Matthias Matussek

Sucht und Ordnung


Скачать книгу

die Kopfschmerzen sind auch weg, ich muss mir das Medikament unbedingt notieren, „Morphium“ heißt es – triumphaler Sieg unsere Pharmaindustrie über Gebrechen aller Art!

      Danach ab mit Blaulicht ins Klinikum nach Flensburg, eine Stunde später ist der Herzkatheter eingeführt und der Stent gesetzt, große Entwarnung, große Erleichterung, weil relativ schnell gehandelt wurde. Ich poste erste Fotos auf facebook, was das Hamburger Abendblatt zum Anlass nimmt, es umgehend seinen Lesern zu melden, um wie gewohnt gegen mich zu hetzen.

      Vom Arzt höre ich, dass es, da schnell gehandelt wurde, lediglich ein Schaden an der Herz-Rückwand sei. Also – weniger schlimm; Glück im Unglück – wenngleich ich damit vom Urlaub nun auch erst mal beurlaubt war.

      Dabei hatte ich gerade mal drei Wochen zuvor von einem Kardiologen (den ich wegen meiner Bio-Herzklappe, die mir vor 20 Jahren in Rio eingepflanzt wurde, regelmäßig aufsuche, und der diesbezüglich sämtliche Tests mit und an mir vorgenommen hatte) grünes Licht bekommen – alles okay! In bester Ordnung! Keinerlei Herzrhythmusauffälligkeiten! Pumperlg’sund – Pumpe pumpt, wie sie pumpen sollte...

      ...und doch lag ich nun – zusammen mit zwei nicht gerade untergewichtigen Krankenzimmernachbarn, beide Doppelwhopper vor dem Herrn: einer mit Schlafapnoe, der andere Trinker – und ich habe Glück gehabt!

      Es hätte mich auch (und gefühlt irgendwie wahrscheinlicher) ein paar Monate früher erwischen können – bei der Ersteigung des Westgipfels im syrischen Maalula; brütende Hitze, endloser Tag, senkrechte Felsen – und bei alledem und weit und breit: kein deutscher Rettungsdienst! Das Todesurteil!

      Der Schrecken sitzt mir in den Gliedern, er durchzuckt mich bis in die Zehen und die Spitzen der Haare. Und ich beschließe: Schluss mit der Qualmerei!

      Das heißt, nichts überstürzen, erst mal weniger paffen, man darf unten vor der Tür der Notaufnahme durchziehen.

      Jede einzelne Zigarette ist eine Abschiedszigarette.

      Jede schmeckt geil.

      Aufgehört – so mein Plan – wird in der Reha, die für zehn Tage später in Bad Oeynhausen angesetzt ist.

      Aber warum überhaupt aufhören?

      Die Fluppe nach dem Frühstückskaffee: unbeschreiblich!

      Die Kippe nach der Kinovorführung (also nach zweistündigem Entzug): Wahnsinn!

      Die Bahnsteig-Zigarette in Hannover, wo sich der Zwischen-Aufenthalt immer ein bisschen länger gestaltet: so belebend!

      Die Konferenzpausen-Zigarette im Hof mit Gleichgesinnten: wie dies konspirative Qualmen hier einmal mehr zusammenschmiedet!

      Die Zigarette vor dem ersten Satz; die nach dem ersten befriedigenden Absatz; und klar – die kurzen Nachdenk-Zigaretten zwischendurch; mitunter liegen da im Aschenbecher gleich zwei nebeneinander und glimmen vor sich hin und unterhalten sich darüber wie es nun wohl weiter gehen soll im Artikel, im Leben, in der Welt!

      Und – last not least – die berühmte Zigarette danach, die so manch einen zum Kettenraucher gemacht hat...

      Also seien wir ehrlich: Es gibt einfach verdammt viele gute bis sehr gute Gründe zu rauchen! Dieser shot ins Hirn! Diese Sekundenwachheit! Und natürlich ist das Geheimnis simpel: Sucht!

      Die Sucht feiert sich, wenn sie befriedigt wird. Sie tanzt. Manchmal ist sie geradezu außer sich! Jeder Zug – boah, wie hammermäßig ist das jetzt schon wieder! Ständig Geburtstag! Happy Hour! Pures Glück! Morphium!

      Apropos Morphium. Am nächsten Tag in der Klinik fragte mich diese unheimlich nette junge Schwester, ob ich denn noch Kopfschmerzen hätte. Ich so: „Ja, hat so’n bisschen zugenommen, also gestern, dieses, wie heißt das noch, dieses Morphium hat sehr gut geholfen.“

      Aber offenbar waren die Morphium-Vorräte zur Neige gegangen; sie meinte, diese Aspirin-Tablette würde auch helfen, die ich dann mit allergrößter Skepsis entgegengenommen habe, ich wiegte meinen Kopf, ob das nun klappt?

      Ich sach ma’ so: Sucht ist schön, auf Dauer allerdings bringt sie einen um – und manchmal schneller als Rainer Calmund sein Rumpsteak verdrücken kann.

      In der mir mitgegebenen Krankenhaus-Broschüre lese ich: Bereits nach einem Jahr Nikotin-Abstinenz hat sich das Risiko einer koronaren Erkrankung (so nennen wir staatlich Ungeprüften Nichtraucherexperten den Infarkt) halbiert. Und nach nur fünf Jahren Abstinenz sinkt das Schlaganfall-Risiko auf das eines Nichtrauchers...

      ...und während ich dies hier aufschreibe, fällt mir ein: einen Schlaganfall hatte ich ja bereits – vor etwa zehn Jahren! (Gott, was habe ich für einen Raubbau an meiner Gesundheit getrieben; was habe ich all die Jahre mit mir gehaust – wie ein wilder Eber!)

      Weiter im Text: Nach fünfzehn Jahren Abstinenz ist das Risiko einer koronaren Herzkrankheit in Etwa gleich gering wie bei einem lebenslangen Nichtraucher. Tja, da wäre ich dann achtzig!

      Mein Freund Hans-Magnus Enzensberger, den ich nicht nur wegen seiner Gedichte schätze, hatte einmal, als ich ihn besuchte, eine Rauchpause eingelegt – mit den Worten: „Ich will einfach mal klarstellen, wer hier Herr im Hause ist!“

      Nicht umsonst sieht er mit seinen kurzen, schneeweißen Haaren und diesen stets hellwachen Augen aus wie ein römischer Patrizier, wie Seneca, der Stoiker – ein hochbetagtes Wunder an Disziplin und Selbstbeherrschung! Denn als er das damals (vor nunmehr zehn Jahren) sagte, war er um die achtzig – und noch immer bringt er Jahr für Jahr ein Buch heraus.

      Allerdings muss man, so wie er, schon von außerordentlich stoischer Natur sein, um den ‚Kampf mit der Sucht’ (denn es ist ein Kampf als Raucher – ein täglicher Kampf!) wohldosiert und wohltemperiert zu führen. Er scheint es zu schaffen, mit acht bis zehn leichten Zigaretten – pro Tag. (Nicht ‚pro Stunde’, wie weiland bei mir – an guten Tagen...)

      Ich nicht. Ich bin, was Süchte angeht, kein Stoiker, sondern ein wilder Eber. Aber trotzdem: da will ich hin! Neunzig Jahre mindestens – wenn nicht hundertundelf! Eben, weil ich festgestellt habe, dass dieses Leben doch auch ohne Zigarette einen großen Unterhaltungswert besitzt. Und einer davon wäre die stolze Gewissheit, dass man Herr im eigenen Hause ist.

      Zurück zur Klinik: Die dortige Anti-Rauch-Aufklärung brachte mir nicht viel Neues – wenngleich die Dame, die sie leitete, recht hatte mit ihrem Mantra: Entweder ganz oder gar nicht! Mitnichten aber hat jeder von uns die Selbstdisziplin eines Seneca (der sich im Übrigen – sehr selbstbestimmt auf Neros Geheiß hin – die Pulsadern öffnete; wäre es da nicht ungleich gesünder gewesen zu rauchen?).

      Nein, die Reha war prima; die Gier nach Zigaretten wurde erstaunlich leicht von meinem Stolz über sie in Schach gehalten. Und stets aufs Neue lustig waren die fast stündlichen Begegnungen mit den vor der Klinik in der Kälte dort immer noch notorischen paffenden Teilnehmern unseres Anti-Raucher-Kurses – wie sie ihre Sucht zu kontrollieren suchten; die guckten da dann immer so... inflagranti.

      Im Übrigen, so sage ich mir, liegt man heutzutage als Nicht-Raucher voll im Trend! Man ist woke! Man gehört mit dazu! – Geradezu tröstlich für einen öffentlich-rechtlich Zwangsausgegrenzten wie meinereiner, der gern immer mal wieder unter „Verschissmus“-Verdacht steht!

      Ja, Raucher sind Ausgegrenzte in unserer Gesellschaft! Auf Flughäfen sieht man sie in diesen Glaskästen so erbärmlich ausgestellt wie die letzten Exemplare ihrer aussterbenden Spezies. Offenbar hat ihnen da jemand Futter reingestellt – so trotzig und hilflos starren sie dort, hinter den Trennglasscheiben, hinaus in diese, ihnen mittlerweile so unbarmherzig gesinnte Nichtraucherwelt. (Manchmal denke ich ernsthaft, man sollte sie von dort befreien!)

      Da fällt mir Helmut Schmidt ein. Man hätte seine Lunge mal präparieren sollen, zugunsten der Wissenschaft! Teerpappe in ihrer robustesten Form! Geeignet auch für größere Schäden an Dach und Balkon! Schmidt war auch im hohen Alter noch hellwach, unser dauerquarzender Altkanzler, und in seinen Meinungen ungebeugt und von anmutigster Rücksichtslosigkeit auf die politisch-korrekte Etikette.

      Im engen Wortsinn war Helmut Schmidt ein Junkie – der Prototyp