen lege ich den Kopf in den Nacken und betrachte den Himmel. Er ist einheitlich grau, es riecht noch immer nach Regen. Ich bin mir sicher, dass wir trockenen Fußes nicht besonders weit kommen werden.

      Ich fahre herum, denn hinter mir ertönt ein metallisches Geräusch. Sienna hat eine der abgeplatzten und zerbeulten Wandverkleidungen aufgehoben. Sie ist fast so groß wie eine Tür.

      »Könnte man das nicht als Regenschutz benutzen?«

      Layton kommt auf sie zu und reißt ihr das Teil aus der Hand. »Das sieht doch total bescheuert aus, wenn wir damit durch die Gegend laufen.«

      »Und wer sollte dich damit sehen? Hier ist niemand weit und breit!«

      Ich schmunzle in mich hinein, weil Sienna ihn so ankeift. Ich finde ihre Idee gar nicht mal so dumm.

      »Ich liebe es, wenn du so sprichst«, sagt Layton und greift unvermittelt um ihre Taille. Die Wandverkleidung fällt scheppernd zu Boden, als er ihr einen harten Kuss auf die Lippen drückt. Mir wird es zu bunt. Ich trete auf die beiden zu und stoße Layton unsanft gegen die Schulter.

      »Wir haben jetzt Besseres zu tun«, fahre ich ihn an. »Sienna hat recht. Vielleicht rettet uns das Teil den Arsch. Also kommt jetzt, ansonsten finden wir keine Nahrung, ehe wir tot sind.«

      Laytons Gesicht verzieht sich zu einem selbstgefälligen Grinsen, aber er kommt meiner Aufforderung nach und nimmt den provisorischen Regenschutz vom Boden auf. »Du bist doch bloß neidisch, weil du deine Menschenschlampe verloren hast. Lass mir wenigstens meinen Spaß.«

      Ehe mein Verstand mich davon abhalten kann, lasse ich meine Faust in Laytons Gesicht krachen. Er taumelt zurück und landet auf seinem Hinterteil. Er fasst sich ans Kinn, etwas Blut tropft davon herab auf den Boden. Einen Moment lang steht ihm die Überraschung ins Gesicht geschrieben, dann sieht er mich hasserfüllt an. Ich erwarte bereits einen Gegenangriff, doch dann wendet er den Blick ab und steht wortlos auf. Ich habe selbst nicht damit gerechnet, noch über so viel Kraft zu verfügen. Nicht nach tagelangem Nahrungsentzug. Anscheinend wundert sich auch Layton darüber, dass ich körperlich noch in so guter Verfassung bin. Ich bin mir sicher, sein Reaktionsvermögen hat bereits unter dem Hunger gelitten, weshalb er schlau genug ist, mich nicht anzugreifen. Sienna steht kreidebleich daneben, ihr Blick zuckt zwischen Layton und mir hin und her.

      Schweigen breitet sich zwischen uns aus, während wir die Wandverkleidung über unsere Köpfe heben und uns Richtung Norden in Bewegung setzen. Mich erfüllt das warme Gefühl von Genugtuung. Ohne es zu beabsichtigen, habe ich meinen Standpunkt als Anführer wieder einmal gefestigt.

       ***

       »Ob sie uns bemerkt haben?«, flüstert Sienna. Sie hockt neben mir im hohen Gras, das in meinem Gesicht kitzelt und mich wahnsinnig macht. Ich komme mir vor wie ein Karnickel, das sich vor einem Hund versteckt. Erniedrigend.

      Sienna starrt wie gebannt auf das Gemüsefeld, auf dem sich Kopfsalate, Kohlrabi und Radieschen ordentlich aneinanderreihen. Mein Magen knurrt. Oh Mann, hoffentlich hört es niemand. Ich habe nie zuvor feste Nahrung zu mir genommen, aber ich wäre nicht abgeneigt, in einen knackigen Salat zu beißen. Neben uns sitzt Layton auf seinem Hinterteil, die Unterarme auf die Knie gestützt, und sieht lethargisch in die Ferne. Auf seiner Stirn glitzern Schweißperlen, er zittert kaum merklich. Die Farbe seiner Wangen ist gräulich, er sieht aus wie ein wandelnder Toter. Siennas Zustand ist hingegen noch als akzeptabel zu bezeichnen, ihre letzte Mahlzeit liegt noch nicht so lange zurück wie bei Layton. Mich beunruhigt sein körperlicher Verfall ein wenig. Ich habe nie zuvor unter akutem Nahrungsmangel gelitten, und sein Anblick lässt mich wünschen, dies auch nie erleben zu müssen. Er hat seit Stunden kein Wort mehr gesprochen, sich nur noch hinter uns her geschleppt. Die metallene Wandverkleidung, die wir als Regenschutz über unsere Köpfe gehalten haben, ist schon vor zwei Meilen in einen Straßengraben gewandert. Sie war einfach zu schwer und hat uns unnötig Kräfte gekostet. Mit stoischer Gelassenheit haben wir seitdem einen leichten Regenschauer über uns ergehen lassen, aber im Moment zeigen sich kleine Flecken blauen Himmels zwischen der schnell vorüber ziehenden Wolkendecke. Es hat aufgehört zu regnen.

      »Nein, sie haben uns nicht bemerkt«, greife ich Siennas Frage wieder auf. »Sonst würden sie nicht so gelassen Unkraut jäten.«

      Auf dem Feld befinden sich drei Personen, zwei Männer und eine Frau. Sie tragen die schwarzen Einheitsanzüge der V23er und kriechen zwischen den Salatköpfen umher, konzentriert über ihre Arbeit gebeugt. Arme Schlucker, vermutlich sind es neue Rekruten, die die Karriereleiter noch nicht weit hinaufgeklettert sind. Es soll mir auch egal sein. Ihnen gilt unser Interesse nicht, sondern der schwarzen Limousine, die am Rand des Feldes parkt. Ein Auto wäre ein Segen, vielleicht sogar unsere einzige Rettung. Wir sind keiner Menschenseele begegnet, während wir auf dem menschenleeren Highway nach Norden gezogen sind, jeder in seine düsteren Gedanken vertieft, die sich nur darum gedreht haben, wie lange der Tod noch auf sich warten lässt. Nun, bei mir war es nicht ganz so schlimm. Ich fühle mich noch relativ fit. Dennoch zieht ein leichter Appetit an mir, der über meinen knurrenden Magen hinausgeht. Würde mir jemand einen Menschen vorwerfen, würde ich vermutlich keine Sekunde zögern, ihn auszusaugen, bis nur noch die körperliche Hülle von ihm übrig bleibt. Ich hasse mich dafür.

      Sienna dreht sich über die Schulter hinweg zu Layton um. »Bald wird alles gut, wir haben ein Auto gefunden, mit dem wir nach Albany fahren können. Halte noch etwas durch.«

      Ich versuche, in ihrem Tonfall etwas Sanftes herauszuhören, das mich an echte Gefühle erinnert, aber Sienna klingt nicht besonders warmherzig. Mich widert dieses Scheinheilige Getue der Acrai mehr und mehr an.

      »Ich bin die kleinste und schmalste von uns«, reißt mich Sienna aus meinen Gedanken. »Ich schleiche vor und versuche, ins Auto zu gelangen. Vielleicht sehen sie mich nicht. Ich gebe dir ein Zeichen, wenn du nachkommen kannst.«

      In Ermangelung einer besseren Idee nicke ich nur.

      Sienna verlässt das hohe Gras am Feldrand und gleitet lautlos auf den festgetretenen Weg neben dem Feld. Ich bleibe zurück und sehe ihr nach. Sie bewegt sich wie eine Katze, obwohl ein geübter Blick erkennt, wie erschöpft sie ist. Sie ist immer schon sehr schlank gewesen, aber zum ersten Mal bemerke ich, dass die ehemals hautenge schwarze Hose Falten an ihren Oberschenkeln wirft. Das ebenfalls schwarze langärmelige Shirt scheint ihr zu groß geworden zu sein.

      Mein Blick gleitet zu den drei Feldarbeitern herüber. Sie sind noch immer voll und ganz in ihre Tätigkeit vertieft. Sie sprechen nicht miteinander, sondern ziehen Unkraut, schneiden mit geschickten Fingern Salatköpfe ab oder befördern Radieschen aus der Erde, die sie in eine Plastikkiste werfen, von denen jeder von ihnen eine neben sich stehen hat. Sie fühlen sich sicher und unbeobachtet. Für gewöhnlich wagt sich meine Sippe nicht so weit in den Norden, unser Revier befindet sich eher Richtung Süden, in Jersey City, Newark oder manchmal auch in New York City. In dieser einsamen und gottverlassenen Welt, in der der letzte verheerende Krieg nichts zurückgelassen hat als Schutt und leer stehende Häuser, kann man es ihnen nicht verdenken, dass sie nicht mit Beobachtern rechnen.

      Inzwischen hat Sienna die schwarze Limousine erreicht. Sie parkt nur etwa zwanzig Yards von mir und Layton entfernt. Die schöne dunkelhaarige Acrai duckt sich und schleicht zur Fahrerseite, die dem Feld abgewandt ist. Langsam erhebt sie sich und späht durch die Scheibe. Dass sie sogleich zusammenzuckt und sich wieder auf die Erde sinken lässt, lässt mich nichts Gutes ahnen.

      Sie sucht meinen Blick und bedeutet mir mit einer Geste, ihr zu folgen, mich dabei jedoch zu ducken.

      Ich drehe mich noch einmal nach Layton um. Er hat sich in den letzten Minuten nicht gerührt und ich glaube nicht, dass er sich alsbald bemerkbar machen wird. Es scheint ihm wirklich schlecht zu gehen.

      Immer wieder wende ich meinen Blick nach links, den Feldarbeitern zu, doch die haben sich noch weiter feldeinwärts von uns entfernt und wenden uns den Rücken zu.

      Als ich mich neben Sienna an den linken Vorderreifen presse, wobei mir meine langen Beine zu schaffen machen, flüstert sie mir zu: »Es sitzt jemand im Wagen auf dem Beifahrersitz.