Jörg R. Strub

Curriculum Prothetik


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vielen Vorschlägen, die im 20. Jahrhundert vorgestellt wurden, haben heute nur zwei Klassifikationen eine gewisse Bedeutung behalten, nämlich die auf jeweils einen Kiefer bezogene rein topographische Einteilung nach Kennedy (1932) und die Klassifikation nach Eichner (1955), welche beide Kiefer zueinander in Beziehung setzt. So nützlich solche Klassifikationen auch sind – man darf nicht vergessen, dass sich mit ihnen immer nur ein Teil des Gebissschadens aufzeichnen lässt. So sagt z. B. die Kennedy-Einteilung nichts über die Okklusionsverhältnisse aus, während die Eichner-Klassifikation keine Aussagen über die Anzahl vorhandener Lücken macht. Über den Zustand des Parodonts der Restbezahnung gibt keine der Einteilungen Auskunft. Eine prognostische Qualität weist demnach keine der Einteilungen auf.

       31.5.1 Einteilung nach Kennedy

      Die älteste Klassifikation ist die topographische Einteilung nach Kennedy (1932). Bei ihr werden die Lückengebisse in vier Grundklassen (Hauptklassen) eingeteilt, die mit römischen Zahlen angegeben werden. Entsprechend unterscheidet man folgende Kennedy-Grundklassen:

       I beidseitig verkürzte Zahnreihe

       II einseitig verkürzte Zahnreihe

       III einseitig, doppelseitig oder mehrfach unterbrochene Zahnreihe

       IV über die Mittellinie reichende frontale bzw. frontolaterale Schaltlücke

      Ein Zahnbogen gilt als verkürzt, wenn (neben dem Weisheitszahn) mindestens der zweite Molar fehlt. Je nachdem, ob die Kennedy-Grundklassen I bis III eine oder mehrere (für Klasse III: weitere) Schaltlücken aufweisen, kann eine genauere Differenzierung in Unterabteilungen vorgenommen werden, wobei dies durch die arabischen Ziffern 1 bis 3 hinter der jeweiligen römischen Ziffer angegeben wird (Abb. 30-1 bis 30-4). Dabei ist zu beachten, dass der Übergang von Unterklasse 2 zu Unterklasse 3 nicht präzise definiert ist, da sich unter dem Begriff „nur noch geringer Restzahnbestand“ jeder etwas anderes vorstellt. Zur Klassifizierung eines Lückengebisses in eine Kennedy-Klasse I–III schaut man zunächst, ob noch zweite (bzw. falls vorhanden, dritte) Molaren vorhanden sind. Ist dies in beiden Kieferhälften der Fall, handelt es sich unabhängig eventuell vorhandener zusätzlicher Lücken auf jeden Fall um einen unterbrochenen Zahnbogen, also um eine Kennedy-Klasse III. Sind die genannten Molaren nur noch in einer Kieferhälfte vorhanden, so liegt eine Kennedy-Klasse II vor. Die Kennedy-Klasse IV ist ein Spezialfall der Klasse III. Sie weist keine weitere Unterteilungsmöglichkeit in Unterklassen auf. Sobald nämlich zusätzlich zu einer frontalen oder frontolateralen Schaltlücke eine weitere Schaltlücke oder eine Freiendsituation dazukommt, handelt es sich nicht mehr um eine Kennedy-Klasse IV, sondern um eine Klasse III, II oder I.

      Abb. 31-1 a Kennedy-Klasse I (Grundklasse): bilateral verkürzte Zahnreihe. b Kennedy-Klasse I1: bilateral verkürzte Zahnreihe und eine Lücke. c Kennedy-Klasse I2: bilateral verkürzte Zahnreihe und mehrere Lücken. d Kennedy-Klasse I3: bilateral verkürzte Zahnreihe bei nur noch geringem Restzahnbestand.

      Abb. 31-2 a Kennedy-Klasse II (Grundklasse): unilateral verkürzte Zahnreihe. b Kennedy-Klasse II1: unilateral verkürzte Zahnreihe und eine Lücke. c Kennedy-Klasse II2: unilateral verkürzte Zahnreihe und mehrere Lücken. d Kennedy-Klasse II3: unilateral verkürzte Zahnreihe bei nur noch geringem Restzahnbestand.

      Abb. 31-3 a Kennedy-Klasse III (Grundklasse): durch eine Lücke unterbrochene Zahnreihe. b Kennedy-Klasse III1: durch zwei Lücken unterbrochene Zahnreihe. c Kennedy-Klasse III2: durch mehrere Lücken unterbrochene Zahnreihe. d Kennedy-Klasse III3: durch mehrere Lücken unterbrochene Zahnreihe bei nur noch geringem Restzahnbestand.

      Abb. 31-4 Kennedy-Klasse IV: frontal (über die Mittellinie reichende) unterbrochene Zahnreihe.

      Eine nur bis zum ersten Molaren reichende lückenlose Bezahnung stellt in der Regel die volle Funktionsfähigkeit des Kauorgans sicher. Daher ist in einem solchen Fall primär keine prothetische Versorgung notwendig, es sei denn, ein im Gegenkiefer vorhandener zweiter Molar wird nicht von einem Antagonisten abgestützt. Zur Vermeidung einer Elongation wird in diesem Fall eine prothetische Lösung geplant. Fehlen bei einem Patienten bei ansonsten voller Bezahnung und normalen skelettalen Beziehungen der Kiefer zueinander nur die zweiten und dritten Molaren, so wären die Zahnbögen zwar verkürzt, bedürften aber keiner Therapie. Eine weitere Reduktion mit Verzicht auf eine prothetische Therapie ist nach dem Konzept der verkürzten Zahnreihe (SDA) möglich.

       31.5.2 Einteilung nach Eichner

      Die Klassifikation nach Eichner (1955) fußt auf dem von Steinhardt (1951) eingeführten Begriff der Stützzone. Man versteht darunter den antagonistischen Kontakt zwischen Prämolaren bzw. Molaren. Ein vollständiges Gebiss, Normalbisslage vorausgesetzt, besteht aus vier Stützzonen, die durch den Kontakt zwischen antagonistischen Prämolaren und Molaren gekennzeichnet sind:

       1. Stützzone: Prämolaren der linken Seite

       2. Stützzone: Prämolaren der rechten Seite

       3. Stützzone: Molaren der linken Seite

       4. Stützzone: Molaren der rechten Seite

      Frontzähne bleiben bei der Stützzonenbetrachtung unberücksichtigt.

      Nach der Eichner-Einteilung wird der Funktionswert eines Lückengebisses durch die Anzahl der noch vorhandenen Stützzonen gekennzeichnet. Drei Hauptgruppen werden unterschieden:

      In Gruppe A weisen alle vier Stützzonen antagonistischen Kontakt auf (Abb. 31-5). In Gruppe B ist in weniger als vier Stützzonen antagonistischer Kontakt vorhanden (Abb. 31-6), während in Gruppe C (Abb. 31-7) kein antagonistischer Zahnkontakt mehr besteht.

      Abb. 31-5 Eichner-Gruppe A: antagonistischer Kontakt in allen vier Stützzonen. a A 1: beide Kiefer vollbezahnt, einzelne Zähne geschädigt, aber wieder aufbaufähig. b A 2: ein Kiefer vollbezahnt, ein Kiefer mit zahnbegrenzten Lücken. c A 3: beide Kiefer mit Lücken, volle Abstützung in vier Stützzonen.

      Abb. 31-6 Eichner-Gruppe B: antagonistischer Kontakt nicht in allen vier Stützzonen. a B 1: nur in drei Stützzonen antagonistischer Kontakt. b B 2: nur in zwei Stützzonen antagonistischer Kontakt.

      Abb. 31-6 Eichner-Gruppe B: antagonistischer Kontakt nicht in allen vier Stützzonen. c