Nick Finkler

Konserviere meine Erinnerungen, Schatz


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      Nick Finkler

      Konserviere meine Erinnerungen, Schatz

      Leben als erwachsener Autist

      Dieses ebook wurde erstellt bei

      

      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       Kapitel 1 - Einleitung

       Kapitel 2 - Beziehungsweise

       Kapitel 3 - Alltägliches

       Kapitel 4 – Meine Gedankenautobahn

       Kapitel 5 - Emotionen

       Kapitel 6 - Meltdown

       Kapitel 7 – Die Säulen

       Kapitel 8 - Auffälliges

       Kapitel 9 - Liebe

       Kapitel 10 – Besser werden

       Kapitel 11 – Tod und Vergänglichkeit

       Links und Buchtipps zum Thema

       Impressum neobooks

      Kapitel 1 - Einleitung

      Blicke ich aus einem Fenster in den Sonnenaufgang, dann wird mir ganz anders. So seltsam, als stünde mir die Welt offen.

      Gehe ich in der Innenstadt spazieren und sehe ein buntes Sommerkleid, dessen Saum im Wind weht, denke ich an die Siebziger und muss lächeln.

      Höre ich das Lied Himbeereis zum Frühstück, sehe ich es als freundliche Aufforderung des Schicksals, mir dieses leckere Eis mit Himbeer-Panna Cotta wieder mal zu besorgen.

      Wenn die Leute, die ich durchs Fenster sehe, die Passanten in der Innenstadt oder die anderen Kunden im Supermarkt lachen, streiten und plaudern, höre ich nur Worthülsen. Die mein Kopf irgendwie mit Emotionen, Assoziationen und möglichen Weiterführungen der Dialoge verbinden möchte. Was nicht immer gelingt.

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       So gehe ich oft durch die aktuelle Welt

      Mein Tag endet so einseitig, wie er begonnen hat, und das ist wichtig. Denn einseitig heisst in meinem Fall: Strukturiert, geplant, hilfreich, aber immer auf dieselbe Weise. Zumindest versuche ich, dass es täglich dieselbe Weise bleibt.

      Morgens lege ich meine Kopfhörer unter mein Kissen.

      Wenn ich mich abends ins Bett lege, hole ich sie wieder darunter hervor und stöpsele sie mir in die Ohren, um wie an normalerweise jedem Abend mit selbst gewählter Berieselung einzuschlafen.

      Dass das gleich bleibt, ist für mich sehr wichtig. Wie so vieles.

      Wenn ich heute, mit Mitte 30, auf mein bisheriges Leben zurück blicke, kommt es mir nicht mehr rätselhaft vor, wie sich alles entwickelt hat. Niemand hatte es einfach mit mir. Ich selbst am wenigsten. Ich bin Rebell, Freiheitsdenker, Multikultibefürworter, Frauenfreund, Exraucher, Exfreund, Exstudent, Fleischesser, Teilzeitvegetarier, Jobhopper und seit Sommer 2018 nun auch psychologisch diagnostizierter Autist.

      Seit meiner Diagnose scheint alles noch logischer und normaler zu werden. Davor bestand mein Leben aus einem ungeordneten Haufen, aus vielen verschiedenen Fäden, die alle für sich selbst existierten, ohne einen Sinn zu ergeben. Mit dem Fundament "Hej, ich bin Autist" fügten sich viele dieser Fäden zu einem sinnvollen Netzwerk zusammen, in dem ich mich relativ ungezwungen bewegen kann. Ein neuer, nicht endender Lernprozess hat begonnen. Ich habe bereits erfahren, dass kein Autist wie der andere ist. Jeder ist einzigartig. Und doch gibt es Gemeinsamkeiten. Irgendwann, ich weiss die Quelle nicht mehr, habe ich mir folgende Beschreibung notiert und finde sie in aller Kürze recht passend:

      ''Autismus ist nicht trennbar von der Persönlichkeit eines autistischen Menschen. Autismus färbt jede Wahrnehmung. Autismus beeinflusst, wie jemand denkt, fühlt, versteht, reagiert und interagiert. Zu wünschen, der Autismus würde verschwinden, bedeutet, zu wünschen, die Person wäre jemand anderes.''

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       Selbstbewusst durch Haarfarbe und Bartwuchs

      Ich stütze mich bei dem, was ich aufschreiben werde, auf das, was ich bereits weiss, und vor allem auf das, was ich über mich selbst weiss. Ich bin Autist, laut Diagnose nach früherer Einstufung ein so genannter Asperger, aber das sagt sowohl alles als auch gar nichts. Man könnte googeln, aber es gibt nicht die eine, starre Definition davon, außer auf Wikipedia, aber auch diese sehr gute Webseite ist nicht allwissend. Ich kann nur berichten, wie es in mir aussieht, wie ich mein Leben empfinde und wie ich die Welt wahrnehme. Vielleicht versteht jemand dort draußen anhand meiner Berichte etwas besser, was Autismus ist, oder Angehörige finden anhand meiner Ausführungen etwas mehr Zugang zu den Autisten in ihrem Umfeld.

      Ich schließe nicht aus, dass dieses Buch auch von Autisten gelesen werden könnte, aber verspreche mir vor allem für Nichtautisten, die man im Fachjargon Neurotypische nennt, einen hohen Aufklärungswert.

      Zunächst vorab: Das Bild des Autisten, wie Hollywood es zeichnet, ist nur ein pauschales Abbild. Wer bei Autisten an Filme wie "Rain Man" denkt und glaubt, so wären wir alle, der liegt falsch. Es gibt einen Spruch, den ich mir seit der Diagnose eingeprägt habe, und der trifft es wohl am besten: Wenn man einen Autisten kennt, dann kennt man wie viele Autisten? Genau. Diesen einen.

      In "Rain Man" werden quasi die typischen Klischees eines Autisten in eine einzige Person projiziert. Er ist mathematisch hochbegabt, lässt sich nicht gerne anfassen, redet grundsätzlich wie ein Mensch mit geistigem Handicap, hat seine ganz bestimmten Abläufe und unumstößlichen Regeln und ist in mehreren Bereichen des Alltags betreuungsbedürftig.

      Nun muss man wissen, dass längst nicht jeder Autist ein Genie in Mathe ist. Ich ebenfalls nicht. Auch gibt es solche, die mit Berührungen zurecht kommen oder diese sogar intensiver benötigen als andere. Manche können sich klar und deutlich artikulieren, können Smalltalk praktizieren oder Reden vor Publikum halten. Und einige bestreiten ihren Lebensunterhalt völlig alleine.

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       Bewerbung, toller Job, raus gemobbt

      Die ASS, die Autismus-Spektrum-Störung, ist zum jetzigen Zeitpunkt (2019) der aktuelle Stand der Erforschung. Es gab vorher diverse Einstufungen wie meinen Asperger, der auch gerne als milde Form von Autismus bezeichnet wird, aber da die Grenzen der einzelnen Diagnosen des Öfteren fließend ineinander laufen, ist die ASS eine modernere Methode, die Wesensart