Kristian Winter

Die Lohensteinhexe


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sicher, ob er es wirklich tat.

      Wieder ergriff sie Unruhe. Sie fasste ihn am Revers und zog ihn zu sich heran. „Wenn du mich willst, dann nimm mich jetzt. Nimm mich so, wie du noch nie eine Frau genommen hast. Doch zuvor musst du mir noch etwas versprechen, hörst du? … Kümmere dich um mein Kind. Es ist so unschuldig und rein. Es befindet sich bei meinem Vater. Doch der ist krank und der Herr wird ihn bald zu sich nehmen. Dann wäre es verloren. Du aber bist ein guter Mensch und ich vertraue dir, wie ich noch nie einem Menschen vertraut habe. Es ist ein Mädchen. Nimm dich ihrer an wie deines eigenen Kindes … Versprich es, bitte!“

      Als er in ihre Augen schaute, stockte ihm der Atem. Was verlangte sie da von ihm? Das war doch unmöglich. Aber ein solch bitteres Flehen ließ ihn nicht kalt.

      Er versprach es, worauf sie ihm um den Hals fiel und mit Küssen übersäte. „Oh, du Lieber, du bist mein Retter, mein Engel. Der Herr hat dich mir gesandt“, sagte sie und zeigte sich zärtlich hingebungsvoll, schaute zu ihm auf und rieb wie eine Schmusekatze ihr Kinn an seiner Wange

      Durch ihre plötzliche Nähe verängstigt, wurde ihm unwohl und er wich zurück. Sie aber ließ es nicht zu. Sofort drängte sie nach und begann, ihn erneut zu küssen. Dabei zwängte sie ihre Zunge in seinen Mund und umklammerte seine Finger, so dass sein Widerstand bald erlahmte.

      Dabei wurde sie immer leidenschaftlicher, spürte seine Sehnsucht nach Gelüsten, derer sein Körper schon seit langem entwöhnt war und verstand sie meisterlich zu wecken. Was dabei in ihr vorging, war schwer zu sagen. War es wirkliche Leidenschaft im Wissen um ein letztes Mal, oder nur kühle Berechnung mit einem noch nicht näher bestimmten Ziel?

      Wie dem auch sei, sie bot alles auf, als ginge es nur darum, ihn durch die Erfüllung seiner Wünsche um den Verstand zu bringen.

      Das Fell glitt von ihren Schultern. Voller Verlangen reckte sie sich ihm entgegen. Zwar war er noch immer bemüht, sich vor ihrer Nacktheit zu ekeln und in ihrem Verhalten etwas Schmutziges, Sündhaftes zu sehen, dem er unbedingt widerstehen müsse. Doch als er ihre halbgeschlossenen Augen sah, ihren leicht geöffneten Mund, den in diesem Moment ein liebeslüsternes Lächeln verklärte, war er so benommen, dass sein Widerstand schnell erlahmte.

      Jetzt ließ er auch zu, wessen er sich lange verweigerte, und ihm wurde klar, was ihn wirklich hergetrieben hatte. Sie war ihm notwendig geworden wie die Luft zum Atmen. Der Gedanke an sie hatte Begierden von schriller Dringlichkeit in ihm entfacht. In ihrer Gegenwart empfand er kein Unbehagen mehr. Es verlangte ihn nach ihr mit der Hartnäckigkeit eines ausgehungerten Tieres, und sie schien das zu wissen.

      Schon spürte er, wie sie ihm die Soutane öffnete und den Reif um seine Hüften löste. Dabei legte sie ein großes Geschick an den Tag. Obgleich ihn das verwunderte, nahm er es dennoch hin, wie so vieles, was er nicht mehr verstand und auch gar nicht verstehen wollte. Seine Vorsicht wurde plötzlich von einer brutalen Verwegenheit verdrängt, die ihn zwang, diese so beherzt dargebotene Leidenschaft anzunehmen und bis zum Rande auszukosten.

      Und als er schließlich den von ihr ausgehenden warmen Duft vernahm – einen durchdringenden, bitteren Dunst - überkamen ihn brennende Wolllustgefühle, die er nicht mehr steuern konnte.

      Augenblicklich stiegen alle aufgestauten Urtriebe in ihm auf, so dass ganz ungewollt ein schwerer Seufzer aus seiner Brust drang. In einem Anfall wilder Raserei packte er sie und drückte sie mit roher Gewalt zu Boden. Er hielt inne und starrte sie an. Und wieder lächelte sie, als wüsste sie längst, wonach er gierte.

      Der sonst so überlegte und wohlgeordnete Magister erschien plötzlich wie trunken vor Wonne. Sein unbefriedigter Körper stürzte sich besinnungslos ins Verlangen. Ungestüm drang er in sie, indes sie ihn mit ihren Waden umklammerte, seinen Hals liebkoste und sich auch im Weiteren als wahre Liebeskünstlerin erwies.

      Alles um ihn her erschien ihm wie im Traum. Ihre Leiber verschmolzen. Alle Abstände rückten zusammen und verschwammen in einem glitzernden Etwas. Empor geschleudert in unbekannte Sphären, ließ er sich treiben in einem Meer der Gefühle, völlig willenlos, in jenem unbekannten Rausch, von dem er schon so geträumt, doch welcher ihm bisher verwehrt geblieben war.

      Die Zeiten hielten inne, alles verlor sich in Bedeutungslosigkeit. Das Einzige, was jetzt noch zählte, war der Augenblick samt der innigen Zweisamkeit, die beide fortan auf ewig miteinander vereinte.

      *****

      Etwas Ungeheuerliches

      Oben im Turm war der Wächter noch immer voller Sorge. Es behagte ihm nicht, dass der Magister so lange bei ihr blieb. Was mochte nur in ihn gefahren sein? Niemals hatte er ihn so erlebt. Er kannte ihn nur als überlegten, sachlichen Menschen mit dem rechten Wort zur rechten Zeit. Jetzt aber war er ein völlig anderer. So voller Zorn, mit roten Augen und Schaum vor dem Maul glich er einem Besessenen, der nicht mehr Herr seines Verstandes war.

      Wiederholt trat er an die Tür und lauschte. Einmal hatte er sie sogar geöffnet und hinabgerufen. Doch weder konnte er etwas hören noch sehen. Alles lag in gespenstischem Dunkel. Aber ihm zu folgen, traute er sich nicht. Zu groß seine Angst vor diesem Weib und ihren übersinnlichen Kräften, das man schon überall die Lohensteinhexe nannte.

      Es wird doch nichts geschehen sein? fragte er sich. Falls doch, würde er dazu Rede und Antwort stehen müssen. Selbst Wächter waren vor Verzauberung nicht gefeit.

      Dabei versah er schon seit vielen Jahren seinen Dienst als Turmwächter, hatte schon viele Hexen bewacht, aber noch niemals solche Furcht durchlebt. Auch wenn er sich zuweilen mit Würzwein betäubte wie in diesem Moment, wo er gleich eine halbe Flasche leerte, wollte ihm das jetzt nicht gelingen.

      Er wusste um ihre Gefährlichkeit. Allein ihr Blick verunsicherte. Schon deshalb brachte man ihr die tägliche Ration Haferbrei immer zu zweit. Während sie einer mit brennender Fackel gleich einem wilden Tier fernhielt, damit sie ihm bloß nicht zu nahe kam, schob ihr der andere aus gebührendem Abstand mit einer Stange den Napf zu. Ihm graute jedes Mal davor und er hoffte, dass sie bald gerichtet würde. Aber aus unbegreiflichen Gründen ließ man sich damit noch Zeit.

      Normalerweise schlief er jetzt. Aber daran war heute nicht zu denken. Je länger die Ungewissheit, desto unruhiger wurde er. Mal griff er zur Lanze und erhob sich, um im gleichen Moment wieder auf den Stuhl zu sinken. Was sollte er tun? Den Hauptmann zu informieren, wagte er nicht. Er könnte bemerken, dass er getrunken hatte. Außerdem, wie sollte er ihm etwas erklären, was er nicht erklären konnte? War es wirklich der Magister oder nur sein Spiegelbild? Nicht mal dessen war er sich sicher.

      Wollte er wirklich Klarheit, blieb ihm nichts, als hinabzusteigen, selbst auf die Gefahr, damit sein Leben zu riskieren.

      Also fasste er sich ein Herz, nahm Lanze und Laterne und öffnete die Tür. Zuvor setzte er noch die Haube mit dem Geierschnabel auf - eine Maske, die ihn vor dem bösen Blick schützte. Dann schlug er den Kragen hoch, spuckte dreimal über die linke Schulter und steckte das bronzene Kruzifix in den Gürtel. Er würde es ihr auf die Stirn drücken, sollte sie ihm zu nahe kommen.

      Lautlos stieg er die Treppe hinab, von der er jede Stufe kannte. Immer auf der Hut vor etwas Bösem, was ihm, wie er glaubte, jeden Moment widerfahren müsste, starrte er gebannt hinunter und war doch voller Anspannung.

      Immer weiter stieg er hinab. Die Luft wurde kalt und stickig. Nur noch Ratten und Hexen verirrten sich hierher, und ihm erschien diese Gruft wie ein Vorhof zur Hölle. Schließlich aber nahm er einen schwachen Lichtschein wahr.

      Beim Himmel, es verschlug ihm die Sprache. Das war doch unmöglich! Fassungslos betrachtete er jetzt das sich ihm bietende grauenhafte Bild. Dabei geriet er so durcheinander, dass er nicht wusste, was er jetzt tun sollte. Sah er doch etwas mit an, was er bestimmt nicht sehen sollte und doch musste.

      Auch wenn er genau wusste, dass es ihm das Leben kosten könnte, würde er jetzt ertappt, konnte er nicht anders als Zeuge von etwas Unbeschreiblichem zu werden.

      Ihre nackten Leiber waren eng umschlungen und verharrten in eindeutigen Posen. Ab und an richtete