Stefan Koenig

Blühende Zeiten - 1989 etc.


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erbarmungslosen Invasion

      der Deutschen Mark gerechnet

      Die, die wussten, was kommen würde,

      wurden nicht gehört.

      Ihre Alternativen

      verhallten in der

      Wüste des erweiterten

      Wilden Westens

      * Gewidmet auch meinen unerschütterlichen Unterstützerinnen *

      * Alexandra & Anja *

      „Die ganze Welt besteht aus Lug und Trug!“, rief Emma in die Runde. Meine Frau empörte sich über ein Spekulationsgeschäft, das wir beide abgeschlossen hatten. Wir hatten um die Gefahr des Totalverlustes gewusst. 3.000 Mark waren flöten, immerhin ein halber Familien-Urlaub. Noch vor drei Jahren wäre es unser gesamtes Gespartes gewesen. Nun waren wir mit unserem Unternehmer-Einkommen übermütig geworden.

      Ich kramte ein beliebtes und zutreffendes Karl-Marx-Zitate aus meiner Erinnerung hervor: „Mit entsprechendem Profit wird Kapital kühn. 10 Prozent sicher, und man kann es überall anwenden; 20 Prozent, es wird lebhaft; 50 Prozent, positiv waghalsig; für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens.“

      „Das Marx-Zitat hat aber wenig mit eurer Situation zu tun. Ihr seid ja die Geschädigten“, sagte mein Bruder. „Wenn du mit deinem Kapitaleinsatz Schaden anrichten würdest, indem du übermütig wirst …“

      Ich ließ ihn nicht ausreden und räumte reumütig ein: „Ja, ja, sich auf ein Spekulationsgeschäft einzulassen, war ein Fehler. Immerhin sind wir nicht auf das »großzügige« 20.000-DM-Angebot eingegangen. Dem Broker zufolge hätten wir innerhalb von nur vier bis sechs Monaten eine Rendite von 300 Prozent erreicht.“

      „Das erschien uns aber sehr unrealistisch“, warf meine Frau ein, und an meinen Bruder gewandt: „Sag‘ mal ehrlich, Günter, wie hättest du auf solch ein Angebot reagiert?“

      Anfang Oktober letzten Jahres hatte mich in meinem Bildungsinstitut ein Anruf erreicht. „Herr Koenig, ein scheinbar wichtiger Mensch ist am Apparat. Es lässt sich nicht entlocken, was er konkret will. Er sagt, es sei existentiell, und er könne es nur mit dem Geschäftsführer persönlich bereden. Ein einmaliges Angebot.“

      Ich hatte Frau Wenzel im Zentralsekretariat der GTU gebeten, stets nur dann durchzustellen, wenn es wirklich meine Entscheidungsebene und nicht vielleicht Dozenten oder Mitarbeiter aus der ökologischen Beratungssparte betraf. Seit nunmehr fast drei Jahren war die »Gesellschaft für Umweltschutz und Technologieberatung«, die ich Mitte 1986 gegründet hatte, aktiv und regional wie überregional bekannt.

      „Na gut, dann stellen Sie ihn mir bitte durch.“

      Der gute Mann am anderen Ende der Leitung war ein Börsenbroker. Damit hatte ich am wenigsten gerechnet. Er stellte sich mit Namen und Funktion vor, berichtete über sein Börsendasein, dessen hektische Geräusche im Hintergrund herauszuhören waren. Er klang durchaus seriös, gab Informationen, ohne dass ich mich übertölpelt oder als Börsen-Depp fühlen musste. Rückfragen beantwortete er glaubwürdig, und er machte ein Superangebot.

      „Wenn Ihr Unternehmen aus seiner stillen Reserve 20.000 Mark in eine Getreideoption investiert, können Sie nach allen bisherigen Erfahrungen innerhalb der nächsten vier bis sechs Monate das Dreifache daraus machen.“

      „Wir sind eine gemeinnützige Bildungs- und Beratungseinrichtung und Spekulationsgeschäfte sind völlig ausgeschlossen.“

      „In diesem Fall biete ich es Ihnen als Privatmann an, was hier in meiner Abteilung allerdings ungern gesehen wird. Aber ich mache für Sie eine Ausnahme.“

      Wie er darauf komme, weshalb er gerade die GTU und mich ausfindig gemacht habe, weshalb er nicht selber investiere, ob er es auch seinen Freunden empfehle, um sie glücklich zu machen … So ging es hin und her. Ich hatte natürlich arge Zweifel. Er versprach mir, die offiziell gehandelten Titel per Fax zuzusenden, was auch umgehend geschah. Charts, Tabellen, Kontostände, Gewinnausschüttungen – alles war dabei, irgendwie recht beeindruckend. Ich brauchte nur zu überweisen. Aber Emmas und meine privaten Rücklagen betrugen gerade mal die Hälfte der erforderlichen Summe. Ich machte ihm klar, dass ich niemals die gesamte Rücklage in ein Börsengeschäft, das ich nicht selbst steuern könne, einbringen würde.

      „Sie können zu jedem Zeitpunkt aussteigen. Allerdings erfolgt die Auszahlung erst zum Fälligkeitszeitpunkt“, ließ mich der Broker wissen.

      „Ich investiere nur einen Probebetrag in Höhe von 1.000 DM. Wie hoch wird der Gewinn nach vier Wochen sein?“

      „Normalerweise handeln wir nicht mit einem solchen Minibetrag, aber weil Sie es sind …“

      „Was heißt: »Weil Sie es sind«? Was genau, finden Sie denn an mir so außergewöhnlich, dass Sie mir Sonderkonditionen einräumen wollen? Das macht mich, ehrlich gesagt, etwas stutzig.“

      Er erzählte mir dann, wie er auf die GTU aufmerksam geworden sei. Und es wäre doch offensichtlich, dass der technische und ökologische Umweltschutz ein Zukunftsprojekt sei, und ich als Gesellschafter und Geschäftsführer … bla bla bla. Das war haufenweise Honig ums Maul geschmiert. Aber es wirkte. Ich war bereit, weiter zuzuhören.

      „Nach jetzigem Stand des Getreidepreises erhalten sie schon nach rund einem Monat das Dreifache.“

      „Okay, dann lasse ich mich mal darauf ein.“

      Gesagt getan. Natürlich stimmte ich mich am Abend mit Emma ab. Ein Monat verging, und dann kündigte ich die Börsen-Option per Fax, um den anvisierten Gewinn aus den 1.000 investierten Mark zu realisieren.

      Der Broker meldete sich telefonisch: „Sie haben ein gutes Geschäft gemacht, gratuliere! Ihr Investment hat sich etwas mehr als verdreifacht. Ihr Konto steht bei 3.152,64 Mark!“

      „Super. Und wie kommt das Geld auf mein Privatkonto?“

      „Wir können es Ihnen sofort überweisen.“

      „Gerne. Sie haben ja meine Bankverbindung.“

      „Ja. Sie können natürlich auch gerne investiert bleiben. Das steht Ihnen offen. Wenn Sie das Investment mit 2.000 DM auffüllen, steht Ihr Getreidekonto bei rund 5.000 und wirft in den nächsten vier bis sechs Wochen 300 Prozent ab. Dann können wir Ihnen demnächst 15.000 auf Ihr Konto überweisen.“

      Am Abend hatte ich mit meiner Frau darüber gesprochen; wir wollten den Versuch wagen. Und dann, kurz vor Weihnachten, als wir den Gewinn zu realisieren gedachten, kam der Aufwachmoment. Die Getreidepreise seien unerwartet stark gefallen, leider stehe unser Börsenkonto gerade bei minus 232,58 Mark und wir müssten entweder noch abwarten oder nachschießen. Da fiel es uns wie Schuppen von den Augen.

      Und gerade jetzt, nur zwei Wochen nach der Börsen-Ernüchterung, kündigte sich mein alter WG-Kumpel Meise aus Hamburg zu Besuch an. Im Schlepptau ein Mann namens Jürgen Harksen.

      „Er ist ein ausgemachter Anlageprofi“, flötete Meise in die Muschel. Wie konnte Meise, mein gutgläubiger Künstler und Comic-Zeichner, für den Finanzen und Betriebswirtschaft immer Fremdworte aus einer Lichtjahre entfernten Galaxie waren, alleine schon das Wort Anlageprofi in den Mund nehmen?

      „Anlageprofis sind Profis in Sachen Beschiss“, sagte ich.

      „Zuhören hat noch nie geschadet“, antwortete Meise. „Wir bleiben ja nicht lange. Ich will noch meine Schwester besuchen. Harksen hat halt echt gute Angebote.“

      Wir erwarteten die beiden für die zweite Januarwoche. Emma und ich würden Harksen auf Herz und Nieren prüfen.

      Heute, am Sonntag, dem 1. Januar des neuen Jahres, saßen wir in familiärer Runde zusammen und Günter antwortete auf Emmas Frage, wie er sich bei dem Broker-Angebot verhalten hätte, mit einem Achselzucken. „Mir hätte wohl niemand ein solches Angebot