Kristian Winter

Die Lohensteinhexe


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sondern nur niederträchtig. Außerdem sind wir nicht hier, um zu verdammen, sondern zu urteilen. Nur sollte unser Urteil gerecht sein und nicht von Emotionen getragen werden. Im Übrigen weise ich darauf hin, dass es Euch als Zeugen nicht zusteht, das Verhör zu führen. Ich rufe euch zur Mäßigung auf.“

      Die Herren waren verblüfft, wagten aber keinen Einwand.

      Plötzlich begann die Beklagte zu lachen und nannte das alles eine lächerliche Inszenierung, einen Lobgesang auf den hiesigen Klerus. Ginge es wirklich um Gerechtigkeit, wäre sie längst frei, da es Hexerei nicht gäbe.

      Noch bevor der Magister reagieren konnte, erhielt sie zwei Schläge mit der Katze, worauf ihre linke Augenbraue aufplatzte. Der hinter ihr stehende Büttel konnte sich nicht beherrschen. Sie kauerte sich sofort zusammen und hielt schützend die Hände über den Kopf.

      Der Anblick des zitternden Weibes und das Blut in ihrem Gesicht verwirrten den Magister. Wütend entriss er dem Büttel die Katze und war kurz davor, ihn selbst zu züchtigen.

      Dann aber kniete er vor ihr nieder und tupfte mit dem Velum behutsam das Blut aus ihrem Auge. Er tat es mit großer Sorgfalt, während sie ganz still hielt.

      Die Zeugen waren entsetzt. Aber die Tatsache, dass dieses heilige Tuch mit ihrem Blut benetzt wurde, war für sie unerträglich.

      Jetzt umfasste er auch noch ihre Hände und drückte sie, worauf sie allmählich ruhiger wurde.

      „Ihr habt es versprochen“, schluchzte sie.

      „Und ich werde es halten“, erwiderte er.

      Daraufhin blitzte so etwas wie Erleichterung in ihren Zügen und sie versprach ihm, nunmehr alles zu sagen.

      „So ist es recht, meine Tochter. Rede, und ich werde es verstehen.“

      „Als der Winter vorüber war, bedurfte ich seiner nicht mehr“, fuhr sie fort. „Ich hoffte, dass er sich nun wieder seiner Familie zuwendet und ich mein eigenes Leben führen könnte. Doch das war ein Irrtum. Er war meiner inzwischen derart gewohnt, dass er nicht mehr von mir lassen wollte, obgleich ich ihn meinen Überdruss zunehmend spüren ließ. Hielt ich ihn anfangs noch für einen Gesandten des Satans, der mich mit seinen Zauberkräften schnell zu Glück und Wohlstand führen könnte, wurde ich schnell enttäuscht.

      Offenbar war das alles nur eine Verquickung unseliger Umstände, dass er mir ausgerechnet zu jener Zeit begegnete, als ich die Mächte des Bösen anrief. Er war nichts weiter als ein einfältiger Narr, ohne jede Magie und Macht und war am Ende hilfloser als ich. So sehr vernarrte er sich, dass er nicht mal in der Lage war, mich zur Liebe zu zwingen, aus Furcht, mich zu verletzen.

      Natürlich spürte ich, wie er litt und war darüber erleichtert. Glaubte ich mich doch ob all des Ekels, den ich immer vor ihm empfand, plötzlich entschädigt. Und so wurde ich auch nicht müde, ihm weiterhin meine Verachtung zu bezeigen. Hoffte ich doch, dass er dann ganz von selber von mir ließe und zu seinem Weib zurückkehrte.

      Aber da irrte ich. Als habe er meine Absicht durchschaut, wurde er nur noch verrückter, begann sich vor mir zu demütigen und gebärdete sich wie ein Narr. Andererseits drohte er mir aber auch ganz unverhohlen, mich als Hexe zu diffamieren und somit dafür zu sorgen, dass ich dorthin komme, wo ich heute bin.

      Ich hatte ihm das aber nicht geglaubt, hielt ihn für feige und habe darüber noch gelacht. Als er aber Anstalten machte, sich an meinem Kind zu vergehen, wusste ich mir keinen anderen Rat mehr, als zur Liese Kolken zu gehen.“

      *****

      Die Hexe Liese Kolken

      Beim Nennen dieses Namens bekreuzigten sich die Anwesenden und sahen einander entsetzt an. Handelte es sich doch um jene Hexe, die vor kurzem auf dem Marktplatz zu Lohenstein brannte, und von der man sagt, sie habe bis zum Schluss in den Flammen gelacht. Am nächsten Morgen sah man einen Raben über den Resten des Scheiterhaufens kreisen, der erst verschwand, als man ihre Asche in den Fluss streute.

      Danach hatte es mehrere Tage geregnet und der Schlamm färbte den Fluss dunkel. Das soll ihr Fluch gewesen sein. Bis heute hat sich der Fluss nicht wieder erholt und man sagt, das würde wohl erst in hundert Jahren geschehen.

      „Du wolltest den armen Mann mit Satans Hilfe läutern?“, fragte der Magister, als könne er es nicht fassen.

      „Heißt es nicht im 12ten Matthäus: der Herr habe den Teufel mit dem Beelzebub ausgetrieben, wo ihn die Pharisäer lästerten?“ erwiderte sie trotzig. „Was kümmerte mich es, dass sie eine Verworfene war, so sie mir nur hülfe.“

      „Aber es heißt auch, du sollst nicht versuchen Gott deinen Herrn wider dem Übel, Matthäus 4.7.“

      „Edler Camerarius, als Kenner der Schrift wisst Ihr sie nach Eurem Dafürhalten auszulegen. Doch ich hatte keine Zeit dafür. Ich musste leben, schon um meines Kindes willen. Darum lasst mich bitte zu Ende erzählen und dann richtet.“

      Es wurde ihr gewährt.

      „Ich nahm also mein Kind und suchte ihre Hütte auf. Dazu musste ich den Weg durchs Moor nehmen, denn sie hauste im Finkengrund, jener verruchten Gegend, wohin sich kaum jemand verirrt.

      Dort angekommen, traute ich mich zunächst nicht hinein, denn vor der Tür lag ein großer schwarzer Hund. Er knurrte mich auch an, tat mir aber nichts.

      Da fasste ich mir ein Herz und öffnete die Tür. Drinnen herrschte Dunkelheit und auf mein Rufen blieb alles stumm. Ich wollte schon wieder gehen, als sich mir eine Hand auf die Schulter legte und mich zu Tode erschreckte.

      Da stand sie plötzlich vor mir, die Liese Kolken, von der ich schon so viel gehört hatte. Sie trug ein langes, weißes Kleid und eine seltsame Haube auf dem Kopf. Auf ihrer Schulter saß ein Rabe und knabberte an ihrem Ohr, ihre Augen blitzten sonderbar und in der Hand hielt sie einen Krug.

      Sie war ein seltsames Weib mit einem krankhaft abgemagerten Gesicht. Man konnte sie nicht ansehen, ohne sich zu fürchten, wenn auch in ihrem Blick etwas Warmes und beinahe Tiefes lag.

      Ich bin noch nie einem Menschen begegnet, der wortlos reden kann. Sie tat es mit den Augen und ich verstand, was sie sagte. Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, aber nachdem sie mich angesehen hatte, wusste ich, dass sie meine Gedanken kannte und erschrak.

      Sie spürte das und suchte meine Zweifel zu zerstreuen, indem sie mir von den Leuten erzählte, die zu ihr kamen. Sowohl einfaches Volk wäre dabei, aber auch angesehene Personen. Zwar seien auch sehr viele Feinde unter ihnen, aber auch glühende Verehrer.

      Weiterhin meinte sie, dass bestimmt noch viel mehr zu ihr fänden, sich aber wegen Charakterschwäche oder falscher Skrupel nicht trauten. Selbst der Truchsess habe sie schon einmal angesprochen, dann aber wegen seiner Zerstreutheit wieder vergessen. Aber alle wollten immer nur das Gleiche – die Erlösung von einem Übel, und das wäre doch auch bei mir der Fall, oder?

      Da ich nicht antwortete, stellte sie den Krug beiseite, nahm etwas Haferkleie und Sauerampfer und tat es in einen Topf. Das zerstampfte und verrührte sie dann unter Hinzugabe eines gelben Puders, worauf alles sonderbar aufquoll und eine ganz andere Farbe annahm. Ich war darüber verwundert. Doch sie lachte nur und meinte, dass wäre kein Zauber, sondern nur eine natürliche Reaktionen der verschiedenen Zutaten.

      Sie bat mich zu Tisch und reichte mir einen Becher von diesem Sud, den ich aber ablehnte. Sie war mir deswegen aber nicht böse, im Gegenteil. Sie nannte mich ‚sehr bedacht‘, und das gefalle ihr.

      Die nachfolgenden Komplimente zu meinem Kind hingegen waren gestellt, auch wenn sie es bestimmt gern mal in den Arm genommen hätte. Aber sie waren nichts als Anstandsfloskeln. Vielmehr sah sie mich ununterbrochen mit einem geradezu durchdringenden Blick an.

      Nach einer Weile sagte sie dann, ich wäre sehr abgemagert und sähe viel blasser aus als früher. Offenbar läge das an meinem Kummer.

      Darüber war ich sehr erstaunt, denn ich konnte mich nicht entsinnen,