Kristian Winter

Die Lohensteinhexe


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stürzte er hinaus und übergab sich.

      Draußen herrschte stockfinstere Nacht. Der Himmel war sternenlos. Die klare Luft tat ihm gut. Vereinzelt flackerten Laternen an hölzernen Pfählen und wiesen den Weg. Da ertönte ein Glockenschlag, irgendwo rief der Wächter die zwölfte Stunde aus. Es stank nach Jauche. Ratten wühlten in herumliegenden Abfällen, und es war angebracht, sich hölzerne Staketen unter die Schuhe zu schnallen, da die Gülle zuweilen knöcheltief stand.

      Ihm war es gleich. Er stampfte durch den Schlamm, als wollte er sich absichtlich besudeln - je derber, desto besser.

      In solchen Momenten glich die Stadt einem Rattenloch, wo es nicht ungefährlich war. Unter den Torbögen lungerte lichtscheues Gesindel und hatte schon so manchen ehrbaren Bürger um Leib und Leben gebracht.

      Als ihn ein hinkender Bettler um Geld anging, jagte er ihn fort. Daraufhin versperrten ihm zwei dunkle Gestalten den Weg; einer stand vor, der andere hinter ihm. Der Vordere hatte einen Knüppel in der Hand und nahm eine drohende Haltung ein.

      Jetzt ging alles sehr schnell. Augenblicklich stürzte dieser Bursche auf ihn zu, indes ihn der Hintere umfasste und seine Arme umklammerte.

      Doch der Magister konnte sich entreißen, ergriff seine im linken Ärmel steckende Misericordia, jenen dreikantigen Dolch, der selbst einen Harnisch durchbohrt, wenn man nur kräftig genug damit zustößt.

      Noch bevor der Angreifer den Knüppel erheben konnte, rammte er ihn blitzschnell in dessen Hals, drehte ihn kurz und zog ihn wieder heraus. Diesem quollen sofort die Augen auf, er röchelte kurz. Blut schoss aus der Wunde. Dann sank er reglos zusammen.

      Von der Kaltblütigkeit dieser Attacke überrascht, versuchte der andere zu fliehen. Doch der Magister setzte nach, bekam ihn zu fassen und riss ihn zu Boden. Schnell war seine Gegenwehr gebrochen. Gekonnt setzte er ihm das Knie in den Nacken, überstreckte seinen Kopf und schlitzte ihm mit einem gezielten Schnitt die Kehle auf. Dessen Körper zuckte noch eine Weile, dann erschlaffte er.

      Der Magister erhob sich und stand keuchend über seinem Opfer. Er empfand kein Mitleid. Im Gegenteil, er bespuckte ihn noch und strich die Klinge an dessen Rock ab.

      Jetzt bemerkte er, wie sich der Hinkefuß davonmachen wollte. Mit ein paar kurzen Sätzen war er heran. Brutal schlug er ihm die Krücke weg, worauf dieser wie ein nasser Sack zu Boden fiel. Dann setzte er auch ihm den Fuß in den Nacken.

      Doch er zögerte. Sein Wimmern hielt ihn zurück. Das wäre eine unverdiente Gnade, dachte er und drückte sein Gesicht in den Schlamm, wieder und wieder. Dann ließ er von ihm ab. Aufgekratzt begab sich nach Hause.

      Als städtischer Camerarius musste er nicht mehr in einer Klosterklause hausen, sondern wohnte in einer kleinen Kammer neben dem Ratshaus. Vor seinem Fenster im Obergeschoss wuchs eine prächtige Buche, deren Blühen und Duften ihn im Frühjahr stets erfreute. Seinem Rang nach stand ihm eine Aufwärterin zu, die ihm täglich das Zimmer machte und das Essen bereitete.

      Dabei war die Käthe eine zänkische Alte mit kleinen, boshaften Augen, die er nicht leiden mochte und die ihn bestahl. Am liebsten würde er sie davonjagen. Aber als ordentliches Mitglied des Tribunals hatte er Anspruch auf eine Bedienstete, selbst wenn es ein solcher Drache war.

      Doch so sehr sie ihn auch verärgerte - seine Gedanken waren längst woanders. Was er auch tat, woran er auch dachte - diese Hexe war allgegenwärtig. Welche Macht hatte sie nur über ihn, dass er an nichts anderes mehr denken konnte? Er ahnte ihre Leidenschaft, hielt sie für eine Frau voll ungestilltem Verlangen und ertappte sich bei mancherlei verbotenen Dingen.

      Die Schauerlichkeit dieser Vorstellung faszinierte und ängstigte ihn gleichermaßen. Schwindelanfälle voll brennender Wollust quälten ihn. Oh, die Phantasie konnte grausam sein, vor allem, wenn sie unerfüllt blieb. Nichts ist mehr wie zuvor, sein ganzes Leben schien aus den Fugen geraten. Jedes Gleichmaß, jede Rationalität war vergessen, und er durchlebte plötzlich längst verloren geglaubte Träume.

      Da fasste er einen absurden Entschluss. Er polterte durch‘s Haus und rief nach Käthe. Als sie kurz darauf schlaftrunken mit der Kerze in der Hand vor ihm erschien, befahl er, ihn für diese Nacht einzusperren und den Schlüssel an sich zu nehmen. Sie sollte unbedingt darauf achten, dass vor dem Morgen niemand zu ihm gelangte. Er habe berechtigten Grund zur Annahme, dass ihn der Dämon verfolge und ihm Böses wolle. Die Mächte der Finsternis bedrohten ihn seit diesem Prozess überall und er müsste vor der Vollstreckung sicher und vor allem ungestört sein.

      Die Alte wunderte sich zwar über diesen ausgefallenen Wunsch, merkte aber sofort, dass er getrunken hatte. Das war bei ihm nicht ungewöhnlich und so fand sie auch nichts dabei. Also begleitete sie ihn in sein Zimmer, richtete ihm schnell das Bett her und verschloss es von außen. Den Schlüssel nahm sie wie befohlen an sich und würde ihm erst am Morgen wieder öffnen.

      Kaum war sie jedoch fort, schlich er erneut an die Tür und lauschte. Als er annehmen konnte, dass sie wieder zu Bett gegangen war, warf er sich die Soutane über und legte seine Ordenskette um, die ihn als Mitglied des Tribunals auswies. Dann verstaute er eine Flasche mit Wasser und einen Napf Kamillensalbe zusammen mit einem Bündel Leinenbinden und einigen Kräutern in einer Tasche und huschte zum Fenster hin.

      Er öffnete es und griff nach einem Ast der Buche. Über diesen hangelte er sich zum Stamm und kletterte an ihm hinab. Dann eilte er in schnellen Schritten zum Turm, um noch etwas zu erledigen, was unbedingt zu erledigen war.

      *****

      Im Verlies

      Es war bereits nach Mitternacht, die Glocke hatte schon zweimal geschlagen. Er wusste, dass sie sich im ‚Hexenstall‘ befand, jenem finsteren Loch im untersten Winkel des Turmes, wohin kein normaler Gefangener gebracht wurde. Aufgrund der Abgeschiedenheit konnten die Hexen dort ihre dämonischen Kräfte nicht entfalten, und das Gewölbe lag so tief, dass ihre Schreie kaum noch zu hören waren.

      Völlige Dunkelheit, Isolation und Kälte zerstörten schnell ihre Geisteskraft, so dass die meisten dem Wahnsinn verfielen. Sie fingen an zu delirieren, rissen sich die Haare aus und tranken den eigenen Urin. Auch wurden schon gegenseitige Verletzungen bis hin zu Erdrosselungen beobachtet. Nur selten blieb eine bei klarem Verstand. Hinzu kamen die Übergriffe der Wärter, die ihre Wehrlosigkeit ausnutzten und allerlei ‚satanische Spiele‘ mit ihnen trieben. Allein diese Vorstellung machte ihn rasend, und sollte er jetzt einen ertappen, würde er ihn auf der Stelle töten.

      Am Turm angekommen, befahl er dem Wächter, das Verlies zu öffnen. Nach dessen Einwand wegen nachtschlafender Zeit und den Gefahren unheimlicher Mächte, brüllte er ihn derart zusammen, dass dieser nichts mehr zu sagen wagte.

      Schließlich entriss er ihm das Schlüsselbund, stieß ihn beiseite und schloss selber die Tür auf. Der völlig überrumpelte Wächter ließ ihn gewähren.

      Drinnen herrschte völlige Dunkelheit. Mit einer Laterne in der Hand stieg er die Treppe hinab. Sie war eng und steil und er musste sich an einem Handlauf festhalten. Der Geruch von Moder und Fäulnis schlug ihm entgegen. Eine Fledermaus flatterte auf und erschreckte ihn. Sein Herz klopfte ihm jetzt bis zum Hals.

      Unten angekommen, leuchtete er das Gewölbe aus. Der Boden bestand aus gestampftem Lehm. Die grobgemauerten Wände waren feucht und teilweise schimmelüberdeckt. An einigen Stellen hatte man Stroh verstreut. In einer Ecke entdeckte er einen Hexenkäfig. Das war ein mit einer Kette an der Decke befestigter mannshoher Drahtverhau, in dem man besonders hartnäckige Fälle einsperrte. Hier wurden die Unglückseligen wie Tiere gefüttert und erst gerichtet, wenn sie dem Schwachsinn verfallen waren. Das machte vor dem Pöbel einen besonderen Effekt und bestärkte noch einmal die Notwendigkeit des Urteils.

      Doch der Käfig war leer, die Zugangsklappe offen. Ein Geräusch ließ ihn zusammenfahren. Er meinte, eine Stimme zu hören, war sich aber nicht sicher.

      Konnte es sein, dass sie schon der Teufel geholt hatte? Wohin er auch leuchtete - er konnte sie nicht finden. Beim Gedanken an die Fledermaus, kam ihm ein schlimmer Verdacht. Hastig bekreuzigte er sich und schaute