Linda V. Kasten

Himmelsfrost


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saß bereits auf meinem dunklen Rappen Gladier, während Cora Tom ein letztes Mal umarmte. Sie klammerte sich regelrecht an ihn, während er ihr beruhigend ins Ohr flüsterte.

      »Ich komm in ein paar Tagen nach, versprochen.«

      Ich konnte verstehen, warum sie solche Angst hatte. Sie hatte schon einmal jemanden verloren, der ihr versichert hatte in ein paar Tagen wieder zurück zu sein.

      »Ihr müsst jetzt los.« Sanft löste Tom sich aus Coras Griff und hob sie mit einem Ruck in den Sattel.

      Er wandte sich mir zu und drückte kurz meine Hand. »Passt gut auf euch auf.«

      Ich nickte. »Wir sehen uns in ein paar Tagen.«

      Ich warf einen letzten Blick auf Cora, dann gab ich Gladier die Sporen und trabte den Hügel hinauf.

      Am Waldrand gab ich Cora ein Zeichen anzuhalten. »Warte hier auf mich, ich muss noch etwas erledigen, bevor wir aufbrechen.«

      Cora blickte mich besorgt an. »10 Minuten.«

      Ich nickte. »10 Minuten.«

      Damit preschte ich los in Richtung Marktplatz. Die Straßen waren noch verlassen und dunkel als ich von meinem Pferd stieg und die Tür zur Schenke öffnete. Augenblicklich schlug mir der vertraute Geruch entgegen. Gerade als ich den Mund öffnete, um nach Evenak zu rufen, hörte ich leise Stimmen aus der Küche.

      Ich lief ein paar Schritte in den Raum hinein und sah zwei Gestallten in der offenen Tür zur Küche stehen.

      Evenak, der wie immer einen Lappen in der Hand hielt, als wäre er drauf und dran den Tresen zu wischen und noch ein zweiter Mann, welcher mir jedoch den Rücken zugewandt hatte. Als Evenak mich sah, blitzte für einen Augenblick Angst in seinen Augen auf. Erst da nahm ich seine angespannte Haltung wahr und die Hand, die unruhig über den Griff seines Dolches an seinem Gürtel fuhr. Ich wollte meine Klinge ziehen, doch Evenak formte etwas mit dem Mund. Und als ich nicht reagierte noch einmal: Verschwinde.

      Ich zögerte ein Moment, bis ich die Tätowierung im Nacken des Fremden sah. Eine beflügelte Schlange.

      »Ich habe keine Ahnung, wen sie suchen oder was sie wollen aber sollte ich etwas hören, sind sie der Erste, der es erfährt.«, hörte ich Evenak sagen. Der Spott in seiner Stimme war kaum zu überhören.

      Ich zog einen Dolch aus meinem Gürtel und legte ihn auf den Tisch neben mir, dann formte ich mit den Lippen ein Lebwohl und zog mich leise aus der Schenke zurück. Draußen angekommen sprang ich auf mein Pferd und galoppierte los. Ein schlechtes Gewissen beschlich mich, als ich mir einen Weg durch die engen Straßen bahnte. Der Dolch sollte ein Abschiedsgeschenk sein, ein Zeichen meiner Dankbarkeit. Auch wenn wir all die Jahre nicht besonders viel miteinander gesprochen hatten, hatte er doch trotzdem immer auf mich achtgegeben und ich war ihm unendlich dankbar dafür.

      Am Waldrand angekommen gab ich Cora aus der Ferne ein Zeichen loszureiten. Ayden hing mehr auf seinem Pferd, als dass er saß. Als Cora angaloppierte, rutschte er ein Stück nach unten und klammerte sich an den Sattel. Seine Haut war aschfahl und sein Haar klebte schweißnass in seinem Gesicht. Der Nelkenextrakt schien ihm auf Dauer nicht gut zu bekommen.

      Wir ritten den ganzen Tag und hielten nur einmal an, um die Pferde aus einem Bach trinken zu lassen.

      Als die Sonne immer weiter Richtung Horizont wanderte und die Bäume bedrohliche Schatten auf den Boden warfen, hielten wir die Augen nach einem Quartier für die Nacht offen. Mit dem Verschwinden der letzten Sonnenstrahlen gelangten wir an einen See. Das Ufer war felsig und vereinzelnd mit Kiefern bewachsen, welche ein gutes Versteck für die Nacht boten.

      Während Cora begann Schutzzauber zu errichten, kümmerte ich mich um die Pferde und unseren Gefangenen. Ayden war kaum noch bei Bewusstsein und protestierte nicht als ich ihn vom Pferd zog und an einen Baum fesselte.

      Mein schlechtes Gewissen meldete sich erneut, als ich die dunklen Schatten unter seinen Augen und den Bluterguss an seinem Wangenknochen sah.

      Cora, die mit einem Arm voller Zweige aus dem Wald zurückkam, nickte in seine Richtung. »Du kannst ihn losbinden, er kommt nicht über meinen Schutzwall.«, als sie sah, dass ich zögerte, fügte sie hinzu: »Vertrau mir. In seinem Zustand würde er sowieso nicht weit kommen.«

      Da hatte sie vermutlich recht. Also löste ich seine Fesseln und stieß ihn vorsichtig mit meinem Schuh an, bis er endlich die Augen öffnete und zu mir hochblickte.

      »Du siehst scheiße aus.«, mit den Worten reichte ich ihm meine Wasserflasche.

      Er machte keine Anstalten sie entgegen zu nehmen, sondern musterte mich nur skeptisch aus halb geschlossenen Augen.

      »Es ist Wasser.«, fügte ich hinzu. »Nur Wasser.«

      Ich schraubte den Verschluss ab und nahm einen kleinen Schluck aus der Feldflasche, dann hielt ich sie ihm erneut hin. Diesmal nahm er sie entgegen und trank zögerlich einen kleinen Schluck. Als er sich sicher war, dass ich ihm wirklich nur Wasser gegeben hatte, nahm er einen größeren Schluck.

      Ich überließ ihm die Flasche und lief ein Stück am Rande des Sees entlang. Ein leichtes Kribbeln auf der Haut sagte mir, dass ich fast am Rand von Coras Schutzmauern war. Vorsichtig ließ ich mich auf einen Felsen am Ufer nieder. Der Nebel hatte sich verzogen und eine schmale Mondsichel bildete sich am Himmel ab. Etwas von mir entfernt hatte sich Cora in eine Decke gewickelt an das Feuer gelegt. Wir hatten ausgemacht uns kurz nach Mitternacht mit der Wache abzuwechseln. Cora und ich hielten es für klüger, wenn einer wach blieb und die Umgebung im Auge behielt. Zwar waren Coras Schutzzauber stark, doch mit einem Gefangenen des Lixh-Clans sollte man kein Risiko eingehen. Die Kälte kroch langsam unter meine Haut, doch anstatt zu Cora ans Feuer zu gehen, zog ich meinen Umhang noch fester um mich und setzte die Kapuze auf. Als ich den Schein der Flammen beobachtete, fühlte ich mich plötzlich schrecklich einsam. Das Alles fühlte sich so unglaublich falsch an. Die Tatsache, dass mich jeder belogen hatte, dass wir den Ort verlassen mussten, den ich über die Jahre als mein Zuhause akzeptiert hatte und die Tatsache, dass ich Soey an diesem einsamen Ort zurückließ. Mein Blick wanderte hinauf zu den Sternen. Ob sie mich wohl beobachtete?

      Nachdem ich eine Weile gedankenverloren dagesessen hatte, hörte ich plötzlich das Rascheln von Laub hinter mir und fuhr alarmiert herum, doch es war nur Ayden, der sich ein Stück entfernt von mir ans Ufer setzte. Dieses kurze Stück hatte ihm bereits so viel Anstrengung gekostet, dass sämtliche Farbe aus seinem Gesicht gewichen war.

      Er blickte zu mir herüber und unsere Augen trafen sich für einen Moment.

      »Du siehst traurig aus.«, stellte er fest.

      Ich wollte etwas Bissiges erwidern, doch ich war zu müde und die Tatsache, dass es ihm so schlecht ging, zeigte, dass ich meine Wut schon genug an ihm ausgelassen hatte. Wir würden ihn in Dyllis dem Rat übergeben und er würde seine Strafe erhalten.

      »Lixh ist noctarialïum.«, stellte ich fest und ignorierte seine Feststellung. »Was bedeutet es?«

      »Es bedeutet Chamäleon.«, beantwortete er meine Frage.

      »Der Clan des Chamäleons?«

      Ayden nickte. »Ein Chamäleon kann seine Hautfarbe passend zur Umgebung ändern. Genauso wie jeder Wächter sich seiner Umgebung anpassen können sollte. Ob Feuer oder Wasser, ganz egal.« Sein Blick wanderte hinaus auf den See. Und in seinen Augen blitzte so etwas wie Traurigkeit auf.

      »Außerdem sind sie drachenähnlich und unser Anführer hat da so seine Schwächen.«, fuhr er fort.

      »Du hast ihn noch nie gesehen? Euren Anführer meine ich.«

      Ayden schüttelte den Kopf. »Niemand kriegt ihn zu sehen. Zumindest niemand mit meinem Rang. Er überlässt uns die Drecksarbeit und plant alles aus sicherer Entfernung.«

      Ayden zuckte zusammen, als hätte er etwas Falsches gesagt. Neugierig blickte ich zu ihm hinüber.

      »Wieso arbeitet ihr für jemanden, den Niemand zuvor gesehen hat? Wie könnt ihr sicher sein, dass er der