Lina-Marie Lang

Das Geheimnis der Keshani


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      Die Ashara-Chroniken

      Buch Zwei

      Das Geheimnis der Keshani

      Das zweite Buch der Keshani-Trilogie

      Lina-Marie Lang

      DAS ÖDLAND

      

      

      Es dauerte noch mehrere Stunden, bis sie die Ebene erreichten. Während sie den Pass hinabstiegen, schien die Dunkelheit immer mehr zuzunehmen. Über Miragar hingen dunkle Wolken, sie wirkten beinahe wie die Decke eines riesigen Raumes. Irgendetwas sagte Nadira, dass diese Wolken immer da waren und das ganze Land in ein seltsames Zwielicht tauchten.

      Je näher sie der Ebene kamen, desto unruhiger wurden sie. Sie fühlten, dass das Land lebensfeindlich und gefährlich war, sie fühlten, dass eine Bedrohung von ihm ausging. Es war nichts greifbares, nichts das sie unmittelbar bedrohte, trotzdem konnten sie das Gefühl einer Bedrohung nicht ablegen. Das Fehlen einer direkten Bedrohung sollte sie eigentlich beruhigen, aber das Gegenteil war der Fall, die Bedrohung wurde dadurch um so intensiver.

      Als sie die Ebene erreichten, sahen sie, dass die dunkle Farbe von Sand und von zähem, dunklen Gras kam. „Was ist das für seltsamer Sand?", fragte Nadira.

      „Das ist kein Sand", sagte Callanor. „Das ist Asche."

      Asche? Hatte er gerade gesagt, das sei Asche? Nadira sah sich um. Woher kam diese Asche? Gab es vielleicht einen Vulkan? „Woher kommt diese Asche?" Sie konnte keinen Vulkan entdecken, aber das Tokar Gebirge war gigantisch, dort mochte sich durchaus einer verstecken.

      „Miragar war eines der Schlachtfelder im Krieg gegen die Aiudir", sagte Brancus. „Das Land verbrannte durch die Kämpfe mit Ashara."

      „Aber müsste es sich nach all der Zeit nicht erholt haben?", fragte Aurel.

      Brancus zuckte mit den Schultern. „Wer weiß, welche Waffen damals benutzt wurden."

      Was auch immer passiert war, es musste schrecklich gewesen sein. Aber wieso gerade hier? Der Rest von Soria war nicht so verwüstet worden. Alluria war ein grüner, blühender Garten, Androtor ein stolzes Reich. Wieso war Miragar so zerstört? Nadira war sich nicht sicher, ob sie die Antwort wirklich wissen wollte.

      „Wir schlagen bald unser Lager auf", sagte Callanor. Noch auf dem Pass hatte er sie Holz sammeln lassen. Bald wurde ihnen klar wieso: Es gab kein Brennholz in Miragar. Allerdings gab es auch Gefahren, die man besser nicht durch ein Feuer auf sich aufmerksam machte. Von diesen Gefahren wussten die Gefährten noch nichts, niemand außer Callanor. Und aus diesem Grund beschloss er, nicht tiefer in das Land hinein zu reiten, sondern das Lager hier am Rand des Ödlands aufzuschlagen.

      „Das Holz reicht nur für heute", sagte Aurel. „Was machen wir die nächsten Tage?"

      „Wir müssen ohne Feuer auskommen", sagte Callanor.

      „Wie lange werden wir brauchen, bis wir auf Menschen treffen?", fragte Nadira.

      „Das kann man hier nie sagen", sagte Callanor. „Vielleicht schon morgen, vielleicht erst in Resperu."

      „Aber es muss doch Dörfer geben", sagte Nadira.

      „Nicht wie Ihr sie kennt." Er schien das nicht näher erklären zu wollen, aber Nadira lies nicht locker.

      „Was soll das heißen?"

      „Es gibt keine festen Dörfer. Die Bewohner von Miragar ziehen umher. Sie bleiben nie länger als einige Tage am selben Ort."

      Nadira und Aurel sahen sich fragend an. Darec und Lledar hingegen schienen nicht überrascht zu sein, denn sie waren bereits in Miragar gewesen und kannten die Sitten hier.

      ***

      Callanor führte sie in Schlangenlinien tiefer in das Land. Nadira wusste nicht, wieso er nicht einfach einer geraden Linie folgte. Hatte er vielleicht die Orientierung verloren? Oder war er auf der Suche nach etwas?

      Sie lies ihren Blick über die Ebene schweifen, dabei hatte sie das Gefühl, dass das Land sich ihrem Blick zu entziehen versuchte. Sie war nicht in der Lage zu sagen, wie das Land beschaffen war. Nur in einem kleinen Umkreis um sich herum konnte sie es klar erkennen, außerhalb dieses Radius schien die Welt unbestimmbar zu sein. Mit Schrecken wurde Nadira klar, dass sie sich alleine hier niemals zurechtfinden würde.

      Ihr Blick traf auf die Berge, die sie eben überquert hatten. Sie lagen jetzt auf ihrer rechten Seite. Die Berge waren ein Orientierungspunkt. Aber wo lag der Pass? Nadiras Blick suchte den Berg ab, aber so sehr sie sich anstrengte, sie konnte den Eingang zum Pass nicht entdecken.

      Callanor machte einen erneuten Schwenk und plötzlich lagen die Berge hinter Nadira. Jetzt konnte sie nicht mehr weiter nach dem Pass suchen, ohne sich den Hals zu verrenken.

      „Dieses Land ist unheimlich", sagte Aurel. Nadira hatte gar nicht bemerkt, dass sie neben ihr ritt.

      „Sehr unheimlich sogar", bestätigte sie. Als sie sich wieder umsah, sah sie, dass sich links und rechts Hügel erhoben und den Blick auf das Land versperrten. Kurze Zeit später hielt Callanor an.

      „Hier schlagen wir unser Lager auf", sagte er.

      Nadira starrte die Hügel verwirrt an. „Ich hatte die Hügel gar nicht gesehen", sagte sie.

      „Es sind keine Hügel", sagte Callanor. „Wir sind in eine Senke geritten. Hier sind wir geschützt, wir können Feuer machen, ohne dass es über Meilen zu sehen ist."

      „Sind wir deshalb in Schlangenlinien geritten?", fragte Lledar.

      „Genau", sagte Callanor. „Ich wusste, dass hier irgendwo diese Senke ist, aber das Land macht es schwer, sie zu finden."

      „Wieso ist das so?", fragte Nadira. Das Land machte ihr Angst, alles hier war so fremd. Sie waren erst seit Kurzem hier in Miragar und sie hatte das Gefühl, in einer vollkommen anderen Welt zu sein. Wie mochten die Menschen hier wohl sein? Waren sie ebenso fremd wie das Land?

      „Niemand weiß es genau", sagte Callanor. „Aber man kann das Land nicht klar erkennen. Viele denken es ist ein Fluch der Aiudir. Aber vielleicht liegt es einfach nur am Licht oder am Land selbst."

      Ein Fluch. Das verfluchte Land. War Miragar ein verfluchtes Land? Worauf hatten sie sich nur eingelassen? Die Anderen hatten gesagt, Nadira habe keine Ahnung, worauf sie sich einließ. Immer mehr musste sie eingestehen, dass sie recht hatten. Hatten die Anderen es gewusst? Wenn ja, wieso hatten sie sie begleitet? Nadira hatte das Gefühl, sie würde sie alle ins Verderben stürzen. Vielleicht hatte sie das ja schon.

      ***

      Das Lager war schnell und routiniert aufgebaut. Inzwischen hatten sie es so oft gemacht, dass jeder wusste, was er zu tun hatte. Trotzdem war in dieser Nacht einiges anders. Wie üblich wurden Wachen eingeteilt, diesmal allerding immer zwei Personen zusammen. Callanor bläute allen ein, wie wichtig es war, dass die Wachen wirklich wach blieben. Sie mussten sich gegenseitig wach halten, und man sollte lieber jemand anderen aufwecken als auf der Wache einzuschlafen.

      Aber auch das war noch nicht alles. Die Wachen sollten regelmäßig aus der Senke herausklettern, auf beiden Seiten, und die Umgebung begutachten. „Wenn ihr etwas seht, ganz egal was, ein Tier, Menschen, nur einen Schatten, irgendetwas das ungewöhnlich ist, dann weckt mich und zeigt es mir." Obwohl er es nicht aussprach, war an seinem Verhalten und seinen Anweisungen klar zu erkennen, dass er hier eine neue oder eine größere Bedrohung erwartete.

      Wenn Nadira an ihre bisherige Reise zurückdachte bekam sie es mit der Angst zu tun. Sie waren schon auf so viele Gefahren gestoßen, aber nie hatte Callanor sie solche strengen Sicherheitsmaßnahmen treffen lassen, nie war er so ernst gewesen.

      „Auf was sollen wir genau achten?", fragte Tinju.

      „Auf alles. Alles, was nicht so ist, wie es sein sollte, jede Kleinigkeit."

      Wieso wagte Nadira es nicht, Callanor zu fragen, welche Bedrohungen er eigentlich erwartete? Sie hatte sich die Antwort darauf gerade selber