Stirn die Knöllin, dann flüsterte sie Primels Vater etwas ins Ohr. Er nickte bedächtig. Lil bekam davon nichts mit, sie war mit ihrer gesamten Konzentration bei der Nougatcreme.
„Was ist los?”, wollte Primel wissen und legte ihre halb aufgegessene Toastscheibe ab. Sie hatte auf einmal ein ganz mulmiges Gefühl. Arianna warf einen letzten Blick auf die Knollmutter, dann wandte sie sich an ihre älteste Tochter: „Vielleicht ist es dir aufgefallen Primel, aber die Knollmutter trauert. Ich bin mir ziemlich sicher, dass unser Knolljunges hier noch einen Wurfgefährten hat, um den sich die Knöllin nun sorgt. Sie muss ihr zweites Junges irgendwie verloren haben.”
Primel schluckte einen Kloß in ihrem Hals hinunter.
„Wenn wir Glück haben, ist ihr zweites Junges noch irgendwo in der Nähe”, fuhr Arianna fort. Primel sagte nichts, aber sie hatte das Unausgesprochene längst verstanden. Ihre Eltern würden gehen und das vermisste Knolljunge suchen.
Das war riskant, gehörte aber dazu, wenn man den fantastischen Tieren helfen wollte und genau das wollte ihre Mutter und auch Primel wünschte sich nichts mehr.
„Gestern Abend hat mich eure Mutter auf die Situation angesprochen”, ergriff nun ihr Vater das Wort. „Wir waren uns einig, noch den Morgen abzuwarten und die Knöllin noch einmal zu betrachten, aber der Verdacht hat sich bestätigt.”
Primel strich sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. „Und jetzt müsst ihr gehen.”
„Wir brechen gegen Mittag auf und sind bei Einbruch der Dunkelheit spätestens zurück”, versicherte Arianna.
Lil hatte den Kopf gehoben und lauschte den Worten ihrer Mutter.
„Ist gut, Mama, Priml passt auf mich auf”, meinte sie und griff mit ihrer schokoladenverschmierten Hand nach Primels. Sie schluckte alle Zweifel hinunter und nickte.
„Ja, wir kommen klar, sucht ihr nur das Knolljunge.”
Allein mit magischen Wesen
„Gut, habt ihr das soweit verstanden? Gegen drei Uhr macht ihr einmal den Rundgang. Für die Knolle ist Mais im Kühlschrank. Dann sitzt unten im Keller der alte Mäusefleder mit dem verletzten Flügel. Er braucht nur etwas Gesellschaft, ein kurzes Gespräch. Bringt ihm Staubmäuse mit, über die freut er sich. Dann im Garten in den Blumentöpfen gibt es jede Menge Blättermännchen, ihr werdet sie nicht von echten Bättern unterscheiden können, aber legt ihnen einfach einige Vogelkörner in den Topf und passt auf die Hüster auf. Sie wirren einem um die Füße herum, aber ihr Husten verrät sie und geht dann noch in den Dachboden, da wartet ...”
„... Ja, ich weiß, da wartet das brütende Regenbogenspatzenweibchen auf uns. Wir müssen ihm vor allem Orangen geben, die im Obstkorb in der Küche sind, wir haben alles verstanden Mama, mach dir keine Sorgen”, beruhigte Primel ihre Mutter, auch wenn sie selbst sich nicht halb so zuversichtlich fühlte, wie sie es vorgab zu sein.
Sie hatte noch nie alleine alle fantastischen Wesen versorgt, die ihre Mutter beherbergte und denen sie Schutz bot. Besonders der Mäusefleder im Keller jagte ihr einen Schauer über den Rücken.
Trotzdem legte sie ihrer Mutter eine Hand auf den Arm. „Findet das Knolljunge.”
Arianna nickte, ihr Vater stand schon draußen und wartete ungeduldig.
Sie hatten eine Tasche mit rohem Mais dabei, um eine Fährte zu legen, falls das Junge noch frei im Wald herumlief. Zudem trug Primels Vater einen kleinen Koffer mit Verbänden, Pflastern und allerlei Dingen zur ersten Hilfe für magische Wesen. Primel hoffte sehr, ihre Eltern würden das vermisste Knolljunge finden.
„Also, ihr wisst Bescheid. Wenn nicht, klingelt bei der Nachbarin oder fragt dem Mäusefleder, ich habe ihm oft genug alles erzählt seit er mit dem gebrochenen Flügel zu mir gekommen ist. Wir haben unsere Handys ausgeschaltet, ihr wisst schon, es gibt im Wald einige magische Wesen, die Technik verabscheuen. Und die Vogelkörner sind ...”
„... unter der Spüle”, ergänzte Primel. Arianna lächelte und legte ihren beiden Töchtern einen Arm um die Schultern. „Ihr schafft das schon. Wir sind auch nicht lange weg”, versicherte sie, dann gab Arianna erst Primel und anschließend Lil einen Kuss auf die Wange und verließ das Haus.
Primel schloss die Tür. Gemeinsam mit Lil eilte sie zum Badezimmerfenster, von welchem man einen perfekten Blick auf den nahegelegenen Wald hatte, auf den Primels Eltern nun zusteuerten. Erst als die beiden zwischen den Bäumen verschwunden waren, lösten sich Primel und Lil und gingen ins Wohnzimmer.
„Was wollen wir jetzt machen, Lil?”, fragte Primel ihre kleine Schwester und blieb unschlüssig im Raum stehen. Bis es Zeit für den Rundgang war, dauerte es noch drei Stunden.
Während Lil nach oben in ihr Zimmer verschwand, um ihre Malstifte zu holen, ließ sich Primel wieder in dem Ohrensessel nieder. Sie beobachtete die Knolle und ließ die Worte ihrer Mutter Revue passieren. Lil kam wieder herein, setzte sich auf den Boden und begann, zu malen. Es waren wilde Striche, die für Primel keinen Sinn ergaben, Lil allerdings zufrieden stellten.
Primel seufzte, dann setzte auch sie sich auf den Boden, schnappte sich einen herumliegenden Flummi und rollte ihn dem Knolljungen entgegen. Dieses quiekte erfreut auf und warf sich dem Ball entgegen, bevor es ihn mit einer Pfote hinter das Sofa beförderte.
Ein glucksendes Lachen kam aus seinem kleinen Mäulchen. Sofort war die Knollmutter da und sah Primel entschuldigend an, doch diese hob beschwichtigend die Hände.
„Schon gut”, meinte sie und machte sich daran, den Flummi hinter dem Sofa hervor zu holen. Dabei entdeckte sie gleich eine Staubmaus, die sie nachher dem Mäusefleder mitbringen konnte. Dann spielte sie eine Zeit lang mit dem Knolljungen.
Die Knöllin hatte sich zusammengerollt und schlief. Lil arbeitete konzentriert an ihren Strichen. Plötzlich hob sie den Kopf.
„Priml, ich bin fertig.“
Stolz hielt sie Primel ihr Gemälde vor die Nase. Primel setzte einen bewundernden Gesichtsausdruck auf und betrachtete das Chaos aus Strichen in grün, blau und gelb. „Schau, das ist die Fee, die gestern in meinem Zimmer war”, fuhr Lil fort.
Sie hatte den Vorfall also nicht vergessen und glaubte noch immer daran. Primel sah etwas genauer hin und tatsächlich konnte sie vage die Umrisse eines Mädchens mit Flügeln erkennen.
„Genau so sah sie aus”, meinte Lil. „Blaues Kleid mit grünem Glitzer und goldenem Haar.”
Primel nickte wissend. Sie wusste nicht, was sie darauf sagen sollte, also nahm sie ihre kleine Schwester nur an die Hand.
„Komm Lil, es ist Zeit, dass wir uns für den Rundgang vorbereiten.”
„Am liebsten mag ich die Hüster mit ihren knolligen Nasen, und wenn sie husten, klingt das wie Musik”, erzählte Lil und Primel war froh, abgelenkt zu sein. Was, wenn sie etwas falsch machte?
Sie robbte unter das Sofa und fischte noch mehr Staubmäuse hervor. Lil kroch hinter den Heizkörper, ergatterte auch einige und gemeinsam mit einem Eimer voller Staubmäuse machten sie sich auf den Weg zum Mäusefleder.
„Wann gehen wir zu den Hüstern? Priml?“, quengelte Lil und zerrte an Primels Hand.
„Erst müssen wir zum Mäusefleder, die Hüster kommen danach“, erklärte Primel geduldig, doch noch während sie es sagte, überkam sie wieder die Nervosität. Diese ganze Verantwortung…
Um irgendetwas zu tun, wischte sie ihrer Schwester etwas Staub vom Röckchen.
Der Mäusefleder
Gemeinsam stiegen die beiden Schwestern bedächtig die Kellertreppe hinunter, gespannt, was sie erwarten würde. Weder Primel noch Lil hatten den Mäusefleder schon einmal gesehen und waren froh, ihm jetzt zusammen begegnen zu dürfen.
Primel quetschte die Hand ihrer kleinen Schwester. Sie konnte