Joachim Kath

Herzkalt


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waren, aber das Risiko musste ich eingehen.

      „Gut!“ sagte ich, „der Mann um den es geht, heißt Robert Fence und lebt in Albany. Die Stadt hat knapp hunderttausend Einwohner, ist also noch überschaubar und es gibt dort nur eine Person mit diesem Namen.“

      „Albany ist so um die vier Stunden von hier und ich habe kein Auto“, sagte Mike.

      „Du nimmst den Zug“, sagte ich.

      „Das ist ja eine Tagesreise“, maulte Mike.

      „Und wenn er uns die Story nicht abnimmt?“ fragte Lisa ängstlich.

      „Dann macht einfach eure Unterarme frei!“ sagte ich lakonisch. „Sehen heißt glauben!“

      „Wie sollen wir jetzt vorgehen?“ fragte Mike.

      „Wir rufen diesen Bob Fence jetzt an und machen für Morgen einen Termin aus. Das heißt konkret, Mike spricht mit ihm, und kündigt sein Kommen an. Du fährst alleine, das ist aus mehreren Gründen besser und sicherer. Auch für den Dealer, weil es keine Zeugen gibt“, sagte ich mit Bestimmtheit, denn ich befürchtete, dass er vielleicht einen Neukunden nicht ohne weiteres akzeptieren würde.

      Doch meine Bedenken waren überflüssig. Bob Fence, offenbar von dem Junkiejargon, den Mike perfekt beherrschte, total überzeugt, bestellte ihn tatsächlich zu sich. Lisa wollte mitfahren, aber ich hielt es für vorteilhafter, wenn Mike zunächst das Terrain alleine sondierte. Außerdem würde er dann wohl eher zurück kommen, wenn ich mit seiner Freundin auf ihn in New York wartete. Ich gab ihm 100 Dollar plus Fahrgeld und Verzehr. Der Zug ging an der Penn Station los und brauchte zweieinhalb Stunden bis Albany. Es ist die Strecke der Touristen, die zu den Niagarafällen und nach Vermont wollen.

      Als Mike am Abend von seiner Reise zurückkam und wir uns wieder in dem selben Restaurant trafen, in dem wir unsere Zusammenarbeit fixiert hatten, verschwanden Lisa und er erst einmal, um sich, wie sie es nannten, mit dem neuen Stoff einen federleichten Druck zu setzen. Mir war nicht so ganz geheuer, auf was ich mich da eingelassen hatte. Also: Der Bob Fence sei so ein Sportstyp, eigentlich nicht unsympathisch, aber sehr misstrauisch. Zuerst wollte er tatsächlich den Arm und das Besteck sehen, bevor es zum Geschäft kam. Er selbst würde grundsätzlich nur Bargeld gegen Ware nehmen, nannte aber Mike einen Hehler, der Sachen von Junkies, die aus Diebstählen oder Einbrüchen stammten, Notebooks, Handys, Uhren und Schmuck, in Zahlung nahm.

      5. Kapitel

      Eindeutig war nun, dass Bob Fence eine heiße Spur war. Er war höchstwahrscheinlich der Besitzer des Mercedes, mit dem die Mädchen von der Highschool abgeholt worden waren. Er war ganz bestimmt im selben Flugzeug nach Europa geflogen und er hatte mit dem Handel von Heroin zu tun. Eigentlich brauchte ich nur noch mit Lisa und Mike als Zeugen zur Polizei zu marschieren und ihn als Drogendealer anzuzeigen. Der Haken war nur, dass die beiden genau das verständlicherweise auf keinen Fall wollten. Ja, und die anderen Dinge waren nicht strafbar.

      Im Grunde hatte ich noch keine handfesten Beweise, was die eigentlichen Ursachen für den Tod von Dorothy und das Verschwinden von Jane waren. Und ehrlich gesagt, was waren schon Junkies als Zeugen wert, die sich selbst strafbar gemacht hatten und ohnehin zu keiner Aussage zu bewegen waren, weil sie eben weiterhin Stoff brauchten und ihre neue Quelle nicht gleich wieder zuschütten wollten? Weniger als nichts. Ich musste mich in Geduld üben und jene Gelassenheit aufbringen, die in der aristotelischen Ethik als Teil der Tapferkeit angesehen wurde. Angeblich würde Gleichmut gegenüber den Wechselfällen des Lebens zu innerer Größe führen. Doch wenn es einen selbst betrifft, nervt warten ganz schön. Jedenfalls schnürte mir der Gedanke, auch Jane könne drogensüchtig sein, den Brustkorb zu. Die innere Größe wollte offenbar hinaus. Sich und mich befreien.

      Als Mike am nächsten Tag wieder aus Albany von dem Besuch des Dealers zurückkam, brachte er zwei Neuigkeiten mit. Die eine war: Bob Fence lebte mit einer Frau zusammen, einer Blondine um die Dreißig, die Nancy hieß. Und die andere war: Bob hatte Mike gefragt, ob er nicht rauschgiftsüchtige Mädchen kennen würde, die an einem regelmäßigen hohen Einkommen interessiert wären. Für die Vermittlung eines Mädchens, nicht älter als Anfang Zwanzig, gäbe es eine großzügig bemessene Ration Stoff.

      „Was bedeutet das konkret?“ wollte ich wissen.

      „Keine Ahnung“, sagte Mike, „aber es ist auf jeden Fall eine ungeheuere Versuchung für jeden Fixer, seine Beschaffungsprobleme zu lösen“.

      Wir konnten uns gemeinsam lebhaft vorstellen, dass es genügend Süchtige geben würde, die nicht davor zurückschreckten, Mädchen heroinsüchtig zu machen. Anfixen nennt man das. So konnte es mit Jane und Dorothy gelaufen sein, kam mir in den Sinn. Gegen ihren Willen, sie waren einfach zu naiv gewesen. Hatten noch an das Gute im Menschen geglaubt, idealistisch wie sie waren. Und ich Idiot hatte sie noch darin bestärkt und versucht, ihnen meine Wertvorstellungen zu vermitteln. Vorbild zu sein, auch wenn es mir manchmal im Alltag schwerfiel. Ja, sich vernünftig zu verhalten, kann anstrengend sein.

      Was heißt schon für unser einen Vernunft? Für einen Normalbürger wahrscheinlich, wenn wir tun, was von uns erwartet wird. Ich hatte immer getan, was ich für meine Pflicht hielt. Und wohin hatte dieses Verhalten geführt? Besonnen sollte ich sein, einsichtig, intelligent! Kann man das noch, wenn andere skrupellos Leben zerstören? Nicht irgendeins, sondern mein Fleisch und Blut! Das veränderte alles an vorher geltenden Maßstäben.

      „Wenn Lisa sich als ein solches Mädchen meldet“, sagte ich kaltherzig, „bekommt ihr das Geld für einen Monat“.

      „Gemacht!“ strahlte Mike.

      „Kommt überhaupt nicht in Frage!“ sagte Lisa.

      „Auf Einzelschicksale kann keine Rücksicht genommen werden“, sagte ich, mich nicht wieder erkennend. Irgendwie muss ich mir in jenen Tagen fremd geworden sein. Doch damals merkte ich das nicht.

      „Wenn ich das richtig sehe, geht es um Prostitution!“ sagte Mike.

      „Kann sein, muss aber nicht. Vielleicht hat er nur vor, Drogenkonsumentinnen zu gewinnen. Natürlich will ich nicht, dass Lisa in einem Bordell oder auf der Straße landet. Wobei man wissen muss, dass außer in einigen eher ländlichen Bezirken von Nevada, die kommerzielle Prostitution überall in den USA verboten ist.“

      „Ja, aber das Verbot ist ziemlich löcherig. Da wo es keine Bordelle gibt und die Frauen nicht auf der Straße stehen, gibt es trotzdem Callgirls, Massagesalons und Escortservices. Die Doppelmoral in diesem Land ist augenfällig“, wusste Mike.

      „Also, noch mal, zum Verständnis: Lisa soll ja nicht anschaffen gehen. Mein Plan sieht so aus, dass sie nur herausfinden soll, wo die Mädchen hinkommen und ob es so etwas wie Zwangsprostitution im Umfeld von Bob Fence gibt. Ich meine, Fixerin ist Lisa schon und ihr beide werdet immer mehr von dem Zeug brauchen, wenn ihr keinen Entzug macht. Für einen Entzug muss es euch viel dreckiger gehen als heute, sonst habt ihr nicht die Nerven dafür. Doch irgendwann wird der Tag kommen, wo ihr möglicherweise von der Abhängigkeit loskommen wollt und ich bezahle euch dann zwei Plätze in einer Privatklinik!“ sagte ich so ruhig wie möglich.

      „Warum wollen Sie überhaupt wissen, wo die Mädchen bleiben?“ fragte mich Mike.

      „Es interessiert mich einfach! Vielleicht will ich selbst in das Geschäft einsteigen! Vielleicht will ich Bob Fence ans Messer liefern! Was gehen euch meine Gründe an?“ sagte ich barsch.

      „Sie sehen nicht gerade wie ein Zuhälter aus! Das kann doch nicht Ihr Ernst sein!“ schrie Lisa entsetzt.

      „Es ist todernst! Ich will wissen, wo die Mädchen sind, weil ich eines dieser verschwundenen Mädchen suche. Wenn ihr mir dabei helft, okay, wenn nicht, ist das Projekt in diesem Moment gescheitert und zu Ende!“

      Es entsprach nicht meiner Natur, knallhart zu sein. Aber ich hatte keine andere Wahl, sie mussten einfach das Gefühl bekommen, dass mit mir nicht zu Spaßen war. Die weiche Tour nützte nun einmal bei Leuten, deren Gedanken den ganzen Tag nur um harte Drogen kreisten, absolut gar nichts. Sie taten mir leid und ich spürte jede Nervenbahn.