Holger Rudolph

Giftmord statt Goldschatz


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      Einer seiner Weisheitszähne macht ihm Probleme. Die Bohrmaschine im Nachbarraum schrillt. Erst gestern hatte Bernd Bergners Zahnarzt ihn eindringlich darauf hingewiesen, dass der Zahn raus müsse, und dies möglichst bald. Doch der Bauarbeiter will jetzt nicht darüber nachdenken, was sein sollte. Allerdings macht das energische Geräusch von nebenan es schwierig, sich auf die Arbeit zu konzentrieren. Zu sehr erinnert der alles durchdringende Ton an das verhasste Bohrgerät beim Stomatologen. Trotzdem wird er seinen Bekannten aus Jugendtagen in absehbarer Zeit aufsuchen müssen. Setzt er doch großes Vertrauen in dessen Fähigkeiten als Arzt.

      Die Holzdielen unter seinen Füßen sind bald 200 Jahre alt. Vorsichtig hebt er eine von ihnen an. Nur nichts beschädigen, was noch gerettet werden könnte. Die Denkmalschützer fordern, dass möglichst viel von der alten Substanz bei der Sanierung dieses zentral gelegenen Rheinsberger Ackerbürgerhauses erhalten bleibt.

      Bergner arbeitet seit fast zwei Jahrzehnten im Baubetrieb Kegel. Er weiß, wie viel Zeit für eine ordentliche Instandsetzung nötig ist. Oft würde er deshalb so manchen Arbeitsgang gern mit deutlich mehr Ruhe erledigen, als es im stressigen Alltag möglich ist.

      Wieder einmal hat es Norbert Kegel geschafft, bei einer der größeren Ausschreibungen in seiner Heimatstadt billiger als die anderen zu sein. Ein fettes Grinsen erfüllte das Gesicht des schwergewichtigen und klein gewachsenen Firmenchefs, als er seinen Leuten vor ein paar Wochen mitteilte: „Wir haben den Zuschlag für die Bautischler-Arbeiten erhalten.“ Für Bergner und sechs weitere Angestellte bringt der Auftrag mindestens ein Jahr der beruflichen Sicherheit. Allerdings hat der Handwerker, dem seine Arbeit an sich sehr gut gefällt, seit der erfreulichen Botschaft massenweise Überstunden leisten müssen, ohne Bezahlung natürlich. Es handelt sich um Mehrarbeit, die es offiziell nicht gibt. Wer sich darüber aufregt, der könne gehen, poltert Kegel, wenn sich in den Reihen der Mitarbeiter auch nur die geringste Kritik regt. Dabei entwickelt seine linke Augenbraue ein markantes Eigenleben. Unkontrollierbar zuckt sie auf und ab. Doch das geschieht nur selten, denn meist kuschen Kegels Leute. Ihm Kritik ins Gesicht zu sagen, das könnte schiefgehen. Und es ist nicht leicht, im Nordosten Deutschlands wieder eine Festanstellung zu bekommen, erst recht, wenn man als aufmüpfig gilt.

      Bergners Handy klingelt. Es sitzt griffbereit aber sicher in einer der tiefen verschließbaren Taschen der Arbeitsweste. Er drückt die grüne, reichlich abgenutzte Taste des mehr als zehn Jahre alten Telefons. Bergner braucht ein Handy, das gut funktioniert und kein miniaturisiertes mobiles Büro, wie es viele seiner Kollegen mit sich herumtragen. Dass einige von ihnen über seinen Steinzeit-Knochen witzeln, stört ihn nicht. Die Anruferin ist seine Frau Susanne. Sie möchte wissen, wann er heute nach Hause kommt. Bergner ist zwar froh darüber, dass sie sich auch nach 17 Jahren Eheleben noch fast täglich besorgt danach erkundigt, wie es ihm geht. Doch wie so oft weiß er auch heute nicht, wann Arbeitsschluss sein wird. Susanne kennt seine Probleme nicht aus eigenem Erleben. Sie hat als Krankenschwester in einer Allgemeinmedizinischen Praxis einen echten Acht-Stunden-Arbeitstag. Oft genug bekommt Bergner den Ärger der Ehefrau über seine ausgedehnte Arbeitszeit zu spüren. Sie wirft ihm in solchen Momenten vor, er setze sich nicht genügend durch. Eigentlich brauche er seinem Chef gegenüber doch nur im Falle erneuter ungesetzlicher Mehrarbeit auf die vertraglich verbürgte Stundenzahl hinzuweisen. Diese Möglichkeit hätte er natürlich tatsächlich. Doch die Auswirkungen wären vollkommen anders, als von ihr erhofft. Seine Vorarbeiterstelle würde er dann höchstwahrscheinlich nur noch kurze Zeit behalten. Irgendein Vorwand, ihn zu degradieren oder gar zu kündigen, wäre schnell gefunden.

      Manchmal scheint Susanne ihrem Mann überhaupt nicht zu glauben, wenn er wieder einmal sein spätes Heimkommen mit den Unwägbarkeiten des Arbeitslebens begründet. Es kommt ihm dann so vor, als ob sie glaubt, dass er eine Andere haben würde. Er versteht nicht, dass sie an so etwas auch nur im Entferntesten denken kann. Wie zur Selbstberuhigung spricht er vor sich hin: „'ne Neue, würde ich doch niemals machen, ich mag dich doch, Suse, was soll ich da mit 'ner Anderen. Wir sind doch glücklich.“

      Die beiden Kinder sehen ihn nur selten. Oft ist er abends erst dann zu Hause, wenn sie bereits im Bett liegen und schlafen. Manchmal kommt es vor, dass beide Eltern noch bis spät in die Nacht unterwegs sind. Das geschieht immer dann, wenn Bernd wieder einmal länger arbeiten muss und Susanne Zeit mit ein paar Freundinnen verbringt. Bernd akzeptiert, dass sie sich mit ihnen immer montags, mittwochs und freitags zum Mädelsabend in verschiedenen Cafés trifft. Weniger Verständnis bringt er dafür auf, dass sie nach einem solchen Treffen meistens erst gegen 3 Uhr morgens wieder zu Hause ist. Ein paar Mal hat er zu erfahren versucht, weshalb es derart lange gedauert hatte. „Weiberkram, den Du sowieso nicht verstehen würdest“, antwortete sie ihm. Frauen hätten sich stets viel zu erzählen. Längst fragt er nicht mehr nach. Soll sie nur machen, denkt er. Kaffeetrinken und quasseln könne so schlimm doch nicht sein.

      Ja, er wird sich heute Abend beeilen, mehr kann Bernd Bergner seiner Frau nicht versprechen. Er beendet das Telefonat rasch, denn Norbert Kegel hat sich breit vor ihm aufgebaut: „Na, wie lööft ett, meen Juta?“, will er wissen. Bergners Chef berlinert immer dann, wenn er seinen Mitarbeitern gegenüber Fürsorge demonstrieren möchte. Das ist gespielt – und nicht einmal gut. Jeder auf der Baustelle fühlt sich genervt von dem Eiapopeia-Kindergarten-Ton, den der angeblich Besorgte an den Tag legt. Er mimt dann den großen und wissenden Erzieher, seine Leute aber sind die lieben Kleinen, denen er von ganzem Herzen nur das Allerbeste will. Jeder weiß, dass Kegel in Wahrheit ein eiskalter Rechner ist, der vor allem befürchtet, dass seine Mitarbeiter in Verzug kommen könnten. Das würde für ihn Ärger mit dem Auftraggeber bedeuten, den er sich nicht leisten kann. Gehört das mehr als 200 Jahre alte Haus doch einem der einflussreichsten Prinzenstädter. Als Vorarbeiter hat Bernd dafür zu sorgen, dass niemand schludert, die Zeitvorgaben aber trotzdem eingehalten werden. Der Bautischler kann seinen Vorgesetzten für heute beruhigen: „Alles bestens, kein Grund zur Sorge.“ Nach einem allzu intensiven Schulterklopfen zieht Kegel ab. Er muss weiter, zwei andere Baustellen, ein Museum in der Kreisstadt Neuruppin und der Anbau einer Klinik in Kyritz, sind heute noch zu besuchen.

      Die meisten Dielen im alten Bürgerhaus, das zuvor über Jahrzehnte leer gestanden hatte, sind von Holzwürmern zerfressen. Trotzdem hebt Bergner jedes Brett mit großer Sorgfalt an. Nur bei wenigen davon lohnt sich das Aufarbeiten. Als er eine weitere alte Bohle aus der Verankerung löst, schlägt ihr hinterer, nun abgesenkter Teil lautstark auf Metall. Zumindest klingt es so. Rasch entfernt der Arbeiter auch die beiden Nachbardielen.

      Ungewissheit

      Die freigelegte Schatulle ist alt. Bernd Bergner hatte sich zunächst vergewissert, dass keiner seiner Kollegen in der Nähe ist, ehe er sie sich näher ansah. Das Tuch aus Leinen, in welches das Gefäß eingehüllt war, wies nur an einer Stelle zwei, drei kleine Löcher auf. Ansonsten hatte es über Jahrhunderte hinweg den Inhalt geschützt. In all den Jahren, die er schon alte Häuser saniert, hat der Arbeiter noch keinen derartigen Fund gemacht. Das Interessanteste,