Kristian Winter

Die Lohensteinhexe


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der mit Schellen und Flicken übersät war und an einen höfischen Narren erinnerte. Zwar war er mit den krummen Beinen und dem blatternvernarbten Gesicht alles andere als wohl anzusehen, doch hätte niemand besser in diese Rolle gepasst.

      Als er mir dann aber etwas Brot und Käse gab, dazu sogar noch einen Schlauch mit Ziegenmilch für mein Kindlein, erschien er mir wie ein Engel des Herrn, der mich wie St. Petrum von meinem Übel erlöste. Was machte es da, dass ich vor ihm niederkniete, indes er mit verklärtem Blick in den Himmel starrte, bis er weiche Knie bekam. Das hatte ihm wohl sehr gefallen, denn er kam fortan beinahe täglich und brachte mir Milch.

      Mein Kind erholte sich schnell, und ich wurde nicht müde, ihm meine Dankbarkeit zu bezeigen, indem ich ihm zu Willen war, wann immer es wollte.

      Aber hatte ich denn eine Wahl? Gewiss war es gegen die Gebote und es ekelte mich. Mehr als einmal musste ich ausspucken, um mich nicht zu übergeben oder biss mir in die Hand, wenn er mich mit aller Härte nahm. Und doch war es das kleinere Übel verglichen mit dem, was mich ohne ihn erwartet hätte.

      Schon deshalb war ich bemüht, ihm meine Abscheu zu verbergen, nicht aus Angst, sondern um ihn mir gewogen zu halten, selbst wenn er mir dadurch nur noch mehr verfiel.“

      „Du hast ihn also behext“, konstatierte der Magister erschüttert.

      „Jede bedrängte Frau kann zur Hexe werden, sobald sie um das Leben ihres Kindes fürchtet.“

      „Also gibst du es zu, oder?“

      Daraufhin hob sie den Blick und sah ihn überaus unehrerbietig an. „Ihr könnt nicht jede menschliche Schwäche als Hexerei diffamieren.“

      „Das tun wir auch nicht, solange sie nicht den Tod zweier Menschen bewirkt.“

      Sie wollte noch etwas einwenden, blieb aber stumm. Man sah, wie sie mit sich kämpfte, dass ihr etwas auf der Zunge lag, was unbedingt heraus musste. Doch sie wusste um die Sinnlosigkeit, also spottete sie: „Ich weiß zwar nicht, warum das Böse hässlich und das Gute schön ist, aber mir ist jetzt klar, warum sich das Gefühl für diesen Unterschied bei Menschen wie Euch verliert. Ihr urteilt von oben herab, ohne jede Kenntnis des wirklichen Lebens. Wisst Ihr, wie es ist, wenn einem die Gedärme zusammenschnurren und man vor Schmerzen kaum mehr schlafen kann? Der Herrgott hat uns ein einfaches Leben geschenkt, und es ist an uns, unsere Schmerzen zu ertragen. So steht es in der Schrift. Was spricht also dagegen, sich den Schmerz erträglicher zu machen?“

      Diese Offenheit verblüffte ihn. Er verwies entrüstet auf die christliche Moral, die schließlich höher stehe als lasterhafte Triebe.

      „Meint Ihr die Moral des Stärkeren?“, fragte sie provokant.

      „Nein, die des Rechts.“

      „Welches Recht? Jenes, vor Hunger zu sterben oder aus Willkür zu töten?“

      Der Magister bebte am ganzen Leib und war kurz davor, sie zu züchtigen.

      „Das ist Blasphemie!“ Er hatte sich so erregt, dass er dem Büttel die Katze aus der Hand riss, indes sie ihn regungslos ansah. Das brachte ihn nur noch weiter auf. Er stand jetzt drohend vor ihr, die Peitsche in der erhobenen Hand. Er deutete sogar einen Hieb an. Sie reagierte jedoch nicht.

      Aber er hatte ihr sein Wort gegeben. Also legte er die Peitsche zurück und begab sich aufs Podest. Dort stand er mit geschlossenen Augen und psalmodierte das ‚Te deum‘, in der Hoffnung, diesen Anfall der Schwäche schnell zu überstehen.

      Die Zeugen waren verwundert und deuteten es als erste Anzeichen einer Befangenheit. Sie sahen einander vielsagend an.

      „Woher weißt du, was in der Schrift steht?“, mischte sich Dn. Consul in gespieltem Erstaunen ein.

      „Ich habe sie gelesen.“

      „Du kannst lesen?“

      „Ja, unser seliger Pater Martin hat es mich gelehrt, auch etwas Griechisch und Latein.“

      „Griechisch und Latein? In der Tat ungewöhnlich für ein Bauernmädchen, das in einer Kate lebt und mit einem Tölpel hurt. Und jetzt sag uns, welchen Preis du dafür zahlen musstest?“

      „Ich, ich weiß nicht, was Ihr meint“, stammelte sie und errötet. „Der selige Pater Martin war ein durchaus ehrenwerter und frommer Mann. Er lehrte es mich aus rein christlicher Nächstenliebe.“

      „Soweit uns bekannt ist, starb auch er eines unnatürlichen Todes, indem er sich ohne jede Erklärung von einem Felsen stürzte, mit der heiligen Schrift in der Hand, wie es hieß. Das ist doch sehr seltsam, findest du nicht?“

      „Ihr wisst genau so gut wie ich, dass er krank war.“

      „Komisch, dass alle Männer in deiner Gegenwart krank werden.“ Dn. Consul verschärfte den Ton. „Im Übrigen drückst du dich sehr gewählt aus, beinahe, als wärst du von hohem Stande. Wie kann das sein, oder spricht gar der Leibhaftige aus dir?“

      „Kommt nur her und überzeugt Euch selbst davon. Ich werde Euch anspeien, dass Ihr auf der Stelle verbrennt, oder ich verwandele Euch in eine Kröte“, höhnte sie, worauf sich der Spötter empörte und ebenfalls nach Züchtigung verlangte.

      „Nicht so lange das Geständnis unvollständig ist“, lehnt der Magister ab.

      Dn. Consul verzichtete auf einen Responsio genannten Einwand - eine höhere Form des Einspruchs, was in solchen Prozessen üblich war - obwohl ihm die Prozessführung zunehmend missfiel. Er vermisste den Nachdruck. Nicht umsonst war er ein Verfechter der ‚blutigen‘ Befragung, weil im Blut die einzige untrügliche Wahrheit lag.

      Als Zeuge von mittlerweile sechs Prozessen, wusste er wovon er redete. Nur mit Schmerzen erzwungene Geständnisse waren glaubhaft. Und ginge es nach ihm, würde er ihr diese Unverschämtheit schnell austreiben. Darin hatte er einen Namen.

      Auch wenn er in der Öffentlichkeit stets so tat, als lege er keinen Wert darauf, mochte er es, ‚der Unerbittliche‘ genannt zu werden. Nebenbei brachte ihm jeder schnelle Erfolg noch einen kleinen Sonderbonus in Höhe von zehn Gulden ein.

      Aber das war ihm nicht wichtig. Vielmehr fühlte er sich aufrichtig in sein Amt berufen. Auf seine Opfer sah er gern herab und liebte es, sie auch so zu behandeln. Das bestärkte sein Gefühl der Überlegenheit, weshalb sein Hochmut besonders ausgeprägt war.

      „Weißt du eigentlich, was das Wort Hure bedeutet?“, schaltete sich jetzt Se. Cantorius provozierend ein.

      „Ich verstehe diese Frage nicht.“

      „Aber du gebärdest dich wie eine.“

      „Ich habe ihn glaubend gemacht, etwas zu sein, was er nicht ist. Das ist bei einem in die Jahre gekommenen Mann, der für sich die Liebe zu entdecken meint, nicht schwer. Es fiel mir aber nicht leicht. Allein beim Gedanken an die Metchhild und ihre Kinder überkam mich große Scham. Ich betete täglich dreimal für ihr Wohl und fürchtete, jedes Mal im Erdboden zu versinken.“

      „Interessant, wie du das drehst. Fast klingt es so, als wärst du das Opfer!“

      „Das war ich auch, edler Cantorius. Nur kann man als Opfer nicht überleben. Deshalb habe ich die Umstände für mich genutzt.“

      „Indem du ihn vernarrt hast.“

      „Das tat er wohl selbst. Ich habe es lediglich nicht verhindert.“

      „Das läuft auf dasselbe hinaus. Seltsam ist nur, dass er sich erst seit deiner Bekanntschaft so verändert hat. Du hast ihn also um seinen Willen gebracht, so dass er dir am Ende ganz verfallen ist. Die Folge war der Mord an seinem Weib und der Verlust seines Verstandes. Das alles ist doch nicht nur deiner Koketterie geschuldet. Da steckt mehr dahinter.“

      „Der Jacob war aufgrund seiner Einfalt für solche Dinge empfänglich. Da genügt nur ein Anstoß, und er entdeckte völlig neue Seiten an sich. Ein solcher Mann ist dann wie verwandelt und gebärdet sich bisweilen wie ein Narr, so dass ihn selbst engste Bekannte plötzlich für einen Fremden halten.“

      „Das ist aber