Silke May

Schwarze Lilien


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      Gunter verließ den Raum und Jasmin zog den dicken Wälzer aus dem Bücherregal. Sie setzte sich wieder zurück auf das Sofa und las in dem großen schweren Buch, das sie auf ihre Schenkel gelegt hatte.

      Gunter betrat inzwischen das Kellergewölbe und öffnete mit einem großen schmiedeeisernen Schlüssel die schwere Holztür. Er betrat den Raum und schaltete die diffuse Beleuchtung ein. Seine Augen strahlten, als er die samtig schimmernden schwarzen Lilien sah. Mit ihrer Zucht war ihm ein Meisterwerk gelungen. Tief sog er den von ihnen ausströmenden Duft in sich und lächelte dabei sehr zufrieden.

      Er holte aus seiner Hosentasche einen kleinen Schlüssel und öffnete damit einen massiven kleinen Wandschrank am Ende des Zimmers.

      Er entnahm eines der darin befindlichen Fläschchen und tröpfelte mit einer Pipette, nur wenige Tropfen der Flüssigkeit in die Erde. Während er diese Prozedur in allen Blumentöpfen wiederholte, summte er leise vor sich hin.

      Er stellte die behandelten Lilien auf einen schmalen fahrbaren Tisch und schob diesen in eine dunkle Kammer, der durch das Licht einer Petroleumlampe schwach erhellt wurde. Gunter verließ den Raum, schloss die Tür und pflanzte erneut kleine zarte Pflänzchen in größere Töpfe. Sehr zufrieden verließ er das Gewölbe und ging wieder nach oben in den Wohnbereich. Sorgfältig wusch er sich im Badezimmer die Hände, bevor er wieder zu Jasmin in den Salon ging.

      Jasmin saß immer noch auf dem Sofa und war in die Familienchronik vertieft. Gunter betrat den Salon und lächelte sie an, als seine Frau zu ihm aufsah. Er strich ihr sanft über den Nacken. »Steigt dir schon die Gänsehaut hoch?«

      Jasmin lächelte ihn an. »Ja …, aber nur wegen deiner Berührung. Du hast nämlich kalte Hände mein Schatz.« Gunter nahm ihr das dicke Ahnenbuch von den Schenkeln und legte es auf den gegenüberliegenden Tisch.

      »Dann wirst du mich aufwärmen müssen, mein Engel.« Er warf sich neben sie auf das Sofa und umarmte sie stürmisch. Jasmin lachte laut auf und schob ihn scherzend von sich. Gunter entlockte Jasmin einen innigen Kuss, als die Zimmertür leise geöffnet wurde und Hannes der Diener das Zimmer betrat.

      »Entschuldigen Sie die Störung. Ich muss nur kurz frisches Holz im Kamin nachlegen.«

      »Danke Hannes. Übrigens brauchen wir Sie heute nicht mehr, Sie können sich zurückziehen.«

      Gunter zog seine junge Frau vom Sofa hoch und schob sie vor sich her – in ihr gemeinsames Schlafzimmer.

      Mitten im Zimmer stand ein großes massives Bett aus dunkelrotem Padouk Holz, wie das ganze Mobiliar in diesem Zimmer. Auf einem Sideboard stand eine weiße Keramikvase mit drei schwarzen Lilien. Ihr schwerer Duft hing wie eine Wolke im Zimmer. Zärtlich führte Gunter seine Frau zum Bett und sie legten sich in die weichen Kissen. Jasmin sog den Duft der Blüte tief in sich ein und gab sich Gunter voll Leidenschaft hin. Gunter küsste ihren nackten Körper, seine Lippen berührten ihren Hals. Jasmin spürte, wie sich ihr die Härchen auf der Haut vor Erregung aufstellten. Seine Hände liebkosten ihren Körper und seine Küsse wurden fordernder. Seine Berührungen noch leidenschaftlicher. Ihr Körper bebte vor innerer Erregung. In ihrem Körper war nur noch pochendes Verlangen, während sie ihren Körper fest an ihn drückte. Gunter legte seine Hände an ihre Hüften und zog sie an sich. Vor ihren geschlossenen Augen tanzten bereits bunte Lichter. Jasmin durchfuhr ein Feuerwerk der Gefühle.

      Sie lagen eng umschlungen in den Kissen bis Gunter sich aus dem Bett wälzte. »Ich muss mich um eine neue Hausdame kümmern und du bist sicherlich hungrig?« Jasmin nickte und stieg aus dem Bett. Sie zog ihre Kleider wieder an.

      »Muss ich wieder allein Essen?«, fragte sie trotzig. Seit sie bei Gunter wohnte, konnte sie die gemeinsamen Mahlzeiten an ihren Fingern abzählen. Gunter gab ihr einen Klaps auf den Po.

      »Warum fragst du mich? Du weißt genau, dass ich meine Speisen nebenbei bei meinen Lilien zu mir nehme.«

      »Okay … ich dachte nur, dass es schön wäre, wenn wir wieder einmal zusammen speisen würden.« Gunter strich seiner Frau kurz über die Wange.

      »Vielleicht morgen, mein Engel.« Sie wusste genau, dass es wieder nur eine seiner täglichen Ausflüchte war. Wenn sie ihn nicht so sehr lieben würde, dann hätte sie sicher schon dagegen aufbegehrt, aber sie war ihm in ihrer Liebe willenlos ausgeliefert.

      Jasmin betrat die Küche und bereitet sich einen kleinen Imbiss aus Salat und Toast. Sie setzte sich auf die Eckbank und verzehrte langsam ihren Salat, währenddessen ließ sie ihre Blicke durch die Küche schweifen.

      Die gemütliche Eckbank war mit Blüten bedruckten Polstern ausgestattet. Alles war aus heller Eiche, der Tisch und das gesamte Küchenmobiliar. Hier nahm Hannes, der sich um die Stallungen und den Park kümmerte, sowie die Hausdamen immer ihre Mahlzeiten ein. Jasmin fühlte sich erstaunlicherweise in diesem Raum wohler, als in den feudalen herrschaftlichen Räumlichkeiten. Sie saß bereits eine geraume Zeit in der Küche und atmete tief durch. Es war der einzige Raum ohne Lilien. Jasmin genoss den Geruch der Kräuter, die am Fensterbrett standen. Sie nahm in der Küche immer ihre Mahlzeiten ein, nachdem sie überwiegend ohne Gunter ihr Essen zu sich nehmen musste. Für sie war es aber auch der einzige Raum, indem sie im Einklang mit sich selbst sein konnte. Jasmin dachte an ihre Freundin, die sie seit einem halben Jahr nicht mehr gesehen hatte. Leichte Wehmut stieg in ihr hoch, als sie an Barbara dachte und wie viel Spaß sie immer hatten. Plötzlich kam ihr die Idee, ihre Freundin anzurufen. Barbara stand auf und ging in den Korridor, der mit schweren Teppichen ausgelegt war. Zwei große massive Truhen standen an beiden Seiten des Korridors, auf denen wie in allen anderen Räumen, Vasen mit Lilien standen. Schwer hing der Duft der Blüten im schmalen Korridor. Jasmin ging bis zum Ende des Ganges und blieb stehen. Sie sah zum Telefon an der Wand. Jasmin schaute es an und überlegte, dann ging sie jedoch weiter in den gelben Salon. Sie setzte sich auf das Sofa und blätterte weiter im Buch der Ahnen.

      »Ach …, hier bist du. Wo warst du?« Jasmin legte den schweren Wälzer zur Seite und sah zu Gunter, der soeben ins Zimmer kam. »Ich war in der Küche beim Essen.«

      »Mein Engel …, ich möchte nicht, dass du in der Küche deine Speisen zu dir nimmst. Sie ist nur für das Personal … wir haben unser Speisezimmer dafür.« Langsam ging er auf sie zu und zog sie vom Sofa hoch. Er drückte sie fest an sich und hob mit dem Zeigefinger ihr Kinn an, sodass er in ihre Augen sehen konnte. Jasmin sah das Grün seiner Augen, die ihr immer noch leichtes Unbehagen einflößten. Sie glaubte sogar, dass seine Augen einen dunkleren Ausdruck annahmen. Sie hatte das erste Mal das Gefühl, dass von seinen Augen Unheimliches ausgehen würde.

      »Gunter sieh mich nicht so an, es vermittelt mir leichtes Unbehagen.« Gunter zog sie näher an sich und lächelte sie an.

      »Wenn das so ist, dann verzeih mir, das wollte ich bestimmt nicht.« Gunter küsste ihre Lippen und flüsterte ihr ins Ohr.

      »Okay, wenn du unbedingt in der Küche essen willst, dann mach es. Ansonsten möchte ich aber nicht, dass du dich in der Küche aufhältst.«

      »Natürlich, wenn du das wünscht. Weißt du, die Küche erinnert mich an daheim und dann schmeckt es mir besonders gut, auch wenn ich allein essen muss.« Gunter nickte und küsste sie zärtlich.

      »Ist gut, aber du weißt Bescheid.« Jasmin umarmte ihn und drückte sich fest an ihn, Gunter jedoch befreite sich aus ihrer Umarmung und schob sie von sich. Er warf ihr noch einen kurzen Blick zu, dann drehte er sich weg und verließ das Zimmer.

      Jasmin setzte sich erneut auf das Sofa und blätterte in dem dicken Wälzer. Die Seiten über seine Urgroßeltern und Großeltern hatte sie bereits gelesen. Die Männer des Adels hatten alle eines gemeinsam, sie alle hatten viele Frauen, bevor sie heirateten. Sie bekamen alle einen Sohn von ihren auserwählten Frauen, noch vor ihrer Hochzeit und sonst keine weiteren Kinder. Nur sein Vater machte eine Ausnahme, er heiratete, bevor seine Frau schwanger wurde. Die Liebe zur schwarzen Lilie zog sich ausnahmslos bis heute durch die ganze Ahnengalerie. Jasmin schmunzelte vor sich hin, als sie dabei an Gunter dachte. Sie stellte das Ahnenbuch zurück in das Wandregal und ging zum Fenster. Sie sah hinunter zum Springbrunnen im Park, der direkt gegenüber von ihrem Fenster