Brockenhexe

Die Pyramide.


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sagte er und blickte mich traurig an. „Was glaubst Du, was mich das alles mitgenommen hat? Der Tod von Marianne, die Beerdigung. Die vorangegangene Obduktion. Dann die vielen Verhöre. Ich weiß, dass Du es nicht getan hast. Die Kripo weiß das nicht. Sie glaubt, Du warst es. Was meinst Du zählt mehr, mein Wissen oder deren Glaube?“

      Er hatte wieder einmal recht und ich war plötzlich sehr unsicher. Am liebsten hätte ich mich in seine Arme geworden und mich von ihm streicheln und trösten lassen. Aber der Wärter machte schon wieder eine Abwehrbewegung und ich ließ resigniert den Kopf sinken.

      „Lass Kluge mit dem Staatsanwalt reden. Fünf Jahre sind im Endeffekt besser als fünfzehn.“ Er redete beschwörend auf mich ein.

      „Mark hat akzeptiert, dass er diese fantastischen Verbindungen von Kluge nicht hat. Er nimmt es Dir nicht übel, wenn Du ihn entlässt.“

      Sein liebevoller, besorgter Blick ruhte auf mir, und ich nickte weinend. Fünf Jahre ohne ihn! Ich war verzweifelt.

      „Ich warte auf Dich,“ sagte die weiche, warme Stimme, die ich so liebte.

      „Betrachte es als Prüfung.“

      „Zeit ist um“, kam es schneidend aus der Ecke des Wärters.

      „Komm bald wieder“; flehte ich, und er nahm trotz Wärter meine Hand in seine beiden Hände.

      Ich sah mich noch einmal um, als ich durch die Tür geschoben wurde. Er stand mitten im Raum und warf mir eine Kusshand zu. Ich vertraute ihm, so wie ich es immer getan hatte. Wenn er glaubte, dass Kluge das Beste für mich herausschlagen würde, dann war es richtig.

      *****

      „Schnell“, rief Ännchen. „Sonntags gibt´s immer Kuchen, und der Kaffee ist noch heiß“ Sonntag! Ich wusste nicht einmal mehr, welcher Wochentag gerade war. Der Kaffee war plürrig, aber der Streuselkuchen war frisch. Jochen war da gewesen, es war Sonntag, und ich empfand unsere Zweisamkeit in der Zelle plötzlich als ausgesprochen gemütlich. Ännchen bemutterte mich. Sie nahm an meinem Schicksal Anteil, und obwohl sie eine einfache Frau und noch dazu eine Giftmörderin war und ich eine Hotelmanagerin, die den Umgang mit den sogenannten „feinen Leuten“ gewohnt war, begann ich, ihr in dieser schlecht gelüfteten Zelle meine Geschichte zu erzählen.

       Kapitel III

      Es ist jetzt ungefähr ein Jahr her“, begann ich, „da flog ich mit einem Freund nach Mallorca.“

      „War das Jochen?“ fragte Ännchen eifrig.

      „Nein,“ sagte ich, „er heißt Kurt, von mir Kurti genannt.“

      „Wo ist denn Kurti heute?“ Ännchen war ob meines Männerverschleißes ganz erregt.

      „Ich nehme an, er lebt noch in Hannover“.

      Zum ersten Mal seit vielen Monaten dachte ich wieder an Kurti. Ich hatte lange nichts von ihm gehört. Früher hätte ich ihn in einer so schwierigen Situation angerufen, und er wäre gekommen, um mir zu helfen.

      „Vielleicht hat er inzwischen geheiratet“.

      Das konnte ich mir allerdings gar nicht vorstellen.

      „Also, unsere Beziehung war so, dass wir zwei Einzelzimmer buchten,“ erläuterte ich ihr.

      „Du meinst,“ fragte Ännchen erstaunt, „Du fährst mit einem Mann in Urlaub, und der will nichts von Dir?“

      „So ist es,“ bekräftigte ich. „Er hatte gerade keine Freundin, ich keinen Freund; er hatte viel gearbeitet, ich hatte viel gearbeitet. Wir waren beide erschöpft und wollten einfach nur faulenzen. Da bot es sich an, dass wir das gemeinsam taten, oder?“

      „Kann ich mir gar nicht vorstellen, ein Mann ohne Hintergedanken!“

      Ännchen schüttelte den Kopf.

      „Na, ja,“ gab ich zu, „wir haben es in einer schwachen Stunde einmal versucht, aber es war ein Flop.“

      „Du meinst,“ fragte Ännchen, „nix Schwanz hoch?“

      Sie kugelte sich vor Lachen.

      „Ich war nicht sein Typ“, sagte ich. „Er schwärmte für Frauen mit breiten Hüften. Dann kriegte er richtig glänzende Augen. Ich habe ihm einmal gesagt: `lieber Himmel, die Frau hat eine Figur wie eine Bratsche,` Und Kurti sagte: `Du siehst, ich bin ein musikalischer Mensch`“. Wir lachten so, dass das Guckloch in der Zellentür geöffnet wurde und eine Wärterin rief, wir sollten nicht so laut sein.

      „Ich nahm das nicht so tragisch. Er ist ein netter Kerl, aber meine große Leidenschaft war er nie. Von da an waren wir einfach Kameraden und haben nicht wieder über den Vorfall gesprochen.

      „Ist wahrscheinlich immer so“, sinnierte Ännchen, „wenn die Männer nicht können, reden se von Freundschaft. Oder sie warten auf besseres Wetter,“ gab sie gackernd zu bedenken.

      Ich hätte nie gedacht, dass sie so drollig sein könnte.

      *****

      Kurti und ich hatten zu Ostern eine Pauschalreise nach Pagueira gebucht, Hotel am Wasser mit Vollpension. Das Hotel war einfach, die Mahlzeiten ebenfalls. Aber es gab eine große ins Meer gebaute Sonnenterrasse mit Liegestühlen und Sonnenschirmen und nebendran eine kleine Sandbucht. Jeden Morgen deponierten wir noch vor dem Frühstück ein Handtuch auf eine der Liegen, die wir dann nach dem Frühstück bezogen. Wir schmierten uns mit Sonnenöl ein und streckten alle Viere von uns.

      Ich war zu der Zeit Oberschwester auf der Station Inneres des Universitäts-Klinikums in Hannover, und Kurti leitete die Abteilung Rechnungswesen in der Tochterfirma eines großen Konzerns. Wir hatten wenig Zeit uns zu entspannen. Bei Kurti waren es Überstunden und Wochenendarbeit, bei mir Überstunden und Nachtdienste. Das führte auch zu Problemen bei der jeweiligen Partnersuche, und so waren wir oft froh, dass wir uns hatten. Wir gingen zusammen ins Theater oder ins Restaurant, wenn wir zufällig einmal zum gleichen Zeitpunkt frei hatten.

      Juan von der Hotelbar kurvte mit vollen Tabletts zwischen den Liegestühlen umher. Kurti und ich guckten uns an: „Was hältst Du von einem Campari nach dem Frühstück?“ fragte er. Mir war alles recht, wenn es nur verrückt war. „Juan, dos Camparis“, schrieen wir auf Kommando und hielten ihm zur Bestätigung Zeige- und Mittelfinger wie ein V-Zeichen entgegen. Die Camparis wurden serviert. Inzwischen gab es niemanden mehr, der ohne ein Glas mit der roten Flüssigkeit nebst Strohhalm in der Hand in seinem Liegestuhl lag. Bis zum Mittagessen waren mindestens drei Gläser fällig. Schließlich musste man sich gegen die fremde Kost und ihre Wechselfälle absichern. Die Stimmung auf der Terrasse wurde immer besser, und ganz Mutige machten sich auf, um mit ihren Zehen vorsichtig das Wasser zu befühlen. Um diese Zeit war das Mittelmehr noch recht kühl. So wurden jedes Mal Wetten abgeschlossen, wenn jemand, vom Alkohol inspiriert den Einfall hatte, ein bisschen schwimmen zu gehen.

      Nach dem Mittagessen mussten wir uns von den Strapazen des bisherigen Tages erholen. Dann ging es auf zu einem Spaziergang in die nächste Bucht. Der Weg, oder besser ein Trampelpfad, führte über die Klippen und zeigte uns die grandiose Schönheit der Insel. Auf einigen Felsnasen gab es Landsitze, die die Sehnsucht nach Wohlstand und Reichtum in uns aufkommen ließen. Dort zu wohnen, wenigstens für ein paar Wochen im Jahr, musste der Gipfel des Glücks sein.

      „Ach,“ seufzte ich, „wo krieg ich nur ´nen reichen Mann her?“

      In der Bucht fielen wir in die nächste Strandbar ein, in der bereits ein Teil der Hotelgäste ein volles Glas vor sich stehen hatte. Diesmal war spanischer Billigsekt angesagt, ein Gesöff, dessen Konsum ich zu Hause nicht einmal erwogen hätte. Hier bestellten wir uns eine ganze Flasche, und auf dem Heimweg erstrahlte das Meer, die Felsen, die Landsitze im doppelten Glanz von Abendsonne und Champagnerperlen.

      Nach dem Abendessen im Hotel ging es ins Nachtleben. Es gab eine Reihe von Pinten in Pagueira, die die landesüblichen Getränke servierten. Die meisten waren leer.