Gerstäcker Friedrich

In Amerika


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Zweck getan hätte. Er war Arzt in Cincinnati, trieb einen einträglichen Handel mit Patentmedizinen und hatte stets ein paar außerordentliche Kuren an der Hand, gegen die er unfehlbare Mittel wusste. Ob sie unfehlbar waren, blieb allerdings die Frage, aber Bill Taylor schien nicht der Mann, dadurch in Verlegenheit zu geraten. Sein scharfes graues Auge schweifte fortwährend, nicht etwa scheu, doch stets spekulierend umher; er sah alles, was um ihn her vorging; er studierte jeden Menschen, mit dem er in Berührung kam, und war dieser zu irgendetwas für ihn zu verwenden, so ließ er auch nicht nach, bis er es aus ihm heraus hatte.

       Nur zu Fortmann hielt er sich nicht in dieser Absicht. Er hatte ihn bald durchschaut – und nichts war leichter – dass er ein braver, ehrlicher Kerl sei und kein Falsch in sich trage, und da er auch oft mit den Gerichten zu tun bekam, so schloss er sich ihm bald in freundschaftlicher Weise an. Fortmann dagegen amüsierte der spekulative, nie ruhende Geist des Mannes, und da der Doktor oft nach Covington kam, oder er auch häufig drüben in Cincinnati zu tun hatte, so trafen sie so jede Woche ein paar Mal zusammen.

       Nur in Politik waren sie nicht einerlei Meinung, aber das schadete nichts und würzte eher die Unterhaltung. Fortmann war auch viel zu gutmütig, um es je zu einem wirklichen Streit kommen zu lassen.

       „Well, Fortmann“, sagte der Yankee-Doktor, als sie die Straße betraten, „Gott sei Dank, dass wir wieder im Freien sind, denn dieser äthiopische Geruch fing mir an, den Atem zu versetzen. Wie gefällt Ihnen übrigens die Art und Weise, in welcher die Nigger einen Verein beschließen? Heh? Parlamentarisch, nicht wahr? Aber jedenfalls praktisch, denn sie verbinden das Nützliche mit dem Angenehmen, hehehe! – Und die Bande soll in den Kongress wählen dürfen.“

       „Und finden Sie in dem Betragen dieser armen Teufel etwas Außerordentliches?“, fragte ihn Fortmann. „Es ist von Natur ein sorgloses, leichtfertiges Volk, sonst hätte es auch nicht die langen Jahre hindurch die drückende, ja zermalmende Last der Sklaverei ertragen. Jetzt aber sind ihm kaum die Fesseln abgenommen, und es springt in so übermütiger Freude in das neu begonnene Leben hinein, als ob es von jetzt ab für sie nur eine ununterbrochene Reihe von Feiertagen gäbe. Und doch sollen diese Menschen von dem heutigen Tage an etwas tun, was sie in ihrem ganzen Leben noch nicht gekannt: nämlich für sich selber und ihre Familien sorgen und nützliche Mitglieder der menschlichen Gesellschaft werden. Eben deshalb aber liegt etwas tief Ergreifendes in der eben gesehenen Szene.“

       „Etwas Ergreifendes?“, lachte der Doktor. „Vielleicht der Tanz?“

       „Selbst der Tanz gehört dazu“, erwiderte Fortmann, mit dem Kopfe nickend. „Nehmen Sie aber den Zweck ihrer Zusammenkunft, den ersten Antrag, durch den die Neger bewogen werden sollen, sich und ihren Familien nur erst einmal einen N a m e n zu geben. Sie beginnen damit im wahren Sinne des Worts erst ihre bürgerliche Existenz, denn die altgriechischen oder römischen Namen, die ihnen früher von ihren Herren beigelegt und aufgezwungen wurden, waren nicht viel mehr als Nummern oder Bezeichnungen, wie man sie auch Hunden oder Pferden gibt. Familiennamen existierten gar nicht und deshalb treten sie auch erst mit diesem Schritt in wirkliche Familienbande ein, die kein Mensch mit einer lichteren Hautfarbe mehr das Recht hat zu trennen.“

       „Mein lieber Fortmann“, sagte der Doktor, „Sie sind ein Schwärmer, und wenn ich aufrichtig sein soll, so glaube ich, dass sich die Schwarzen früher in ihrer Sklaverei viel wohler befunden haben, als sie sich fortan befinden werden. Jedenfalls haben sich die Staaten mit ihnen eine furchtbare Rute für die Zukunft aufgebunden.“

       „Das Letztere mag sein“, nickte ihm Fortmann zu, „es ist das aber nur ,der Fluch der bösen Tat’ – die Strafe für den früher begangenen Menschenraub, der jetzt dies schöne Land mit einer nicht dahin gehörenden und, wie ich selber gern zugestehen will, im Ganzen auch unangenehmen Menschenrasse überschwemmt. Ich begreife nur nicht, wie Sie, als entschiedener Nordländer, noch der Sklaverei das Wort reden können.“

       „Das begreifen Sie nicht?“, sagte Taylor. „Und doch leben noch Tausende und Tausende im Norden, die genau so wie ich denken.“

       „Die aber der Krieg hoffentlich bekehrt hat.“

       „Weit gefehlt, sondern die sehr bedauern, dass so viel wertvolles Blut einer so wertlosen Sache wegen geflossen ist.“

       „Wertlosen Sache wegen!“, sagte Fortmann ungeduldig. „Taylor, es ist mit Ihnen wirklich nicht darüber zu streiten, aber der zweite Gegenstand der Besprechung schlägt alle Ihre Einwürfe gründlich zu Boden.“

       „Und der war?“

       „Diese freed man’s Bureaus, die den unglücklichen Eltern Gelegenheit geben sollen, zu erfragen, wo ihre weggeführten Kinder – den Kindern, wo ihre Eltern und Geschwister geblieben sind, welche nichtswürdige Händler fortgeschleppt, um zwanzig oder fünfzig Dollar an ihnen zu verdienen, während sie den einzelnen Familienmitgliedern kaltblütig und lachend die Herzen brachen.“

       „Sind Sie Dichter, Fortmann?“, frug ihn der Freund und sah ihn dabei lächelnd von der Seite an.

       „Ich? Nein“, sagte dieser, ziemlich ernst mit dem Kopf schüttelnd, „in dieser Sache braucht man aber wahrlich keine Poesie, um ihr einen höchst tragischen Ausdruck zu geben. Jedes unglückliche, verkaufte Negerkind ist ein Schmähgedicht auf die Bildung und Zivilisation der Weißen, und gerade dieser nichtswürdige Handel hat den Süden bis in den Grund und Boden hinein demoralisiert.“

       „Sie übertreiben, Freund.“

       „Wenn Sie wie ich“, rief Fortmann im Eifer, „Zeuge gewesen wären, wie junge, gebildete Damen in New Orleans und aus den besten Familien in meiner Gegenwart selber über die ,Zucht der Sklaven’ sprachen und ohne Scheu und Scham von einer jungen Mulattin offen erklärten, dass sie nichts wert wäre, da sie ,would not breed well’60, dann würden auch Sie mir Recht geben. Pfui Teufel über diese Southerner gentlemen and ladies, und besonders die Letzteren. Ich habe eine wahre Wut auf sie bekommen.“

       „Sie müssen bedenken“, sagte Taylor, „dass der Süden den Neger nie als vollberechtigten Menschen anerkannt hat, sondern ihn eher als einen Übergang vom Tier zum Menschen betrachtet, wobei er diese Übergangsperiode benutzt, um denselben sich dienstbar zu machen.“

       „Und finden Sie das nicht nichtswürdig?“

       Taylor zuckte mit den Achseln. „Solch ein Glauben“, sagte er, „kommt bei verschiedenen Volksstämmen vor, und sogar selbst unter Ihren Landsleuten. So habe ich da drüben in meinem Haus einen etwas schmächtigen Landsmann von Ihnen, aber noch in den besten Jahren, der vollkommen davon überzeugt ist, dass sämtliche Menschen von dem Geschlecht der Vögel abstammen. Ja, er versicherte mir sogar eines Tages, als er sich nicht ganz wohl fühlte, dass er selber in der ,Mauser sei’.“

       „Das ist ja eine Vogelkrankheit“, lachte Fortmann.

       „Ja, jetzt weiß ich das auch“, erwiderte der Doktor, „denn ich habe mich später danach bei anderen Deutschen erkundigt, da mir das Wort noch nicht vorgekommen war. Anfang begriff ich ihn aber gar nicht, und es brauchte lange Zeit, bis wir uns miteinander verständigten. Erst als ich hinter seine tollen Schrullen kam, gelang es mir auch, indem ich darauf einging, ihn zu heilen – er ist rein verrückt.“

       „Ein Deutscher ist es, sagen Sie?“ frug Fortmann.

       „Allerdings“, erwiderte der Doktor, „und Sie kennen ihn gewiss; er macht ein bedeutendes Geschäft mit fremden Vögeln, europäischen, besonders aber auch Papageien und anderen gefiederten Bewohnern der Tropen, und hat dafür eine Menge von Leuten angestellt, die ihm nordamerikanische Vögel, besonders aus Louisiana die Mockingbirds oder Spottvögel, kleine Perroquets61, Kardinäle, blaue Häher und eine Masse von anderen einfangen, die er dann wieder seinerseits nach Deutschland schickt. Ich weiß, dass er schon ganz bedeutende Summen für besondere Vögel bekommen hat.“

       „Sie meinen meinen Landsmann, Herrn Schultze“, lächelte Fortmann, „ich kenne ihn; aber wenn es so ist, wie Sie sagen, so scheint er doch nicht ganz verrückt zu sein und wenigstens seinen Vorteil im Auge zu haben.“