Martin Danders

Die Vorgesetzte


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ist sicher, man kann ja nie wissen!“ Ich stelle den Campingkocher neben das Auto und brate mir in der Pfanne ein Nudelgericht mit Schinken, viel Käse und Gemüse. Dazu öffne ich mir ein Bier und schaue zufrieden in die Umgebung.

      Die Ortschaften rings um die Asse sind eher bescheiden und strotzen nicht gerade vor Reichtum. Hier haben früher hauptsächlich einfache Bergarbeiter gewohnt, die sicherlich nur bescheiden gelebt haben. Aber ich finde solche Gegenden besser, als diese reichen Landkreise im Taunus nördlich von Frankfurt, wo viele gutbetuchte Banker und andere Vermögende leben. Leider trifft es immer wieder die Falschen, wenn es zu Naturkatastrophen oder durch Menschen verursachte Desaster kommt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass es hier um die Asse noch zu einschneidenden Vorfällen kommen wird.

      Die Erhöhung der Leukämie- und Schilddrüsenerkrankungen in der Samtgemeinde Asse sehe ich ausschließlich nur im Zusammenhang mit dem Endlager für atomaren Abfall. Das Ziel meiner Untersuchungen ist nachzuweisen, ob das Grundwasser bereits radioaktiv belastet ist. Ich gehe davon aus, dass es wegen der unzähligen Wassereinbrüche im Bergwerk längst zu einem Kontakt zwischen dem Grundwasser und dem radioaktiven Abfall gekommen ist. Von 1906 bis 2008 gab es offiziell 61 Wassereinbrüche, inoffiziell waren es vermutlich weit mehr. Die Fässer haben maximal 3 Jahre gehalten und bieten keinen Schutz mehr. Die Gesamtzahl an Fässern mit schwachradioaktiven Abfällen liegt bei 125.787 Stück. Die eingelagerte Menge für mittelradioaktiven Abfall wurde vom damaligen Betreiber nachweislich verschleiert, angegeben wurden nur 1.293 Fässer, tatsächlich wurden aber 16.100 Stück eingelagert. Außerdem kennt niemand den Inhalt der nichtdeklarierten 14.800 Fässer. Diese Umstände belegen, dass hier bis Ende 1978 ein illegales Endlager betrieben wurde und dass die damaligen Betreiber die Öffentlichkeit belogen haben. Gemäß dem Motto, „wer einmal lügt, lügt immer“ werden auch andere Vorfälle nicht gemeldet worden sein. Die geplante Rückholung der eingelagerten radioaktiven Abfälle auf Veranlassung des Bundesamtes für Strahlenschutz wird nicht funktionieren, weil sich die radioaktiven Kontaminationen wegen der korrodierten Fässer längst im Salzstock als auch im Grundwasser verteilt haben. Wahrscheinlich gibt es mittlerweile nur noch wenig radioaktiven Abfall, den man borgen und in das andere Bergwerk bringen kann. Deswegen halte ich diese Maßnahme für vollkommen falsch und für einen Verschwendung von Steuergeldern. Außerdem kann es zu Transportunfällen kommen, dadurch wären Arbeiter einer Strahlung ausgesetzt. Das andere Endlager, ein ehemaliges Eisenerzbergwerklager, wird auch keine sichere Einlagerung ermöglichen, weil es dauerhaft trocken gehalten werden muss. Auch dort gibt es Wassereinbrüche an Verwerfungen, sodass der dortige Betreiber permanent Sicherungsmaßnahmen leisten muss. Somit ist die geplante Sanierungsmaßnahme des Asse-Betreibers ein blanker Wahnsinn. Es hätte niemals radioaktiver Müll in der Asse abgelagert werde dürfen, weil die tektonischen Aktivitäten im Bereich des Salzstocks mit den vielen Verwerfungen und dem labilen Deckgebirge allen Fachleuten damals schon bekannt war. Wenn man jetzt gar nichts tun würde, würde in kürzester Zeit das gesamte Bergwerk mit Grundwasser volllaufen. Spätestens dann, kommt es sowieso zu einem Kontakt zwischen dem radioaktiven Abfall und dem Grundwasser. Ein Bergsturz wegen tektonischer Aktivitäten hätte auch dramatische Folgen, weil es dann ebenfalls sofort zu diesem unerwünschten Kontakt kommen würde.

      Gegen Mittag esse ich mein gelungenes Nudelgericht und trinke das Bier. Dabei schüttele ich besorgt meinen Kopf, weil mich diese Gedanken wegen Asse II sehr beunruhigen. Ich bin immer wieder entsetzt über das Verhalten von raffgierigen Managern, die nur ihre Profite im Sinn haben, um den Aktionären eine Dividende ausschütten zu können. Hier wurde die ungelöste Endlagerfrage bei der Kernenergie einfach umgangen, indem man sich der Sache auf die billige Art entledigt hat, gemäß dem Motto, „Hauptsache die Kasse stimmt, spätere Konsequenzen sind mir doch scheißegal!“ Die Verlagerung in das andere Erzbergwerk soll ca. 4 bis 6 Milliarden EURO kosten, die zahlt natürlich wieder der Bund beziehungsweise der Steuerzahler, so wie es in Deutschland immer war und auch in Zukunft sein wird. Irgendwann werden die Leute diese Verschwendung von Steuergeldern und die permanente Schuldenerhöhung von Bund, Ländern und Gemeinden nicht mehr akzeptieren. Dann wird es auch in Deutschland zu Unruhen kommen, wie es bereits in vielen anderen Staaten weltweit der Fall ist.

      Nachdem ich das Geschirr und die Pfanne gereinigt habe, überprüfe ich im direkten Umfeld des Busses mit dem Geigerzähler die Strahlenbelastung. Wie in Wittmar ist hier die Bodenoberfläche nicht kontaminiert, auch die Pflanzen zeigen keine Auffälligkeiten. Ich klettere mit meinem Messgerät die Uferböschung zur Altenau hinunter und überprüfe das Oberflächenwasser. Zu meiner Überraschung zeigt der Geigerzähler über der Wasseroberfläche eine geringe Strahlenbelastung an. Auch an anderen Messpunkten über dem Wasser bestätigt sich dieser positive Befund. Angespannt hole ich die Digitalfilmkamera aus dem Bus und filme den Uferbereich mit dem radioaktiven Wasser. Anschließend richte ich die Filmkamera auf den Geigerzähler, den ich gleichzeitig mit der anderen Hand knapp oberhalb der Wasseroberfläche halte, um die Digitalanzeige mit der schwachen Belastung zu filmen. Danach fülle ich eine Wasserflasche mit Flusswasser, beschrifte einen Aufkleber mit den Probenahmedaten und klebe ihn ans Gefäß. Danach verstaue ich meine Probe tief im Kofferraum des Fahrzeugs, damit Fritz und ich keiner Strahlenbelastung ausgesetzt sind. Das ist eine sensationelle Entdeckung, weil ich bislang keine radioaktiven Belastungen in meinem Untersuchungsgebiet angetroffen habe. Jetzt wird mein Wochenendprojekt langsam spannend!

      Gemäß dem neuen Betreiber (Bundesamt für Strahlenschutz) konnte bislang in der Umgebung von Asse II keine Kontamination mit radioaktiven Substanzen festgestellt werden. Trotzdem zeigt das Krebsregister, dass in der Samtgemeinde Asse im Vergleich mit anderen Gemeinden im Zeitraum von 2002 bis 2009 auffällig häufig Leukämie- und Schilddrüsenkrebserkrankungen aufgetreten waren und dass ebenso im Zeitraum 2002 bis 2008 die Sterblichkeit durch Leukämieerkrankungen auffällig hoch gewesen war. Nach meiner Einschätzung ist die ionisierende Strahlung der eingelagerten radioaktiven Abfälle verantwortlich für das vermehrte Auftreten dieser beiden, typischen Strahlenerkrankungen sowie der Leukämietodesfälle in der Gemeinde Asse. Jetzt belegt meine Entdeckung mit dem belasteten Oberflächenwasser, dass tatsächlich radioaktive Substanzen aus dem Bergwerk migriert sind und die Bevölkerung in dieser Gemeinde einer erhöhten Strahlenbelastung ausgesetzt ist. Wenn meine Entdeckung an die Öffentlichkeit kommen würde, würde es für den Betreiber sehr ungemütlich werden.

      An mehreren Stellen am Altenauufer in der weiteren Umgebung des Busses messe ich die Radioaktivität des Flusswassers und jedesmal zeigt sich eine geringe Strahlenbelastung. Dann schließe ich den Bulli ab und laufe mit Fritz ungefähr einen Kilometer Richtung Westen am Ufer entlang. Auch hier ist das Wasser schwach radioaktiv belastet. Anschließend gehe ich am Ufer zurück, passiere mein Auto und laufe noch mindestens einen Kilometer weiter Richtung Osten. Als ich dort das Wasser überprüfe, stelle ich wieder eine radioaktive Belastung fest. Scheinbar ist nur das Flusswasser kontaminiert, weil alle anderen Messpunkte neben der Altenau nichts anzeigen. Abschließend wandere ich mit Fritz eine große Runde über die Felder, damit er auch auf seine Kosten kommt. Er ist bestimmt hoch erfreut, dass wir jetzt nicht mehr ständig dumm herumstehen, ohne dass etwas passiert.

      Am Abend sitze ich im Bus am Laptop und schreibe in meinem Bericht ein paar Seiten bezüglich meiner heutigen Entdeckung. Wenn ich mich im Untersuchungsgebiet befinde, ergänze ich jedesmal den Text. Etwas später kopiere ich die heutige Filmdatei auf die Festplatte des Laptops und schaue mir anschließend auf dem Monitor die gelungenen Aufnahmen an. Ich bin mit dem Ergebnis sehr zufrieden und streichele Fritz über den dicken Kopf, der sich mittlerweile an meinen Füßen zum Schlafen eingerollt hat. Ich werde erst zu einem späteren Zeitpunkt meine Beobachtungen der Öffentlichkeit mitteilen. Dabei denke ich nicht an wenig flexible, niedersächsische Behörden, sondern eher an die Presse. Ich bin davon überzeugt, dass die Medien meine Beobachtungen sehr interessant finden und vielleicht sogar dafür etwas bezahlen werden.

      Nachdem ich den Laptop abgeschaltet und verstaut habe, hole ich mir ein Bier aus der Kühltasche und schmiere mir ein paar Brotscheiben mit Butter, Wurst und Käse. Fritz wird wegen meiner Nahrungsaufnahme wach und schaut mich bettelnd an, als ob er gleich verhungern würde. Alle Hunde dieser Welt beherrschen diese Disziplin ausgezeichnet, natürlich auch Fritz. Nach meinem Abendessen gebe ich ihm seine Hundefutterration, auf die er schon sehnsüchtig gewartet hat. Anschließend rufe ich mit dem Handy Claire an, um mich wenigstens