Tina Bajza

Vestalia


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      Fragend sah Vestalia die Gestalt an, doch sie rührte sich nicht. Durch ihr anhaltendes Unverständnis, musste sie wohl ihr Gegenüber in Rage gebracht haben, denn plötzlich wandelte sich das Wohlwollen in Zorn. Die Gestalt stieß ein langes Kreischen von unerträglicher Intensität aus. Unsichtbare Hiebe, wie von einem Dolch, drangen tief in Vestalias Leib. Wieder und wieder stachen die gellenden Schreie der Gestalt in ihre Brust, in ihren Bauch, in ihren Unterleib. Ihr Körper vom Schmerz benommen, machte es ihr unmöglich, sich gegen die Angriffe zu wehren. Regungslos stand sie da und beobachtete nur, wie das Blut ihr Kleid durchtränkte. Unter ihren Füßen bildete sich eine Blutlache und bedeckte die Kadaver der Glühwürmchen. Es gerann und bildete Klümpchen.

      Die Gestalt verstummte. Langsam kniete sie sich nieder und hob eines der blutverkrusteten Kadaver auf. Sie strich die Kruste von dem toten Tier ab und es verwandelte sich in ein blutrotes Rosenblatt. Die dunkle Gestalt fing an, einen Kreis um Vestalia zu beschreiben. Sie hob ein Blütenblatt nach dem anderen auf und fädelte sie auf eine goldene Schnur auf. Als sie ihren Kreis vollendet hatte, legte sie Vestalia den Kranz aus Rosen um den Hals.

      Vestalia ließ die einzelnen Blätter durch ihre Finger gleiten - fühlte ihre Weichheit, ihre Verwundbarkeit, ihre Vergänglichkeit. Sie verstand. Die Gestalt verlangte Opfer im Gegenzug für ihr Leben. Sie musste diejenigen, deren göttliches Licht erloschen war, dem reinigenden Feuer übergeben.

      Vestalia spürte den prüfenden Blick in ihre Seele. Sie wusste, wonach die Gestalt gesucht hatte, als ihre Verwünschungen ihre Seele offengelegt hatten, dass sie blutete. Vestalia nickte.

      Die Gestalt zog sich zurück und entschwand in das Flammenmeer.

      5 Mondschein

      Vestalia konnte sich gerade noch an der Wand festhalten, bevor sie mit dem Liegestuhl umkippte. Sie stieß gegen den Gartentisch. Das kippte um und zerbrach am Teller. Ihr Herz raste. Sie brauchte einige Minuten, bis sie zu sich kam und begriff, dass sie eingeschlafen war. Sie versuchte sich daran zu erinnern, was sie geträumt hatte, aber es wollte ihr nicht einfallen. Es wehte eine leichte Brise und das Atmen fiel leichter. Die schwüle Hitze hatte nachgelassen. Vestalia sah zum Himmel hinauf, wo die Sterne verspielt flackerten. Die Sterne, sie flackerten – die Beobachtung schien ihr aus einem unerklärlichen Grund bedeutsam. Ein beklemmendes Gefühl beschlich sie. Sofort schüttelte sie es wieder ab und machte sich daran, die Glasscherben aufzusammeln. Sie brachte das schmutzige Geschirr in die Küche. Als sie zum Fenster hinaussah, war es nun der Mond, der ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Die Wärme wich aus ihren Wangen und Todesangst ergriff sie plötzlich. Sie konnte den Blick nicht abwenden. Der Schein des Mondes färbte sich rot und breitete sich über den ganzen Himmel aus, bis alle Sterne verschwunden waren.

      „Bringe mir die Sünder!“ Vestalia erschrak, als sie es sich selbst laut sagen hörte.

      Das reicht! Sie musste unter Menschen, wo sie sich von ihren trüben Gedanken ablenken konnte. Es sind doch nur ein paar Tage - versuchte sie sich selbst zu beruhigen. Den Termin mit Signora Luci würde sie wie gewohnt abwickeln, und dann konnte sie auch wieder weg von hier. Sie sprang auf und lief hoch ins Schlafzimmer. Innerhalb von zehn Minuten war sie angezogen und geschminkt.

      Im Auto kurbelte Vestalia an beiden Seiten die Fenster herunter. Während sie durch die belebten Straßen von Rom fuhr, strömte die Luft in den Wagen und wirbelte um sie herum. Sie hielt Ausschau nach einer anregenden Atmosphäre. Schließlich parkte sie vor einem Lokal, aus dem Jazz-Musik zu hören war und einen Außenbereich hatte. Mit jedem Takt wurden ihre Schritte leichter. Sie setzte sich an die Bar nahe der Band und bestellte sich einen roten Hauswein. Es war recht voll. Liebespärchen flüsterten sich Zärtlichkeiten ins Ohr, andere amüsierten sich einfach und tanzten zwischen den Tischen. Über ihnen hingen Lichterketten und bunte Lampions. Vestalia ließ sich von der ausgelassenen Stimmung anstecken.

      Nachdem geraume Zeit vergangen war und sie immer noch alleine an der Bar saß, wurde insbesondere ein Verehrer auf sie aufmerksam. Seine Blicke schweiften immer häufiger zu ihr hinüber. Dann war es soweit und der Barmann wurde geschickt, der ihr einen weiteren Glas Wein brachte. Sie lehnte ab, ohne auch nur hinzusehen, von wem die Einladung war. Was nun folgte, war der direkte Angriff. Man wollte sehen, was das Mädchen außer Kopfschütteln noch so drauf hatte.

      Angespornt von seinem Freund Stefano, wagte sich Claudio vor. Gleich einem Boxer, der wagemutig in den Ring steigt, schritt er selbstbewusst voran. Breitbeinig, mit geschwollener Brust und siegessicherem Lächeln wollte er die widerspenstige Herzensdame erobern. Das lässige Augenzwinkern ließ er diesmal weg. Davon ausgehend, dass sie sein Vorrücken bemerkt hatte, ließ er sich auf den freien Barhocker neben ihr nieder. Sie aber ignorierte ihn weiterhin. Unschlüssig harrte er einige Minuten schweigend neben ihr aus und sah ebenfalls der Band zu. Schließlich entschloss er sich, ihren Namen in Erfahrung zu bringen. Wenn er ein Gespräch mit ihr anfangen wollte, wäre es doch sicherlich von Vorteil. Er winkte den Barmann herbei und steckte ihm einen Schein zu.

      „Natürlich hat sie mir ihren Namen gesagt. Ob sie ihn dir auch sagt, wage ich zu bezweifeln.“, entgegnete Giuseppe hämisch und ging wieder an seine Getränke.

      Claudio fluchte leise. Es musste also doch ohne Namen auskommen.

      „Ciao!“

      Keine Reaktion. Claudio ließ sich nicht verunsichern, er war ja nicht ganz unbewaffnet gekommen. Er lehnte sich vor und wisperte ihr ins Ohr, während er hinter seinem Rücken die ultimative romantische Geste hervorzog.

      „Eine so wunderschöne Rose darf den Abend nicht alleine verbringen. Wer auch immer das zulässt, ist ein absoluter Narr.“

      Endlich drehte sie sich zu ihm um. Sie lächelte.

      „Was für eine bezaubernde Rose“, entgegnete sie.

      Das verlieh ihm Zuversicht. Claudio legte seinen Arm um ihre Taille wie ein zärtlicher Liebhaber.

      „Keine geringere Blume wäre dir gerecht“

      „Du magst wohl Rosen“, hauchte sie.

      „Es gibt nichts Anbetungswürdigeres, als den Duft und die zarte Berührung einer solch betörenden Schönheit.“

      Er streichelte mit der Rosenblüte sanft über ihren Hals. Sie sah ihm tief in die Augen, sah auf seine Lippen. Claudio ergriff eine leise Erregung, die sich gefährlich schnell zu steigern drohte. Er konnte die Hitze spüren, die von ihrem Körper ausging.

      „Du vergisst aber, dass Rosen Dornen haben – tödliche Dornen!“, flüsterte sie. „Ich rate dir dringend, dich heute Nacht von ihnen fernzuhalten!“

      Erschrocken wich Claudio zurück. Er war sich nicht sicher, ob er sie richtig verstanden hatte. Es hatte wie eine ernsthafte Warnung geklungen.

      „Was soll das bedeuten? Von wem fernhalten?", wollte er wissen, aber Giuseppe, voller Schadenfreude grinsend, ging dazwischen.

      „Lass es gut sein, Claudio! Die Signorina hat sich unmissverständlich ausgedrückt.“

      „No, ich…“

      Claudio brachte kein weiteres Wort heraus, als er ihren finsteren Blick sah. Er griff nach seiner Jacke und stürmte aus der Bar. Stefano kam lachend hinter ihm hergerannt.

      6 Glühwürmchen

      Vestalia war über die Flucht ihres Verehrers erleichtert. Das unheilvolle Gefühl war wieder da, die Musik half nicht mehr. Sie entschloss sich, zu einer wohlgehüteten Adresse zu fahren. Signora Oppia war eine ihrer wohlhabendsten Kundinnen, die es jedoch bevorzugte, anonym zu bleiben.

      Die Empfangsdame wirkte im ersten Moment etwas verwundert, führte sie dann aber zur Dame des Hauses. Vestalia begegnete ihr zum ersten Mal persönlich. Signora Oppia stellte sich ihr als eine mondäne Geschäftsfrau vor. Ihr Make-up war dezent, ihr Kostüm klassisch geschnitten. Sie selbst war von einer makellosen Schönheit, grazil und mit ebenmäßigen Gesichtszügen.

      „Signora Di Salvo,