Alexandra Bauer

Die Midgard-Saga - Hel


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von Juli, Tom und Hermodr fehlte jede Spur. Sie verließen den Saal und liefen zurück in den Gang, wo sie der Treppe hinauf in das obere Stockwerk folgten. Tatsächlich begegnete ihnen dort eine Magd, die sie in ihre Zimmer führte. Ein Feuer prasselte um einige frisch geschichtete Scheite, die kurz zuvor aufgelegt worden waren. Juli und Tom schliefen tief und bemerkten Thea nicht, die sich erschöpft ihrer Rüstung entledigte und dann froh über ein paar Stunden Ruhe ins Bett fiel.

      Als Thea erwachte, war sie alleine. Müde streckte sie die Glieder und drehte sich noch einmal um, da stürzte Juli durch die Tür und zerriss die morgendliche Stille.

      „Endlich! Ich dachte, du willst gar nicht mehr aufwachen. Wal-Freya meinte, wir sollen dich schlafen lassen, aber wenn du noch länger gebraucht hättest, hätte ich mich nach einem Feueralarm in der Feste umgesehen.“

      „Ich wusste immer, dass ich keine Feinde brauche, solange ich dich an meiner Seite habe“, murmelte Thea.

      „Du Witzbold! Wie kannst du so in Seelenruhe schlafen? Bist du nicht aufgeregt? Also ich konnte kaum ein Auge zutun!“

      „Das habe ich gesehen, nachdem ich heute Nacht ins Zimmer geschlüpft bin“, erwiderte Thea trocken.

      Juli lachte. „Als könnte man hier sagen, wann Tag und Nacht ist.“

      „Wo sind die anderen?“

      „Nebenan. Ingvar lässt gerade Frühstück machen. Aber Wal-Freya verlangte, dass wir auf dich warten.“

      „Ach, deswegen warst du so ungeduldig, weil du noch immer nicht gefuttert hast.“

      Wieder lachte Juli. „Ja genau! Und jetzt gib Gas, bevor ich launisch werde.“

      Sie half Thea beim Anziehen und führte sie in den Raum gegenüber. Dort erhoben sich alle von den Betten, als Thea eintrat.

      „Ein Glück!“, lächelte Hermodr und fuhr sich über den Bauch.

      „Habt ihr lange gewartet?“, fragte Thea verunsichert.

      „Nein. Eine halbe Stunde vielleicht“, erwiderte Wal-Freya.

      „Gefühlt waren es zwei Stunden“, sagte Tom. Er schmunzelte. „Bist du denn gar nicht aufgeregt?“

      Thea verschränkte die Arme. „Sag nur, du hast auch die ganze Nacht kein Auge zugetan.“

      Unter schallendem Gelächter gingen sie hinaus und liefen zur Halle, wo ein üppiges Frühstück auf sie wartete. Mit gefüllten Bäuchen und vollgestopften Proviantsäcken verließen sie schließlich den Saal.

      Djarfur scharrte mit einem Huf und schüttelte den Kopf. „Habt ihr euch gut amüsiert, während wir bei Wasser und trockenem Brot gehalten wurden?“

      Verwirrt trat Thea an ihn heran. Scherzte Djarfur, oder beschwerte er sich wirklich? Er gab die Antwort mit einem Kichern und ließ Thea erleichtert die Augen verdrehen.

      „Ich bin fast drauf reingefallen!“

      Erneut kicherte Djarfur. „Du bist darauf reingefallen!“, verbesserte er. „Gibt es eine Planänderung? Tom und Hermodr tauschen die Plätze.“

      „Wir teilen die Gruppe … Hermodr und Wal-Freya reisen zu Hel. In dieser Zeit suchen wir den geheimen Zugang auf. Wal-Freya sagt, Kvikur wird den Weg finden.“

      Djarfur wieherte. „Großartig! Jetzt brichst du ohne Götterhilfe auf! Ich wusste es. Ich bin das Pferd der Heldin!“

      Lachend tätschelte Thea Djarfurs Seite und schwang sich in den Sattel. „Du bist ein bisschen größenwahnsinnig, glaube ich.“

      „Mitnichten. Ich bin nur ein Pferd mit großen Zielen.“

      Ingvar steckte die Daumen in seinen Gürtel und überschaute die Gruppe. „Viel Glück euch allen! Mögen eure Herzen stets mutig und euer Verstand klar sein.“

      „Danke Ingvar“, antwortete Wal-Freya. „Wir sehen uns wieder!“

      Der Wikinger lachte. „Das will ich hoffen!“ Er winkte zum Abschied, derweil die Pferde in den Himmel stiegen. Ein letztes Mal sah sich Thea nach Ingvar um und erwiderte seinen Gruß, dann richtete sie den Blick auf Tom und Juli, die mit erwartungsvollen Gesichtern der vor ihnen liegenden Aufgabe entgegenfieberten. Thea hoffte inständig, dass sie ihrer Verpflichtung gewachsen war. Wehmütig beobachtete sie Wal-Freyas wehende Haare über dem Umhang.

      „Du warst doch schon einmal auf dich allein gestellt“, drang Wal-Freya in ihren Geist. Wie so oft fühlte die Walküre Theas Gedanken, als lägen sie offen vor ihr. „Damals, genau hier in Niflheim. Dank dir kamen wir frei.“

      „Da musste ich nur auf mich aufpassen.“

      „Was du nicht besonders gut angestellt hast. Sorge dich nicht. Deine Sinne werden um ein Vielfaches geschärft sein, wenn du für andere Menschen die Verantwortung trägst. Als Njal hast du es auch geschafft.“

      „Stimmt. Aber da ging ich nicht nach Hel.“

      „Dafür hast du jetzt ein Flammenschwert und kannst ein paar Tricks.“ Sie lachte und führte ihr Pferd von Thea fort. „Zeit, Abschied zu nehmen! Geht vorsichtig bei der Suche nach Balder vor und verliert Skidbladnir nicht! Ohne das Schiff werdet ihr den Gjöll nicht überwinden und ihr kehrt nie aus Hel zurück!“ Aus den Augenwinkeln sah Thea, wie Juli unwillkürlich die Hand auf ihre Brust legte und nach dem Schiff fühlte. Dann lenkte Wal-Freya ihr Pferd nach rechts und stob davon. Hermodr folgte ihr.

      „Bis bald in Hel!“, rief er.

      Auf ihren tänzelnden Pferden sahen sie den Göttern lange nach, dann drehte Kvikur ab und ritt in nordwestlicher Richtung davon. Fifill und Djarfur folgten ihm umgehend.

      Ungefähr zwei Tage später, sie hatten nur wenige Pausen gemacht, senkte sich Kvikur von selbst nieder. In den letzten Stunden war es immer finsterer und kälter geworden. Das Nordlicht hatte sich weit an den hinteren Horizont zurückgezogen. Auch die Sterne leuchteten blasser. Thea erkannte eine Nebelwand, die sich vor einer Ebene aus in sich verkeilten Gletschertürmen abbildete. Der Schnee war frisch und unberührt. Als Thea aus dem Sattel sprang, sank sie bis zu den Knien ein. Mit mulmigem Gefühl watete sie ein Stück voran. Die Nebelwand richtete sich hoch und dicht vor ihr auf und verhüllte alles, was dahinter lag. Prüfend warf Thea einen Blick zurück zu ihren Freunden, deren Gesichter in der Dunkelheit kaum zu erkennen waren.

      „Das ist es?“, fragte sie Djarfur.

      „Kvikur sagt ja.“

      Sie sah sich um. „Aber hier ist nichts.“

      „Sind wir da?“, fragte Tom.

      Thea versuchte etwas durch den Nebel auszumachen, doch es war unmöglich. „Anscheinend.“

      „Hermodr ging durch den Nebel“, vernahm Thea eine fremde Stimme in ihrem Geist.

      „Und dann?“, fragte sie Kvikur.

      Das Pferd schnaubte. „Kam er zurück und wir ritten heim nach Asgard.“

      Juli sprang von Fifill herunter, löste ihren Quersack vom Sattel und schulterte ihn. „Es wäre wohl kaum ein verborgener Eingang, wenn er sich hier offen vor uns auftun würde. Schon vergessen? Die Völva sagte, dass noch nicht einmal Hel ihn kenne.“

      Auch Tom rutschte aus dem Sattel und löste seinen Quersack. „Sie hat Recht. Wir werden ihn sicher irgendwo finden.“

      „Was macht ihr solange?“, fragte Thea und sprach damit Djarfur und die anderen Pferde an.

      „Nach Hel müsst ihr alleine gehen. Wir kehren zurück zu Ingvars Feste. Von dort aus sind wir schnell wieder bei euch, wenn du uns rufst“, antwortete Djarfur.

      Geduldig wartete er, bis Thea den Proviantsack vom Sattel gelöst hatte. „Gut. Wie auch immer ihr mich von da hören wollt.“

      Djarfur kicherte,