Tina Bajza

Vestalia


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Demut vor dem Gesetz beigebracht, aber Rubinieri sah das wohl anders - er bedankte sich. Sperati fragte sich, ob Rubinieri die mysteriöse Frau möglicherweise kannte, denn er beendete die Befragung abrupt und verabschiedete sich.

      Bis zum Parkplatz sagte Rubinieri kein Wort. An seinem Auto blieb er vor der offenen Tür stehen und sah gedankenverloren über die Straße. Sperati hatte endgültig genug und stieg in seinen Ford. Er musste sich dank Rubinieri damit abfinden, dass er ohne eine Verhaftung geblieben war. Er sah sich sprichwörtlich in Teufels Küche.

      10 Der Sonntag

      Vestalia hatte die restliche Nacht ruhig geschlafen. Es war bereits Mittag, als sie aufstand. Unter der Dusche sah auf das schaumigen Wasser unter ihren Füssen. Sie fragte sich, ob der Leichnam bereits gefunden worden war. Als sie in den Spiegel sah, sah sie dass ihre Stirn so gut wie verheilt war. Sie ging in die Küche und brühte sich einen Espresso auf. Aus dem Kühlschrank nahm die Rosas kalte Platte vom Vortag und setzte sich damit auf die Veranda, doch mehr als den Kaffee nahm sie nicht zu sich. Ihr war kalt. Sie spürte die Wärme der Sonne nicht mehr.

      Sie suchte auf ihrem Smartphone nach einem Zeitungsartikel über eine Wasserleiche. Die Startseite der Tageszeitung „Il Messaggero“ baute sich unerträglich langsam auf. Auch wenn es Sonntag war, mit solch einer Schlagzeile würde die Redaktion sicherlich nicht bis Montag warten. Das tat sie auch nicht:

      „Ein grausiger Leichenfund im Tiber“, lautete die Meldung des Tages über den schockierenden Tod von Claudio Ciamberlano. Vestalia sah wie gebannt auf den Namen. Als sie weiterlas, bestätigte sich ihre Befürchtung - es war der Sohn von Antonio Ciamberlano, dem Goldschmied des Papstes.

      Das war ganz und gar nicht gut! Die Übelkeit stieg erneut in ihr hoch. Sie schaffte es gerade noch, sich über das Geländer zu lehnen. Sie übergab sich in das Blumenbeet. Das Zittern erfasste ihren ganzen Körper. Der Schock darüber, was sie getan hatte, holte sie nun endlich ein. Sie fühlte, wie die Ohnmacht drohte, sie zu übermannen. Sie hielt sich am Geländer fest und versuchte, bei Bewusstsein zu bleiben. Der Schwindel wurde stärker. Alles um sie herum verdunkelte sich. Vestalia lehnte sich an den Pfosten und drückte ihren Rücken schmerzhaft in die Kante, um die drohende Ohnmacht zu verdrängen. Sie hörte die sanften Klänge des Windspiels über der Verandatür. Sie konzentrierte ihren Blick darauf. Es glitzerte im Sonnenschein und wiegte sich in der leichten Brise hin und her. Der Schein der einzelnen Ornamente bündelte sich und breitete sich aus. Die Beklemmung in ihrer Brust löste sich allmählich. Eine wohlige Wärme umhüllte sie. Ihr Herzschlag passte sich dem ruhigen Rhythmus der Klänge an. Vestalia schloss die Augen.

      Plötzlich tat sich ein Bild vor ihr auf: Das Gesicht eines Mannes, ebenmäßig und anmutig, umrahmt von kurzen dunklen Haaren. Seine Wangen waren leicht gerötet, die Lippen tiefrot. Seine dunklen Augen drangen durch sie hindurch. Im nächsten Augenblick entrückte er ihr. Verwirrt sah sie sich um. Sie war alleine.

      Ihr Kreislauf stabilisierte sich. Sie lief ins Arbeitszimmer und holte einen Skizzenblock aus dem Schreibtisch. Sie füllte ein Blatt nach dem anderen. Doch die Skizzen weigerten sich strickt, auch nur annähernd sein Züge anzunehmen. Vestalia zeichnete wie eine Besessene und verteilte die Blätter überall auf dem Boden.

      Ihr Smartphone klingelte und riss sie aus ihrer Trance. Sie eilte hinaus auf die Veranda. Es war Celia.

      „Ciao“, meldete sich Vestalia leicht außer Atem.

      „Ciao, meine Liebe! Wie geht es dir? Konntest du dich ein wenig ausschlafen?“, fragte Celia heiter.

      „Das konnte ich, grazie!“ Vestalia gab sich Mühe, ebenfalls heiter zu klingen. „Ich entspanne mich gerade im Garten.“

      „Mit Rosas Speciale oder mit jemand Speziellem?“, kicherte Celia.

      „Nur ich und Rosa. Und du? Du klingst, als wärst du im Auto.“

      „Du kennst mich, ich kann nicht still sitzen. Ich habe eben gerne Gesellschaft. Ich bin gerade auf dem Weg zu einem Rendezvous.“

      „Und ist das jemand ganz Spezielles?“, stichelte Vestalia nun.

      „Sieht zumindest sehr vielversprechend aus“

      „Na dann wünsche ich dir viel Erfolg“

      Vestalia freute sich für Celia. Nachdem was geschehen war, wusste sie nicht, wie lange sie noch an ihrer Seite sein würde. Vestalia zwang sich zur Ruhe.

      „Vestalia?“

      „Bin noch dran“

      „Süße, ist bei dir alles in Ordnung? Du wirkst ein wenig angespannt.“

      Die Leichtigkeit in Celias Stimme war verflogen.

      „Alles bestens“

      „Nun, die letzten Monate waren wirklich sehr hektisch. Weißt du was, meine Liebe? Erledige den Termin morgen noch, und mache danach zuerst einmal Urlaub. Bleibe im Haus oder fahre ans Meer, oder reise ein wenige herum, ganz wie du willst.“

      „Das ist nicht nötig“

      „Darüber debattiere ich jetzt nicht mit dir. Du hast rund um die Uhr gearbeitet. Du musst dringend neue Kraft schöpfen. Ich schaffe den Rest auch alleine.“

      „Das kommt nicht in Frage“, protestierte Vestalia.

      Es drängte sie vielmehr, so schnell wie möglich wieder abzureisen. Wie sollte denn die Polizei auf sie kommen? Schließlich war die Begegnung mit Claudio nur zufällig gewesen – alle drei Male. Vestalia schluchzte leise.

      „Ich bestehe darauf! Wenn es sein muss, komme ich höchstpersönlich zu dir und zerre dich zum nächsten Strand.“

      „Das brauchst du nicht. Ich nehme mir die Auszeit.“, lenkte Vestalia schließlich ein. „Aber wenn es Schwierigkeiten geben sollte, rufst du mich an.“

      „Versprochen!“

      „Und jetzt vergiss mich und kümmere dich um deine Verabredung“

      „Du auch meine Liebe, ciao!“ Celia schickte ihr einen Kuss.

      „Ciao Celia!“

      Vestalia ging zurück ins Arbeitszimmer, wo die Blätter auf dem Boden immer noch verstreut herumlagen. So viele Zeichnungen, und doch war keine dem Antlitz, das sie gesehen hatte, auch nur im Entferntesten gerecht. Sie sah sich jede einzelne Skizze noch einmal sorgfältig an und studierte die Unterschiede in den Gesichtszügen. Ihr fiel auf, dass sie in jeder Zeichnung ein anderes seiner Merkmale getroffen hatte, aber sie hatte es nicht geschafft, sie auf einem Blatt zu einem stimmigen Portrait zu vereinigen. Sie nahm einen Goldstift zur Hand und fing an, die betreffenden Stellen nachzufahren. Als sie fertig war, schien die Sonne schien durch die Tür herein. Vestalia griff hastig nach den Blättern und legte sie zusammen. Sodann hielt sie den Stapel gegen das Licht, und hindurch erschien das Gesicht des Mannes im goldenen Glanz, ganz so wie sie ihn gesehen hatte.

      „Si!“, rief sie laut und lachte.

      Sie hatte ihn! Aber wer war er? Warum hatte sie sein Gesicht so deutlich gesehen im Gegensatz zu der Gestalt, die ihr nur verhüllt erschienen war? War es eine Warnung? War er der Nächste? Aber sie hatte von Claudio keine Vision vorher gehabt. Warum also diese hier? Aber noch etwas war anders gewesen - es hatte sich nicht bedrohlich angefühlt. Warum nicht? Sie ging hinaus auf die Veranda zum Windspiel. Sie hatte sich vorhin darauf konzentriert. Das Windspiel der Vesta war für sie eine Quelle des Lichts, geschmiedet in Liebe. Und aus eben diesem Licht war die Vision gekommen.

      „Wunderbar, jetzt verliere ich auch noch das letzte bisschen Verstand. Nicht, dass davon noch viel übrig wäre.“, sagte sie ironisch zu sich selbst.

      Aber wie auch immer es um ihre mentale Gesundheit stand, darum würde sie sich später kümmern. Sie war aus geschäftlichen Gründen in Rom, und vor allem anderen musste sie den Termin mit Signora Luci einhalten. Wenn das erledigt war, würde sie über den nächsten Schritt nachdenken. So kurzweilig der Plan auch war, es war einer. Einer, an den sie sich für den Moment festhalten