Kristian Winter

Die Lohensteinhexe


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Hüften samt dem dunklen Flaum, der sich verführerisch kringelte. Alles an ihr war wohlgeformt und makellos gleich dem Ideal einer antiken Statue. Ihr ganzes Wesen atmete den Hauch eines Weibes mit jenen tiefen, auf dauerhafte Genüsse gerichteten Begierden, die jeden Mann unweigerlich in ihren Bann zogen. Mit Grausen dachte er an das Untier in der heiligen Schrift. Sein bloßer Geruch erstickte alle Welt mit Fäulnis.

      Dennoch starrte er sie gleichsam gebannt wie fasziniert an, bis ihm plötzlich, als er die Lider schloss, um nichts mehr sehen zu müssen, das Tier aus der Finsternis erschien. Es streckte die Hände nach ihm aus und drohte ihm völlig zu erliegen.

      Verstört wies er den Büttel an, die Maßnahme an seiner statt fortzusetzen. Der ging auch gleich daran, wurde aber so grob, dass sie vor Schmerzen schrie.

      Und wieder konnte er es nicht ertragen. Sie war so zart und rein, er hingegen so brutal und dumm, dass er es nicht ertrug.

      Es sei schon gut. Er habe genug gesehen, unterbrach er und griff sich schwer atmend an die Brust. Und als man sie hinaus führte und er noch einmal ihren ängstlich-flehenden Blick einfing, las er eine Frage darin, die er nicht beantworten konnte. Es war die Frage nach dem Warum.

      Seltsam war das. Anstelle einer Hexe erblickte er eine Venus. Ihre Stimme war die eines Engels und nicht einer Hure, ja ihr ganzes Wesen atmete Liebenswürdigkeit anstatt Abscheu. So sehr er sich auch mühte - er konnte nichts Böses an ihr finden.

      Das war aber nötig, um den Prozess mit dem gebotenen Augenmaß zu führen. Wie sollte er also die Schuldfrage beantworten können, wenn er selber daran zweifelte?

      Man hatte sie angezeigt, weil ungehörige Dinge geschehen waren, die überall Ängste schürten. So wurde glaubhaft berichtet, dass der Blitz in die Kirche zur Liebfrauen einschlug, nachdem ihr der Küster den Zutritt verweigert hatte. Weiterhin soll dessen Schwester Gertrud nur deshalb ihr Kind verloren haben, weil sie zuvor ihren bösen Blick empfing, und die Ferkel der Bäuerin Diethild wären nur deshalb krepiert, weil sie mit ihr im Hader lag.

      Aber selbst wenn man nichts Genaueres wusste und sich oftmals nur in Mutmaßungen erging, genügten allein die unabhängigen Feststellungen zweier glaubhafter Zeugen zur Einberufung des Tribunals.

      Aber die Angst vor einem neuen Hexenkomplott wie im Jahre 1615, als in vielen Flecken die Cholera wütete, nur weil man die Verursacher nicht rechtzeitig richtete, saß den Menschen noch immer in den Knochen.

      Gewiss muss die Welt vor teuflischen Verwerfungen bewahrt werden, und seine Aufgabe als Magister disciplinae und städtischer Camerarius bestand darin, in aller Schärfe darüber zu wachen. Dass er aber ihretwegen litt und erstmals zweifelte, blieb ihm unbegreiflich.

      Zwar hatte er in vorangegangenen Prozessen ebenfalls gelitten, doch niemals gezweifelt. Sein Leid resultierte aus einer Art stumpfem Rausch infolge des quälenden Bewusstseins des Unausweichlichen, was mit anzusehen nicht immer einfach war. Dabei kann fremdes Leid niemals freuen oder gar befriedigen, es sei denn, man ist von krankhafter Natur, was er jedoch von sich ausschloss, im Gegensatz zu manch anderem seiner Zunft.

      Jetzt aber vermeinte er ihren Schmerz wie den eigenen zu spüren, und das war neu. Selbst abends in der Kammer noch versuchte er diese innere Qual zu vertreiben, indem er sich die ganze Nacht, das ‚Cor meum‘ betend, mit einer Rute geißelte.

      „Herr, befreie mich von dieser Last!“, stöhnte er, als ihn wieder jener Lendendruck quälte, den er durch den Eingriff des Medicus Gregorius vor Jahren hatte dämmen lassen. Seither trug er einen Reif unter seinem Rock, der eine Schamkapsel in seinen Schoß drückte. Diese bereitete ihm Schmerzen, sobald ihn unzüchtige Gedanken peinigten.

      Das kam hin und wieder vor, blieb aber meist nur von kurzer Dauer. So aber vermochte er die Entsagung besser zu ertragen, und niemals war es in den letzten Jahren dazu gekommen, dass er eines Weibes bedurfte, wenngleich sich Möglichkeiten dafür genug boten.

      Das war vor allem im städtischen Badehaus der Fall, wo er öfter weilte und die Bäderinnen alles andere als zimperlich zu Werke gingen, wenn es galt, ihre Gäste zu stimulieren.

      Er aber lehnte ihre Dienste stets ab und genügte sich in der Passivität fremder Beobachtungen. Allerdings bereitete ihm diese mehr Ekel als Vergnügen, vor allem, wenn er mit ansehen musste, wie leicht und schnell sie doch ihr Geld verdienten ohne nur das geringste Gefühl.

      Leicht beschürzt und in den Künsten der Verführung geübt, handelten sei rein mechanisch, allein vulgären Notwendigkeiten gehorchend, die normalerweise eine Schande für Anstand und Moral darstellten, hier aber Gang und Gäbe waren. In Wahrheit gab keine von ihnen nur einen Dreck für das Wohl eines Gastes außerhalb ihrer Dienste. Alles bleibt anonym, kalt, ohne jede Harmonie.

      Männer, die darauf hereinfielen, waren in seinen Augen Narren. Sie konnten nicht begreifen, dass ihre Rolle als Verlangende sie zu Sklaven machte. Sie wären für sein Amt allesamt ungeeignet.

      Lange glaubte er sich darüber erhaben, doch jetzt war er sich da nicht mehr sicher, fürchtete er das Schlimmste, was ihm als Magister disciplinae passieren kann - die Befangenheit.

      Nicht auszudenken, wenn er ihr schon verfallen war. Er brauchte Gewissheit. Noch am selben Abend ritzte er sich mit dem Dolch in den Arm, fing das Blut in einem Becher auf und tat etwas Bilsenkraut hinzu. Angstvoll erwartete er das Ergebnis.

      Glücklicherweise blieb die Verfärbung aus. Er hatte den Mächten des Bösen widerstanden. Erleichtert verband er die Wunde und war entschlossener denn je. Und sollte sie es wagen, ihn noch einmal zu foppen, würde er ihr jeden Schandpflock einzeln in die Gelenke rammen.

      Als Mann in den reiferen Jahren verkörperte er mit seiner imposanten Erscheinung einen würdevollen Repräsentanten des hiesigen Tribunals. Dieses Amt genoss hohes Ansehen, aber auch Respekt, da es wegen seiner Unerbittlichkeit gefürchtet war.

      Dabei mochte man ihn mit seinem schulterlangen, hellbraunen Haar und dem sorgsam gestutzten Bart beim ersten Hinsehen eher für einen Krämer halten - aber das täuschte. Sein unbestechlicher Blick für das Wesentliche, kombiniert mit einer geschliffenen Logik, verriet schnell den messerscharfen Kasuisten, der selbst unscheinbarste Dinge als Ausdruck der Verderbtheit zu entlarven wusste.

      Und er ließ nicht locker, bis sie eingestanden waren, selbst wenn er dabei bis zum Äußersten gehen musste. Darin hatte er Erfahrung. Deshalb hatte man ihn auch mit der Leitung des Prozesses beauftragt, denn es ist vor allem eine Frage des Prestiges für die hiesige Comturei, eine Hexe möglichst schnell und ‚sauber‘ zu überführen.

      Vom Wesen her war er sensibel, still und belesen, kurzum, ein Mensch, der die Künste liebte als auch die Auseinandersetzung mit ihnen. Seine Wirkung auf andere wurde als angenehm bezeichnet, und sein Wort hatte Gewicht.

      Auch wenn er sich stets bescheiden gab und keinen Wert auf diesen Umstand legte, so schmeichelt ihm doch der damit verbundene Respekt.

      Noch niemals hatte er eine Hexe geschont, und das würde auch jetzt so bleiben, denn er verstand sich als Verfechter der heiligen Inquisition, jener vor Gott geschaffenen Instanz der Wachsamkeit vor dem Bösen dieser Welt, ohne dem – davon ist er überzeugt – sie für alle Zeit verloren wäre.

      Dennoch war heute etwas anders, verspürte er eine unbestimmte Unruhe, die ihm sagte, dass dieser Prozess kein gewöhnlicher war. Auch wenn er es noch nicht benennen konnte, würde er es herausfinden.

      *****

      Die peinliche Befragung

      Nach der Leugnung in der gütlichen Befragung, folgte gemäß Protokoll nun das ‚peinliche Verhör‘.

      Dazu lag sie splitternackt, von Kopf bis Fuß epiliert, am ganzen Leib zitternd, auf der Bank. Die Büttel hatten sie bis zur Bewegungsunfähigkeit geknebelt und ihre nach außen gedrehten Füße mit einem Keil fixiert. Komisch sah es aus, mit den riesigen Schellen an Händen und Füßen, dazu ihr Gewimmer. Er wusste, dass sie gleich leiden wird und mochte sich nicht vorstellen, jetzt an ihrer Stelle zu sein. Schmerz