Joachim Kath

Herzkalt


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würde, zu prüfen, ob ein Name in beiden Listen auftaucht, was würde dann passieren? So ein Vergleich von rund 200 Namen von Flugpassagieren mit um die dreitausend Namen von Autobesitzern würde glatt zwei bis drei Stunden dauern. War das überhaupt realistisch? Sicherlich würden sie mir ihre Liste nicht mitgeben, auch nicht als Kopie. Außerdem wusste ich ja noch gar nicht, nach welchen Namen ich überhaupt suchte, sondern die theoretische Annahme bestand darin, dass in den beiden Verzeichnissen ein identischer Name auftauchte. Ein wahnsinniger Zufall wäre das!

      Es war ein kalkuliertes Risiko, einfach nochmals das Büro der Fluggesellschaft aufzusuchen, mit der Liste der Mercedes-Fahrer in der Hand. Wenn mir meine Bitte abgeschlagen würde, die Passagierliste durchzugehen, hätte ich kaum noch eine Chance, durch einen Trick zum Ziel zu kommen. Jedenfalls würde die Wahrscheinlichkeit minimal werden, an die Daten zu kommen. Einen Einbruch zog ich gar nicht erst in Erwägung, schon weil ich mir das selbst nicht zutraute und einen Profi zu dingen, erschien mir unmöglich, weil ich mich in diesem Milieu nicht auskannte. Trotzdem beschloss ich, wieder zum Glaspalast der Airline zu fahren, sobald der Autoverkäufer sein Versprechen eingehalten hatte. Die zwei Tage dauerten ewig und waren die Hölle.

      Als ich ihn wie vereinbart anrief, um die Zeit für unser Treffen festzulegen, dirigierte er mich zu seiner Wohnung um. Ich befürchtete schon, er wollte bluffen. Doch er hatte nur vergessen, dass es in dem ursprünglich vorgesehenen Lokal genügend Leute gab, die ihn kannten und deshalb war aus seiner Sicht eine Übergabe dort unmöglich. Ich schlug ihm vor, sich in einem Park zu treffen, weil ich ungern alleine in fremde Wohnungen gehe, doch er meinte, unter freiem Himmel wären wir nicht abgeschottet genug und irgendjemand könnte mit seinem Foto-Handy zufällig eine Aufnahme machen oder der Ort würde sowieso videoüberwacht.

      Er wohnte in einer der vornehmen Appartementhäuser auf der Ostseite von Manhattan, mit Türsteher und Marmor überall sowie zwei den Eingang flankierenden, kugelförmig zurechtgestutzten Lebensbäumchen unter einem gelben Baldachin, auf dem irgendeiner dieser hochgestochenen Namen wie Exelsior oder Pallas stand. Ich verwechsle diese international gebräuchlichen Edelbezeichnungen immer. Wahrscheinlich wissen die Bewohner solcher Residenzen auch zuweilen nicht, in welcher Stadt sie sich gerade befinden. Dann ist es natürlich praktisch, dem Taxifahrer einen dieser Begriffe zu nennen. Irgendeine Herberge der gehobenen Art wird am Ende vermutlich gefunden. So wird das Leben wenigstens ein bisschen abenteuerlich.

      „Das ist das komplette Adressenmaterial. Fotokopiert!“

      „Hatten Sie nicht gesagt, Sie wollten es auf eine DVD brennen?“

      „Ja, hatte ich, aber das hat aus technischen Gründen nicht funktioniert, weil die Daten schreibgeschützt waren!“

      „Das sind ja jetzt über hundert Blätter und die sind nicht einmal nummeriert“, sagte ich, weil ich schon die Schwierigkeiten vor Augen hatte, sie mit der Passagierliste abzugleichen.

      „Aber die Namen sind in alphabetischer Reihenfolge!“ erwiderte er.

      Der Autoverkäufer war ebenso teuer wie geschmacklos eingerichtet und tat sehr geschäftsmäßig. Er verstaute die Dollarscheine umständlich in seiner Börse. Wir verabschiedeten uns unsinnigerweise wie Leute, die sich wiedersehen.

      Als ich zu Hause war ging ich die gerade gekaufte Liste schon einmal sorgfältig durch, kannte aber niemanden. Schon nach dem ersten Drittel waren mir Zweifel durch den Kopf geschossen. Was tun, wenn der Gesuchte seinen Wagen in einer freien Werkstatt umgespritzt hatte und folglich gar nicht aufgeführt sein konnte? Was war, wenn der Junge aus Janes Klasse sich versehen hatte und weder ein Mercedes, noch eine New Yorker Autonummer gewesen war? Man weiß doch, was von Zeugenaussagen zu halten ist. Vielleicht hatte der Mann, der die Mädchen angeblich mit dem silbernen Mercedes abgeholt hatte, sowieso nichts mit Dorothys Tod und Janes Verschwinden zu tun. Der Weg zur Fluggesellschaft blieb unvermeidlich.

      „Ich habe hier eine Liste aller Besitzer von silberfarbenen Mercedeswagen, die im Staat New York gemeldet sind“, sagte ich zu dem Direktor der Airline.

      „Na und?“ fragte er.

      „Ich möchte Sie bitten, die Namen mit der Passagierliste des Fluges zu vergleichen, den meine Tochter und deren Freundin genommen haben“.

      „Warum?“ fragte er kühl und ich sah schon alle meine Hoffnungen schwinden.

      „Die beiden Mädchen sind von Klassenkameraden beobachtet worden, wie sie mehrmals von einem solchen Wagen abgeholt wurden.“

      „Ist das nicht Sache der Polizei?“ fragte er.

      „Ja, das dachte ich auch, aber die Polizei stellt die Ermittlungen ein, wenn jemand tot ist und wenn jemand verschwunden ist und es sich um einen Erwachsenen handelt, sucht sie nicht aktiv, wenn es keine Anzeichen für ein Kapitalverbrechen gibt.“

      „Passen Sie auf“, sagte er wider Erwarten. „Sie setzen sich hier in den Besprechungsraum und vergleichen selbst. Ich mache eine Ausnahme, weil ich Leute, die hartnäckig sind, mag. Aber sie dürfen nichts mitnehmen und niemand etwas davon sagen“.

      „Einverstanden!“ sagte ich erfreut.

      Nachdem ich drei Stunden lang Namen für Namen verglichen hatte, ließ meine Konzentration nach. Nichts hatte ich gefunden, was mir verdächtig erschien. Aber ich wollte noch nicht aufgeben, sondern nach einem Imbiss weiter machen. Der Direktor verständigte seine Sekretärin, mich wieder einzulassen, weil er selbst nachmittags nicht da war.

      Bei Schinkensandwich, einem Glas Milch und anschließendem Reispudding als Dessert in einer der zahlreichen Cafeterias, die sich um die Bürohochhäuser in Manhattan scharrten und deren Besitzer recht einträglich von dem Heer der Angestellten lebten, kam mir die Idee, gleich klingende Namen miteinander zu vergleichen. Denn Flugkarten werden oft telefonisch bestellt. Mir war es auch schon trotz meines einfachen Namens passiert, dass dann Cook oder Cos statt Koch auf dem Schein stand. Mein Vorname David war immer korrekt, weil die Schreibweise allgemein bekannt war.

      Euphorisch ging ich nach der Pause wieder an die Arbeit, weil mir meine Vermutung plausibel erschien. Nach ungefähr vier Stunden und kurz vor Büroschluss, hatte ich neben den Namen Brown und Miller, die todsicher dabei sind, wenn zehn US-Amerikaner sich treffen, folgende ähnlich klingende Nachnamen mit gleichen Vornamen entdeckt:

      Paul Wester und Paul Vester

      Robert Vance und Robert Fence

      Mike Harris und Mike Lavis

      Hinzu kamen noch ein Peter Brown und ein Tom Miller, die beide doppelt waren. Insgesamt fünf Männer, die ich genauer unter die Lupe nehmen musste. Im Prinzip kein Problem, denn auf der Autokäuferliste standen die Anschriften, weil sie die Adressen für ihre Werbung nutzten und die Fluggesellschaft hatte sich die Telefonnummern notiert. So ganz war ich mir über das weitere Vorgehen noch nicht klar, doch irgendwie keimte Hoffnung, es könnte einen Treffer geben.

      Als ich gerade zu Hause zur Tür hereinkam, klingelte das Telefon. Es war Judith. Sie hatte schon den ganzen Tag versucht, mich zu erreichen. Aber ich hatte mein Handy abgeschaltet, weil ich in dem Airline-Büro niemand stören wollte, vor allem aber auch, weil ich mir mehr und mehr bewusst wurde, dass es vielleicht Leute geben könnte, die von meinen Recherchen nicht sonderlich begeistert sein könnten. Und ich wollte nicht geortet werden können, wenn die möglicherweise Hacker beschäftigen oder Personen bestechen, die Zugang zu sensiblen Daten haben. Judith hatte die Ungewissheit nicht mehr ausgehalten. Jane müsse schließlich zur Schule, bestimmt sei ihr auch etwas passiert. Ob ich schon eine Spur hätte?

      „Ich weiß noch nicht, ob es eine Spur ist!“ sagte ich, „aber in spätestens einer Woche werde ich es wissen.“ „In einer ganzen Woche, dass schaffe ich nicht?“ sagte Judith. Sie wollte Einzelheiten wissen und fing an zu weinen. „Sobald ich etwas weiß, rufe ich dich an“, tröste ich sie.

      In ziemlich mieser Stimmung griff ich anschließend zum New Yorker Telefonbuch. Wahrscheinlich hatte Judith recht mit ihrem Pessimismus. Aber ich hatte mein ganzes Leben lang an den Erfolg systematischer Arbeit geglaubt, jetzt wollte ich nicht nur auf den Zufall hoffen. Es hätte einfach nicht meinem Charakter entsprochen. Hoffnung hatte ich immer gesagt, wäre keine Strategie,