Siegfried, Hans Hofmann

HOO


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undurchdringlich.

      „Wo ...? Wo bleibt er? Was ist mit ihm?“, unterbrach Birne die beklemmende Stille.

      „Wieso taucht Hoo nicht wieder auf?“, fragte sich Mucks.

      Ihren Gesichtern war es deutlich anzusehen, dass sie sich arge Sorgen machten. Es war ihnen kurz zuvor nicht entgangen, wie geschwächt Hoo sich fühlen musste, als er sich langsam auf den Käppirand zubewegte.

      Nun robbten sie beide an die Stelle, wo Hoo vom Käppi gesprungen war. Bekümmert guckten sie hinab auf die glatte Wasseroberfläche.

      „Oh, oh, oh, gütiger Himmel, nein! Ihm wird doch nichts zugestoßen sein?“, piepste Birne verängstigt. Sie erschauderte. Ihr piepsiges Stimmchen zitterte bei den Worten, die sie eigentlich gar nicht aussprechen wollte: „Ist Hoo, ähm, ist Hoo etwa ertrunken?“

      „Gigigig!“, meldete sich nun Gechtur. „Schwimmen hat er doch gelernt, in seiner Wolkenschule, himmelwärts entfernt. Tauchen ist wohl nicht so leicht, schließlich ist‘s hier drin nicht seicht!“

      Einerseits zeigte auch er sich ernsthaft um Hoos Abtauchen besorgt. Andererseits aber beschlich ihn das untrügliche Gefühl, dass Hoo einen sehr wichtigen Grund zu haben schien, nicht so schnell wieder aufzutauchen.

      Irgendetwas führt der Hoo im Schilde. Nur, was? Ich bin noch nicht im Bilde, rumorte es in seinen Gedanken. Deswegen fügte er vorausahnend und aufmunternd hinzu: „Abtauchen, und uns jetzt verlassen? Nein, das hat Hoo nicht im Sinn. Bestimmt sitzt er cool und voll gelassen irgendwo da unten drin!“

      Dennoch hüpfte er jetzt sichtlich angespannt und in kurzen Sprüngen die etwas glitschige Umrandung der Tränke entlang. Dabei stieß er laute „Kix“-Rufe aus. Die arg bekümmerten Blattläuse hielten sich am fedrigen Käppirand fest. Sie waren völlig durcheinander. Die Adrenalinausschüttung, die Hoo durch sein spurloses Verschwinden so plötzlich in ihnen ausgelöst hatte, ließ ihre winzigen Herzen wie wild pochen. Drei Augenpaare schweiften nun unablässig über das stille, dunkle Wasser.

      WAS SIE NICHT WISSEN KONNTEN WAR, dass die angenehme Wärme und Beschaffenheit des Wassers für Hoo ein wahres Lebenselixier bedeutete. So vermochte er darin sein körperlich geschwächtes Befinden voll wiederherzustellen. Und nicht nur das! Die Wassergüte war so hervorragend, dass sie ihm erstaunliche, ja sogar magische Fähigkeiten angedeihen ließ.

      Nach seinem kühnen Sprung von Gechturs Käppi tauchte er bis auf den Grund des Bassins hinab. Sogleich verzauberte ihn die wohltuende Temperatur des klaren Wassers. Die so lang entbehrte Feuchtigkeit wirkte auf seine schon merklich ausgemergelte Haut wie ein Revitalisierungsbad.

      Wie belebender Balsam, von seinem vertrauten Element gänzlich umschmiegt, sog er die frische, stärkende und anregende Energie in sich auf. Voller Freude vollzog er in der Tiefe der Tränke tänzelnde, rollende Wirbelbewegungen. Wie ein Kreisel drehte er sich vielmals um sich selbst. Dabei fühlte Hoo eine unermessliche, energetisierende, ja heilende Kraft in sich aufsteigen. Eine Kraft, wie er sie nicht einmal während der Schwimm- und Tauchkurse, Reinigungswaschungen, Wellnessbehandlungen und anderer Wassertropfenveranstaltungen auf der weißen Sommerwolke in der Wolkenschule verspürt hatte. Endlich! Endlich konnte er alle Zellen seines Körpers mit frischer, lebenswichtiger Wasserkraft versorgen. Wie sehr hatte ihm diese essenzielle, ja elektromagnetische Runderneuerung gefehlt!

      Hoo genoss seinen Tauchgang in vollen Zügen. Völlig unbeschwert und losgelöst ließ er die geheimnisvolle Wandlung, des auf ihn einwirkenden, heilkräftigen Wassers mit sich geschehen.

      Entspannt schaute er zu, wie immer wieder kleinste Luftbläschen aus seinen leicht geöffneten Lippen perlten und langsam an die Oberfläche stiegen. Von dort durchflutete weiches Sonnenlicht das in harmonisierendem Grün leuchtende, ruhige, klare Wasser. Wie seidene Schleier schimmerten die Strahlen bis zu seinem stillen Aufenthaltsort hinunter.

      Ach du liebe Wasseruhr, kam es ihm plötzlich in den Sinn. Vor lauter revitalisierendem Wellnessbad hatte er gänzlich die irdische Zeit vergessen. Sicherlich waren seine drei Freunde schon sehr um ihn in Sorge!

      Oh, du heilkräftiges Wasser! Höchste Zeit, aufzutauchen, riet ihm sein Gewissen. Eine Welle von Adrenalin schwappte durch seinen Körper. „Jetzt bin ich mit allen energetischen Wassern gewaschen und meine Freunde sind vielleicht schon fort ...? Könnte es sein, dass Gechtur mit Birne und Mucks ohne mich weitergereist ist? Nein, nein, die warten, die wollten sich erst Futter besorgen. Warten? Oje, die suchen mich, die schwitzen Blut und Wasser! Himmel und Hölle! Sie könnten annehmen, ich wäre untergegangen! Heiliger Schutzengel, nein! Wie lange bin ich denn schon hier unten?“, phantasierte und redete er mit sich selbst, als habe er literweise Quasselwasser getrunken.

      Augenblicklich setzte er seinen wirren Vorstellungen ein Ende. Ohne sich noch weiter den Kopf darüber zu zermartern, was wie oder wie was sein könnte, sauste er mit rasanter Beschleunigung als erstarkter Powertropfen aus der lautlosen Tiefe der Tränke durch das wohlige Wasser nach oben ins Licht.

      „Sssswuschschsch!“, schnellte Hoo wie ein mit Luft gefüllter Ball, den man unter Wasser gedrückt und plötzlich losgelassen hatte, in der Mitte des Bassins an die Oberfläche. Ein zufällig vorbei gaukelnder Großer Schillerfalter konnte ihm gerade noch ausweichen.

      „Spinnst du?“, schimpfte dieser völlig verblüfft. Seine beiden großen, rot eingeschlossenen Augenflecke auf der Oberseite der Hinterflügel blitzten kurz hintereinander hell auf. „Du hast sie wohl nicht alle?“ Mit den Flügeln auf der Stelle fächelnd, zeigte der heimische Falter dem in die Höhe preschenden, dicken Regentropfen verärgert einen Vogel. Was ihn an dem ganzen Vorfall sehr verwunderte, war, dass der absonderliche Regentropfen nicht wie gewöhnlich von oben nach unten, sondern in genau umgekehrter Richtung daher sauste?

      „Oh, entschuldige bitte, schöner Schmetterling. Ganz sicher war das nicht meine Absicht“, rief Hoo dem erschrockenen Gaukler im Vorbeibrausen freundlich zu. „Ich wünsch dir noch einen angenehmen Tag!“

      Entrüstet und nachdenklich vor sich hin plappernd, flatterte der Edelfalter weiter seines Weges. Als er aus dem schattigen Milieu des hohen Eichenbaummethusalems hinausflog, schillerten seine Flügelspitzen blauviolett im Sonnenlicht.

      Erst knapp unter den gekrümmten, weit verzweigten Ästen der mächtigen Eiche wurde Hoos Senkrechtflug durch die Anziehungskraft der Erde auf seinen Körper abgebremst. Eiligst blickte er nach unten. Ein Gefühl höchster Freude erfüllte ihn, als er Gechtur, mit Birne und Mucks auf seinem roten Käppi, am Beckenrand sitzen sah.

      „Hallöchen, da bin ich wieder!“, konnte er ihnen gerade noch winkend zujubeln, bevor er mit Karacho ins bewegte Nass zurückplatschte. Es spritzte mächtig hoch. Hoo verschwand unumgänglich noch einmal im dunklen Wasser der Tränke.

      Die plötzliche, spektakuläre Wiederkehr ihres Regentropfenfreundes kam für Gechtur und die Blattläuse völlig unerwartet. Total baff stand allen Dreien das pure Staunen im Gesicht. Nach so langem Warten auf ein Lebenszeichen von Hoo, vergeblichen Suchens und Schauens, war ihnen ja nur noch ein klitzeklammheimlicher Hoffnungsschimmer geblieben. Mit freudig klopfenden Herzen starrten sie nun wie gebannt auf die Stelle des nochmaligen Eintauchens.

      „Schwupps!“ da tauchte Hoo aus den Fluten auch schon wieder auf. Energiegeladen patschte er mit seinen Händen aufs Wasser und paddelte flink auf seine drei sprachlos dreinblickenden Freunde zu.

      „Ach, du liebe Zeit! Gütiger Himmel – und Hallo erstmal. Bin ich froh, dass ihr noch hier seid“, schlabberte er ihnen, seinen Mund halb unter Wasser, zu. Mit einem glückseligen Lächeln auf den Lippen rollte er sich, nahe an der Beckenumrandung und direkt vor ihnen, lässig auf seinen aalglatten Rücken. Er befand sich in bester Erzählerlaune!

      „Bitte, bitte, liebe Freunde, Gechtur, Birne, Mucks. Könnt ihr mir noch mal verzeihen? Ich weiß nicht, wie lange ich mich da unten aufgehalten habe. Ich kann euch nur sagen – es ist fantastisch! Dieses Wasser ist ein wahrer Jungbrunnen, der absolute Kick! Ich habe meine Körperzellen frisch aufgetankt und fühle mich durch das ganzheitlich reinigende Wellnessbad wie neugeboren. Topfit! Ich bin ein fast vollkommener Tropfen. Seht nur, wie makellos meine Wasserhaut schimmert! Wie