Kristian Winter

Die Lohensteinhexe


Скачать книгу

gerichtet. Man hatte zusätzlich zwei Schöffen zur Beglaubigung des endgültigen Urteils geordert, sobald das ‚Articulum principalem‘ benannt war. Das war der Hauptartikel, auf den sich die Anklage stützte. Es musste durch die Beklagte eingestanden und schlüssig bewiesen sein. Erst dann bekam es - durch die Signaturen der Zeugen und des Magisters beglaubigt - die erforderliche Rechtskraft.

      Die Angeklagte wirkte erstaunlich gefasst. Ihr Blick war in sich gekehrt und voller Ruhe. Inmitten des Kerzen- und Fackellichtes wirkte sie sonderbar erhaben, fast wie eine Königin mit ihren regelmäßigen Zügen und dem blassen Oval ihres Gesichts. Nichts vermochte diesen Ausdruck zu stören. Selbst das zottige Fell, womit sie ihre Blöße bedeckt, schien ihre Anmut zu erhöhen.

      Doch dann, als sei ihr plötzlich ein anderer Gedanke gekommen, ließ sie es von ihren Schultern gleiten und legte die Hände zwischen die gespreizten Schenkel. So stellte sie sich den edlen Herren in obszöner Schamlosigkeit dar.

      Sie befühlte sich mit den Fingern. Dazu holte sie tief Luft, wodurch sich ihre jugendlichen Brüste strafften und das goldene Fleisch ihres Leibes aus jeder Pore Wollust atmete. Ihre Lippen waren geschwollen und ihr Blick sinnverklärt. Nach dieser schmerzhaften Tortur glich das einem Wunder, aber alles an ihr wirkte geradezu magisch und anziehend.

      So sehr sich die Herren auch bemühten - es war ihnen unmöglich, den Blick von ihr zu nehmen. Niemand konnte sich ihrem Reiz entziehen. Selbst die Wachen starrten sie mit bleichen Lippen und zusammengekniffenen Nasen an. Ihre Münder waren verzerrt und ausgetrocknet, ihre Gesichter von innerer Spannung verkrampft.

      Nicht anders erging es den Schöffen und Zeugen. Sogar der Magister wirkte wie gelähmt. Fassungslosigkeit weitete seine Augen, und er empfand diese ‚Darbietung‘ als einzige Provokation.

      Es war, als bäume sich dieses Weib mit aller Macht noch einmal auf, beklemmend und ängstigend mit dem Wahnsinnsausbruch ihres Geschlechtes, als könne sie das allein noch erretten.

      Und in der Tat dachte niemand jetzt noch an Befragung. Sie wirkte auf eine seltsame Weise schön, ja ist die leibhaftige Sünde selbst. Fast wollte es scheinen, als fände sie eine bittere Wollust darin, die Edlen mit den Gluten ihre Leidenschaft zu versuchen. Und sie verstand sich darauf sehr gut. Kaum jemand, dem jetzt nicht absurde Phantasien kamen im Spiel mit diesem Weib voller Leidenschaft und Hingabe.

      Aber ihre Mühen blieben vergebens. Schnell wurden Rufe der Empörung laut. Se. Cantorius nannte sie ‚schamlos‘, Dn. Consul ‚dreckige Hure‘. Selbst der Büttel - davon angesteckt - griff zur Siebenschwänzigen, wurde aber vom Magister zurückgewiesen.

      Sie war nicht die Erste, die es so versuchte. Manche gelobten alles, was man von ihnen verlangte, sogar die Ehe mit dem Henker war dann kein Tabu mehr. Andere flehten um ein erlösendes Elixier kurz vor Vollstreckung, und wieder andere waren bereit, selbst die letzte Marter zu ertragen, wenn ihnen nur diese Todesart erspart blieb. Diese aber würde keine Gnade finden, nicht nach einem solchen Affront.

      Sie schien das auch zu ahnen, denn augenblicklich bedeckte sie sich und gab sich erstaunlich demütig, nannte die Herren ‚gute Christenmenschen‘ und sei nun bereit, ihr Urteil zu empfangen.

      „Doch wenn ich vor meinen Schöpfer trete, werde ich es ohne Reue tun, denn ich handelte aus Not“, stellte sie klar. „Schon deshalb wird euer Urteil unvollständig bleiben, als Zeichen eurer Schuld an mir und meiner unsterblichen Seele.“

      Erneut durchfuhr die Anwesenden Unruhe. Was erlaubte sie sich, so zu reden? Man empfand das als Kränkung. Se. Cantorius bestand auf einen Vermerk im Protokoll mit dem Zusatz der ‚Drohung‘.

      Doch der Magister lehnte das als irrelevant ab.

      „Es war im Jahr 1629 nach unser aller Erlösers Geburt“, fuhr sie unbeeindruckt fort. „Damals lebten wir noch in unserem Flecken am Waldesrand. Der Winter war hart und endlos. Hinzu kamen die plündernden Truppen der Schweden, die marodierend durchs Land zogen und sich nahmen, was sie finden konnten.

      Auch bei uns fielen sie ein, verwüsteten die Stallungen, raubten das Vieh und brannten das Dorf nieder. Wer sich ihnen in den Weg stellte, wurde gnadenlos von ihren Schwertern niedergehauen. Den Weibern schnitten sie die Brüste ab, nachdem sie sie geschändet, und kleine Kinder spießten sie wie Trophäen auf ihre Lanzen. Manchen Bauern flößten sie Jauche ein, bis ihnen die Mägen aufquollen. Dann schlitzten sie ihnen die Bäuche auf und ergötzten sich an den herausbrechenden Gedärmen. Wahrlich, selbst die Hölle kann nicht schlimmer sein.

      Wir aber konnten entkommen. Trotz eisiger Kälte wagten wir uns tagelang nicht zurück, haben Schnee gegessen und uns in einer Höhle versteckt. Mit unseren Leibern wärmten wir einander, so gut es ging, und waren doch froh, jeden neuen Morgen zu erleben. Die Schweden zogen weiter, doch das Elend blieb. Einen von ihnen konnten die Bauern noch ergreifen.

      Sie haben ihm bei lebendigem Leib die Haut abgezogen und in Streifen über einen Zaun gehängt. Dann schnitten sie ihm den Kopf ab und banden ihn an seinem langen blonden Haar an einen Ast, worauf er noch weit zu sehen war. ‚Mit vielen Grüßen an Gustavum Adolfum!‘ johlten die Kinder und bewarfen ihn mit Steinen.

      Damals herrschte eine schlimme Zeit. Dem Landvolk erging es überall schlecht. Man aß Rinde und Wurzeln und trank Wasser aus dem Fluss. Das Vieh krepierte und mancherorts wurden in der Not Kadaver gefleddert.

      Mein Kind schrie, weil mir meine Milch ausging. Hinzu kam, dass Hubertus, mein Mann, bald darauf an schwerem Fieber starb. Nun fürchtete ich, dass der Herr mir auch bald mein Kind nähme, denn es wurde von Tag zu Tag schwächer. Sein Bauch quoll auf und es bekam überall dunkle Flecken.

      In meiner Not ging ich betteln, doch man jagte mich fort. Der Truchsess verwehrte mir die Unterkunft im Armenhaus, da ich keine Bürgerin der Stadt war. Mein guter Vater lag selbst krank darnieder und konnte uns nicht helfen, so dass ich in unser Dorf zurück musste. Hier ergab ich mich meinem Schicksal und hoffte, dass es mir bis zum Ende gnädig bliebe.

      So lebte ich von dem, was ich finden konnte. Aber das war nicht viel. Ich fing Kröten und kochte einen Sud daraus wie früher die Wenden. Auch sammelte ich Würmer und verrührte sie zu Brei, den ich mit Holzmehl streckte. Doch ich merkte bald, dass ich damit kaum über‘s Jahr käme.

      Da ich mich von Gott verlassen glaubte und keinen Ausweg mehr sah, versuchte ich mich in der Magie, von der ich schon einiges gehört hatte.

      Eines Abends entzündete ich auf dem Bocksberg ein Feuer. Dazu hatte ich eigens eine Natter gefangen und ihr den Kopf abgebissen. Das Blut träufelte ich in die Flammen. Den Kadaver schlitzte ich auf und sengte ihn in der Hitze, bis ich ihn, zu Mehl zerrieben, ebenfalls ins Feuer streuen konnte.

      Dazu sprach ich das Diabulorum, jene Zauberformel, womit ich die Mächte der Finsternis beschwor, mir den Erlöser zu senden, damit er wenigstens mein Kindlein versorge. Dafür wäre ich auch bereit, meine Seele zu opfern. Das wiederholte ich dreimal, zog mich aus und rieb meinen Leib mit Ruß ein. Doch der Teufel zeigte sich nicht und ich glaubte mich selbst von ihm verlassen.

      Dann aber lief mir eines Tages eine Katze über den Weg. Ein räudiges, abgemagertes Tier war es, das bei meinem Anblick stehen blieb und mich anknurrte. Ich trat auf sie zu und wollte sie fangen. Doch blitzschnell entwischte sie ins Unterholz. Als ich ihr nachlief, erblickte ich plötzlich einen Mann.

      Es war der Jacob Bellach. Er stand an einem Baum und verrichtete die Notdurft. Ich erschrak, denn er erschien mir wie ein Geist aus dem Nichts und starrte mich sonderbar an. Ich wandte mich sofort ab. Ihm aber schien das nicht unangenehm, denn er lachte nur und machte keine Anstalten, sich zu bedecken. Im Gegenteil. Er trat noch so vor mich hin, worauf ich es mit der Angst bekam.

      Ich wollte weglaufen, doch er sagte, dass er gekommen wäre, um mir zu helfen - wenn ich ihm helfe. Dabei nahm er meine Hand und führte sie in seinen Schoß. Er habe mich in seinen Träumen erhört, sagte er weiter, und fände nun keine Ruhe mehr. Was er dann tat, war eindeutig.

      Ja, Ihr edlen Herren! Ich war verwundert und bestürzt zugleich über seine Schamlosigkeit, die er mir so deutlich zeigte. Aber sollte mir der Satan wirklich in Gestalt dieses sonderbaren Kauzes erschienen sein, der wegen seiner wunderlichen Frömmelei