Patricia Sveden

Miss Claires sinnliche Versuchung


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heran. Sie huschte von Baum zu Baum und bemühte sich, sich hinter den Stämmen zu verbergen. Allerdings konnte man sie mit ihrem üppigen, leuchtend gelben Kleid bestimmt noch sehen, wenn man denn genauer hinsah. Doch bestimmt würde hier niemand mit ihr rechnen.

      Nun hatte Claire den letzten Obstbaum vor den Pferdeställen erreicht. Sie versuchte, ihre vor Aufregung beschleunigte Atmung wieder etwas zu verlangsamen, und linste vorsichtig an dem Baumstamm vorbei, hin zu der Stelle vor den Ställen, aus denen zuvor die Stimmen gekommen waren.

      Und da erblickte sie ihn. Erneut. Es war eindeutig derselbe junge Mann, den sie am Vortag von ihrem Zimmerfenster aus gesehen hatte. Er hatte die gleiche Haarfarbe und trug haargenau dasselbe Gewand. Recht eng anliegende, braune Hosen und ein locker sitzendes, naturfarbenes Hemd aus Leinen, das vorne an seiner Brust etwas aufgeknöpft war. Allerdings hatte er nun seine Hemdsärmel hochgekrempelt und war intensiv damit beschäftigt, Heuballen, die zuhauf vor dem Stall auf dem Boden herumlagen, zu packen und auf einen Karren zu hieven. Claire hatte komplett vergessen, dass sie darauf achten sollte, sich gut zu verbergen. Sie starrte den jungen, gut aussehenden Mann an, und beobachtete fasziniert das Spiel seiner ausgeprägten und von der Sonne etwas gebräunten Armmuskeln, als er die Heuballen aufhob. Claire musste ihn wohl mit offenem Mund angestarrt haben. Etwas beschämt wandte sie ihr Gesicht ab und zog sich kerzengerade hinter den Baumstamm zurück. Offenbar hatte sie niemand gesehen, das war gut. Claire bemerkte aber, dass ihr Herzschlag nun noch schneller ging, als zuvor, und versuchte, sich zu beruhigen. Was geschah gerade mit ihr? Wieso wollte sie nicht aufhören, diesen Mann anzustarren. Was war an ihm so besonders? Claire konnte es nicht verstehen. Vorsichtig streckte sie erneut ihren Kopf hinter dem Stamm hervor, um nach ihm zu sehen. Genau in diesem Moment hielt der junge Mann in seiner offenbar sehr anstrengenden Tätigkeit inne, stellte ein Bein auf dem Karren ab, und blickte genau in Claires Richtung. Claire blieb erstarrt stehen. Ihre Blicke trafen sich. Claire fühlte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss, konnte sich aber nicht vom Fleck bewegen. Der junge Mann, vermutlich war er einer der Stallburschen, wischte sich jedoch lediglich mit einem Arm die Schweißperlen von der Stirn, und fuhr dann mit seiner Aufgabe fort.

      Geschockt und nervös wie noch nie zuvor, zog Claire in Windeseile ihren Kopf zurück hinter den Baumstamm und überlegte einen Moment. Dann lief sie unwillkürlich los und hoffte einfach, von niemandem mehr gesehen zu werden.

      Während sie mit gerafften Röcken zwischen den Obstbäumen in die Richtung zurück zum Haupthaus rannte, dachte sie über das, was gerade passiert war, nach. Hatte er sie gar nicht gesehen? Wieso hatte er nicht gegrüßt? Wer war er? Und warum war sie so sehr daran interessiert, wer er war?

      Claire erreichte endlich den Rosengarten und hielt am Rosenbogen inne. Keuchend stützte sie sich am geschnörkelten Metall des Bogens ab und bemühte sich, wieder zu Atem zu kommen. Sie hatte eindeutig zu wenig Kondition, vom vielen Herumsitzen und Lernen. Sie sollte wirklich öfters laufen, um nicht derart schnell außer Atem zu geraten. Andererseits war sie nun auch ein ganzes Stück weit gerannt. Hastig blickte sich Claire um, ob sie auch von niemandem gesichtet oder beobachtet worden war, außer natürlich von diesem attraktiven, jungen Stallburschen. Wieso hatte sie ihn noch nie zuvor gesehen? Vielleicht war er ja neu eingestellt worden für diese Saison. Und da sie selbst erst wenige Tage hier war, und noch keinen Ausritt gemacht hatte, war sie ihm noch nicht begegnet. Abgesehen davon hätte sie ihm, aufgrund der vielen Verbote und Einschränkungen ihres Vaters, vermutlich ohnehin niemals über den Weg laufen können.

      Langsam normalisierte sich Claires Atem, sie strich ihre Röcke glatt und ging erhobenen Hauptes, und so unauffällig wie möglich, zurück zum Haus. Sie würde sich nun, wie es von ihr erwartet wurde, in ihre Bücher vertiefen und sich von diesem unerklärlichen Gefühl des Sehnens, nach jemandem, den sie nicht einmal kannte, ablenken.

      3. Kapitel

      Wieso hatte sie ihn angestarrt? Warum war die Tochter des Hauses überhaupt hier hinter den Bäumen herumgeschlichen? Wollte sie das Personal ausspionieren?

      Greg hatte bislang zwar nicht genau gewusst, wie Lord Fortescues Tochter aussah, er nahm aber an, dass sie es gewesen sein musste. Sonst trieben sich hier in der Nähe der Ställe keine jungen Damen umher. Und ihres überaus noblen und wertvollen Kleidungsstils nach zu urteilen, musste sie die reiche Tochter des Hauses sein. Greg hatte in den wenigen Wochen, die er bereits hier arbeitete, schon einiges über sie und ihre Familie gehört. Lord Fortescue, der Duke of Ramesford, soll ein überaus wohlhabendes und einflussreiches Mitglied des Hochadels sein. Zudem wäre er nicht gerade glücklich darüber, keine Söhne gezeugt zu haben. Offenbar hatte es zwei weitere Töchter gegeben, die allerdings kurz nach der Geburt verstorben waren. Für Lord Fortescue und seine Gemahlin ein bitterer Verlust. Nach einiger Zeit hatten sie dann ihre dritte Tochter, Miss Claire, zur Welt gebracht. Aus der großen Angst heraus, ein weiteres Kind zu verlieren, war Miss Claire wohl sehr überbehütet und isoliert aufgewachsen. Kaum ein Angestellter hatte sie jemals zu Gesicht bekommen. Wenn sie in den vergangenen Jahren hatte ausreiten wollen, war stets eine Zofe oder sonstige Bedienstete zu den Ställen geschickt worden, um Miss Claires Stute Wendy vorbereiten zu lassen. Wendy war ein ausgesprochen teures und schönes Pferd. Sie war hellbraun und von perfekten Proportionen. Von der Größe her war sie optimal für eine junge Dame, und offenbar sehr umgänglich und gutmütig. Um Wendy durfte sich aber nur auserwähltes und alteingesessenes Personal kümmern. Sie wurde, vermutlich so wie ihre Besitzerin, wie ein kostbarer und zerbrechlicher Rohdiamant behandelt. Greg fand dieses ganze Getue etwas lächerlich und konnte es nicht ganz nachvollziehen. Warum sollten manche Lebewesen, manche Menschen, mehr wert sein als andere? Das war doch absurd. Nur weil sie mehr Geld besaßen?

      Außerdem hatte Greg Gerüchte gehört, dass Miss Claire zwar wunderschön, aber absolut unnahbar und weltfremd sein soll. Wie ein kostbares Juwel unter einer gläsernen Glocke, das kaum jemand jemals zu Gesicht bekam. Greg stellte sie sich seither wie ein klassisches verwöhntes, reiches Mädchen vor, das keine Ahnung vom wirklichen Leben hatte, und vermutlich immer seinen Willen bekam.

      Jedoch war ihm all dies bislang recht gleichgültig gewesen, auch wenn sich das Personal offenbar gerne Tratsch und Klatsch berichtete und Greg mitunter dazu gezwungen war, es mit anzuhören.

      Doch nun war diese vermeintlich eingebildete, reiche Tochter hier gewesen und hatte ihn bei seiner schweißtreibenden Arbeit angestarrt. Was wollte sie hier also? Sich über ihn lustig machen? War ihr in dem riesigen Haus etwa langweilig geworden?

      Die Familie war erst vor Kurzem angereist und alle in den Ställen waren damit beschäftigt gewesen, die vielen Pferde der zahlreichen Kutschen zu versorgen und unterzubringen.

      Greg war davon überzeugt, dass es genug Personal geben würde, das um das Wohl und die Laune von Miss Claire bemüht war. Also konnte Langeweile vermutlich nicht der Grund ihres Auftauchens hier bei den Pferdeställen sein, noch dazu im wildwuchernden Gras zwischen den Obstbäumen. Wussten ihre Eltern über diesen ungebührlichen Ausflug ihrer Tochter Bescheid?

      Greg beschloss, sich nun nicht länger damit zu befassen, und widmete sich wieder seiner Aufgabe, das gesamte Heu vor dem nahenden Regenwetter in Sicherheit zu bringen. Das würde ihn schon von seinen Gedanken, die vollkommen überflüssig und sinnlos waren, denn er würde Miss Claires wahre Beweggründe wohl niemals erfahren, ablenken.

      4. Kapitel

      Claire hatte in der vergangenen Nacht sehr unruhig geschlafen. Am Vortag war kurz nach ihrer Rückkehr ins Haus tatsächlich ein heftiges Gewitter über sie hereingebrochen und es hatte den gesamten restlichen Tag geregnet. Somit war sie im Haus festgesessen und hatte sehr viel, mit ihrer Privatlehrerin Mrs. Michaels, studiert. Momentan standen die Geschichte Englands und dessen wirtschaftliche Beziehungen zu den Nachbarländern auf dem Programm. Claire fand das alles nicht gerade spannend und hatte große Mühe gehabt, sich darauf zu konzentrieren. Sie hatte auch ständig noch an den jungen Mann vor den Pferdeställen denken müssen, und sich gefragt, was er wohl über sie gedacht hatte. Warum hatte er sie nicht zumindest kurz angelächelt oder gar gegrüßt? Hatte er sie vielleicht tatsächlich gar nicht wahrgenommen? Das wäre aber beinahe unmöglich, da ihr gelbes Kleid zwischen den Bäumen geleuchtet haben musste. Irgendwie ärgerte sich Claire darüber, von diesem jungen Mann nicht beachtet worden zu sein. Gleichzeitig