S. N. Stone

Menschenseelen Teil 4 - Ker -


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Sie hatten die Zivilisten zurückgelassen, ebenso, wie weitere Wagen, die nicht verbrannt worden waren. Als Jaten das am Morgen gesehen hatte, war klar, dass die Stämme reichlich Kriegsbeute machen würden. Eigentlich stand er auf keiner der beiden Seiten, darum ging es ihm nicht, ging es ihm nie, trotzdem freute er sich insgeheim darüber, dass die Römer abgeschlachtet wurden, wie sie in der Vergangenheit selbst geschlachtet hatten. Und auch der zweite Tag endete verlustreich für die Legionäre.

       Am Abend des dritten Tages hatten die Wilden aus Germanien ein Achtel des Gesamtheeres des Römischen Reichs vernichtend geschlagen. Die letzten Überlebenden und schwer verwundeten waren den Göttern der Germanen geopfert worden. An Bäumen genagelt hingen ihre leblosen Körper bleich im Schein des vollen Mondes. Der Boden, noch von Blut getränkt, war übersät von Leichen von Tier und Mensch

       Ein wenig wehmütig war Jaten, der wieder sein wahres Aussehen angenommen hatte, schon, gerne hätte er Publius Quinctilius Varus nämlich tatsächlich sein Schwert in die Brust gerammt, nur um zu sehen, ob dieser wieder in schallendes Gelächter gefallen wäre. Jedoch hatte der Feldherr es mit seinen obersten Offizieren vorgezogen, sich selbst zu töten.

       Als er so durch die toten Körper streifte und aus der Ferne die Siegesgesänge der Barbarenkrieger vernahm, sah er die Gestalt einer Frau über das Schlachtfeld wandeln. Er kniff die Augen zusammen und bewegte sich zügig auf die in ein weißes Totenhemd gekleidete Erscheinung zu.

       Als er sie erreicht hatte, sprach er zu ihr: „Findest du nicht, dass deine Kleidung ein wenig zu dramatisch ist?“

       Die Frau drehte ihren Kopf zu ihm und lächelte. „Findest du nicht, dass du viel zu lange gebraucht hast dieses Mal? Ich habe dich vermisst.“

       Dann schob sie ihre Hand in seine und gemeinsam gingen die Abkömmlinge des Ker, die Geschwister des gewaltsamen Todes über den Kampfplatz.

      5. Kapitel

      Ihre Mutter war regelrecht entzückt gewesen, als sie mit Danjal in der Tür gestanden hatte. Wenig begeistert hatte sie die Tatsache aufgenommen, dass Jenna wieder nach Berlin gehen würde.

      Danjal hatte sich auf ihr Bett gelegt und war eingeschlafen, noch bevor sie das erste Stück in ihre Reisetasche gepackt hatte. Sie würde vieles zurücklassen müssen, aber daran gewöhnte sie sich so langsam.

      Als sie fertig war, stellte sie sich vor das Bett und betrachtete IHN. Er sah unschuldig aus, ein unglaublicher Umstand, wenn man bedachte, was er alles getan hatte.

      Die Zeit, bis Danjal wach wurde, verbrachte Jenna mit ihren Eltern. Beim Abschied drückte ihre Mutter sie lange, dann nahm sie Danjal zur Seite. „Passen Sie gut auf meine Tochter auf, eine haben wir schon verloren“, konnte Jen sie sagen hören.

      Auch ihr Vater hatte eine Trauermiene aufgelegt.

      „Ich bin doch nicht am anderen Ende der Welt“, versuchte sie ihn zu trösten, „nur in Berlin. Wir haben es immer recht gut hinbekommen.“

      „Ach es ist nur, es war, es war einfach schön dich wieder so nah bei uns zu haben.“

      „Ich verspreche regelmäßig zu kommen und ihr kommt ab und zu nach Berlin.“

      Er nickte und verabschiedete sich von Danjal.

      Als sie vom Haus wegfuhren, winkten ihre Eltern ihnen noch lange nach.

      Während der Fahrt vermied sie es sich mit Danjal zu unterhalten. Dass sie sich drüber gefreut hatte, dass er Sascha verletzt hatte, bereitete ihr jetzt ein schlechtes Gewissen, auch wenn er es verdient hatte.

      Einmal hielten sie, weil Jenna auf die Toilette musste. Danjal kam hinter ihr her.

      „Du musst mich nicht verfolgen, ich haue nicht mit einem sexy Lkw-Fahrer ab.“

      „Ich befürchte nicht, dass du flüchtest, du bist ja aus freien Stücken bei mir, ich will dich beschützen.“

      Jen blieb stehen. „Wovor?“

      „Vor Abkömmlingen?!“

      „Vergessen, dass ich mich gegen die wehren kann?“

      „Kannst du das verlässlich? Und was ist mit Jägern, die es nicht so toll finden, dass du mich aus dem Refugium geholt hast?“

      „Ich habe keine Probleme. Mir ist weder ein Abkömmling noch ein Arsat über den Weg gelaufen seit ...“ Sie wollte den Satz nicht beenden. „Dir?“

      Er zuckte mit den Schultern.

      Also ließ sie Danjal vor den Toiletten warten und sich dann zurück zum Auto eskortierte.

      Es war mitten in der Nacht, als sie in Alt-Reinickendorf vor der Dorfkirche ankamen. Trotzdem führte sie der erste Weg zu Johannes.

      Der Pfarrer schaute müde drein, freute sich aber Jenna zu sehen. Ellen schlief bereits und Louisa war im Bauernwohnhaus.

      „Es ist schön, dass Sie wieder hier sind. Hatten Sie Probleme, seit Sie mit ihm zusammen sind?“

      „Nein, seit ich aus Berlin weg bin, ist nichts vorgefallen.“

      „Pater Sebastian ist zu Brents Nachfolger ernannt worden. Er hat mich aufgesucht und wir hatten ein langes Gespräch. Die Arsaten werden uns in Ruhe lassen. Zumindest wird er nichts veranlassen, was Ihnen oder mir oder IHM schadet. Obwohl er auf die Jäger wenig Einfluss hat, was Danjal angeht. Er bedauert es natürlich, dass Sie als momentan einzig bekannte Auserwählte ihnen nicht zur Verfügung stehen.“

      „Und was gibt es Neues, seit wir das letzte Mal voneinander gehört haben?“

      „Ellen geht es gut, Louisa ist rüber ins Haus gezogen, als ER zurückkam. Ich verfolge gerade mit großem Interesse eine Anzahl von gewaltsamen Todesfällen, ansonsten ist alles beim Alten.“

      Danjal hatte das Gefühl gerade ziemlich überflüssig zu sein.

      „Ich danke Ihnen, dass Sie mich wieder aufnehmen“, sagte Jen und lächelte. „Ich muss schauen, wie es weitergeht. Vor allem muss ich morgen erst einmal meinen Job kündigen.“

      Die beiden unterhielten sich weiter und Danjal war überflüssig. So verabschiedete er sich und ging zum alten Bauernwohnhaus.

       AUFWACHEN!!! - Stimme Nummer drei.

      AUFWACHEN!!! Nun schrien sie alle, die Stimmen in ihrem Kopf überschlugen sich, schrien sie an, tobten. Louisa schreckte hoch. Da waren noch andere Geräusche, Schritte, Bewegung im Haus. Es war ein altes Gemäuer und es lebte. Ständig quietschten und knarrten die alten Dielen, der Wind pfiff durch die Holzfenster, wenn er ungünstig stand. Louisa fand das gruselig, aber nicht erschreckend. Die Geräusche jetzt, waren jedoch andere.

      Sie huschte aus dem Bett und schaute sich um. Im Licht, das von der Straße hereinschien, konnte sie eine Flasche Haarspray ausmachen, die sie sich griff, bevor sie auf Zehenspitzen aus Jennas Zimmer schlich.

      Da stand eine Gestalt im Flur. Dunkel, schwarz, konturlos. Louisa stürzte sich auf sie und sprühte blind das Spray, in der Hoffnung den Eindringling damit zu erwischen.

      „Fuck! Scheiße, verdammt, was soll der Mist?“ Raus aus meinem Kopf!

      Sie hastete zum Lichtschalter und knipste die Lampe an. Danjal stand vor ihr und hatte die Hände vors Gesicht geschlagen.

      „Du bekloppte Irre, was soll das?“

      „Ich dachte du wärst ein Einbrecher.“

      „Hier traut sich niemand rein, wenn er auch nur ahnt, dass du da bist.“

       Er ist gemein! - Nummer vier.

      Louisa baute sich vor Danjal auf und stemmte die Arme in die Seiten. Auch wenn er es nicht sehen konnte, weil sie mit dem Haarspray genau seine Augen erwischt hatte.