Michael Schwingenschlögl

Schöttau - Ein Heimatdrama


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dem Winterschlaf.

       Bald darauf spürten auch die Menschen im Tal die leicht wärmer werdenden Strahlen des feurigen Himmelskörpers. Spärlich bekam das strahlend weiße Winterkleid auf den Almen und Berghängen braune und grüne Flecken. Allmählich änderte sich auch der Aggregatszustand der mächtigen Eiswände der gefrorenen Wasserfälle und erste Tropfen plätscherten quirlig dem Frühling entgegen.

       Grund genug für unsere Freunde im Tal, eine kleine Sause zu schmeißen.

       Wie es sich für vornehme Gäste gehört, stoßen wir erst ein wenig später zu der illustren Feiergesellschaft hinzu.

       Ich darf euch zunächst einmal den Schauplatz unseres epochalen Alpenthrillers vorstellen: Schöttau.

      Schöttau war eine kleine Stadt, aber damit auch schon der größte Ort in dem prächtigen Tal, von dem ich euch eben erzählt habe.

       Wie jedes Jahr war Schöttau auch im Winter 1898/99 für einige Wochen von der Außenwelt abgeschnitten. Die abenteuerliche Straße ins Ennstal war seit einiger Zeit wieder passierbar und so beehrte auch der ein oder andere auswärtige Gast die Frühlingsfete.

       Fremden gegenüber war man in Schöttau immer sehr negativ gestimmt, außer sie hatten reichlich Zaster in den Taschen und am besten noch einen fetzigen Adelstitel obendrauf.

       Viel war in unserer neuen Lieblingsstadt nicht los. Die meisten Einwohner waren Land- oder Forstwirte, streng katholisch und auch in allen anderen Gedanken, Taten und Worten ultrakonservativ. Sie waren dem Kaiserreich treu ergeben, am Sonntag ging jeder in die Kirche und die Frauen mussten den fleißigen Männern das wohlverdiente Mahl zubereiten. Eine heile Welt eben.

       In der „Innenstadt“, wenn man den winzigen Platz in der Stadtmitte so bezeichnen will, befanden sich selbstredend die wichtigsten Gebäude: die Kirche des heiligen Pankratius, das Wirtshaus und ein sehr altes, aber schön renoviertes Rathaus. Ein Hotel gab es auch noch, aber dazu werde ich später mehr erzählen. Lediglich eine Filiale der Raiffeisenbank gab es damals noch nicht, sonst wäre die kleine, ländliche Stadt perfekt gewesen.

       Nun besuchen wir aber endlich einmal das lustige Fest.

      Die spaßige Party hatte sich aufgrund der kühlen Temperaturen zu fortgeschrittener Stunde schon ins Innere des Gasthauses verlagert, das den Namen „Kirchenwirt“ trug und von dem geselligen Wirtspaar Anton und Herta Sagerer betrieben wurde. Der Sagerer Anton braute auch gemeinsam mit seinem Bruder Ferdinand das Bier für die Stadt, das berühmte „Schöttauer Bräu“. Das war noch ein richtiges Bier und kein Craft Beer Unfug mit Mangogeschmack.

       Ob jung oder alt, alle waren sie noch kräftig am Feiern. Außer natürlich der Maierleitner Hans, der lag nämlich immer als Erster im Koma.

       Da die Kehlen schon gut geölt waren, musste selbstverständlich ein Lied her.

       Während alle Gäste auf ihren Stühlen saßen, oder sich darauf in einer gefährlichen Schräglage befanden, erhob sich ein Mann mit seinem Akkordeon.

       Ein Prachtkerl von einem Mann, obwohl er schon fast 50 war. Den kräftigen Körper hatte er allerdings nicht durch hippe Workouts und überteuerte Proteinshakes im coolen Gym bekommen, sondern durch die harte Arbeit auf der Alm und im Wald sowie durch seine wahnwitzigen und tollkühnen Bergtouren. Sein Gesicht wirkte kantig und vom Leben gezeichnet. Dieser Recke besaß eine Ausstrahlung, die all die riesigen und schroffen Felsgiganten vor der Haustüre erblassen ließ.

       Mit seinem Erheben und dem Griff nach der Ziehharmonika, verstummten auch alle Festgäste. Er genehmigte sich noch einen großen Schluck Zirbenschnaps und legte los. Nicht einmal Gianluigi Buffon kann die italienische Nationalhymne so inbrünstig singen, wie der Kerl sein Heimatlied sang. Und jeder im Wirtshaus kannte den Song und tat es ihm gleich. Wenn jemand nicht mitsang, dann bekam es der stattliche Musikant mit und warf ihm für den Bruchteil einer Sekunde ganz unterschwellig einen derart frostigen und diabolischen Blick zu, dass derjenige sofort zu singen begann. Dieser Mann hatte irgendetwas Anziehendes, irgendetwas Faszinierendes an sich. Auch die jungen Damen in ihren schicken Dirndln himmelten ihn mit einem Glitzern in den Augen an. Diese Aufmerksamkeit und diese Begeisterung an seiner Persönlichkeit genoss er richtig und er sang mit einem breiten Grinser in der Visage immer lauter und lauter.

      „…Hochdroben am Felsenkranz

       Ehren wir unseren Kaiser Franz

       Herrgott schütze unser Land

       Die ganze Enns entlang

       Holodereiduljo Holodereiduljo

       Holodereiduljo Holodereiduljo

      Wo unser König Dachstein thront

       Und der schönste Bock dort oben wohnt

       Wo der Adler einsam seine Kreise zieht

       Und man bis zum großen Glockner sieht

       Unsere Berge sind weltbekannt

       Das ist unser stolzes Heimatland!“

      „Schön hat er wieder gespielt, der Johann“, sagte die alte Rieder Bäuerin.

       Ein wenig betrunken war sie schon, aber das war hier jeder.

       Ja, das war der Johann, benannt nach dem berühmten Erzherzog Johann.

       Der Vater von unserem Johann hatte den Erzherzog oft auf seinen Wanderungen und Jagden begleitet. Unser Johann hatte den allseits bekannten Adeligen ebenfalls einmal kennengelernt, da war er aber noch ein kleiner Lausbub gewesen. Die Erinnerungen an damals verblichen aber nie.

       Der gute Johann genoss in der Gesellschaft ebenfalls einen hohen Rang, denn er war der größte und einflussreichste Bauer der gesamten Umgebung. Nichts im Tal passierte ohne seine Zustimmung. Er beschloss, wer heiraten durfte. Er beschloss, wer sich ein Haus bauen durfte. Er beschloss, wer sich neues Vieh zulegen durfte. Zynische Stimmen aus dem dunklen Hintergrund zischten, dass auch er bestimmte, wer sterben durfte.

       Kaiser Franz Joseph regierte zwar das Habsburgerreich, aber der Johann Schöttau und sein Umland. Und niemand wagte es, ihm zu widersprechen, sein Wort war Gesetz. Sektenhaft folgten und vertrauten sie ihm alle.

       Aber er war noch viel mehr. Er war, wie könnte es anders sein, der oberste Jäger in der Region und schoss immer den prächtigsten Bock. Im Wilden Westen hätten sie ihn sicher „One shot John“ genannt, denn er erlegte jedes Tier mit dem ersten Schuss. Zwischen Dachstein und Schneeberg gab es einfach keinen besseren Schützen. Vermutlich auch keinen besseren Alpinisten, Johanns nächstes Talent. Egal ob in den schauderhaften Wänden der Schöttauer Berge, am Dachstein, im Gesäuse oder am Hochschwab, er erklomm alles ohne Seil und Sicherung. Als tollkühn, todesmutig, verrückt und nicht wiederholbar, bezeichnete man seine Touren. Keine Wand war ihm zu steil, keine Platte zu abschüssig und kein Turm zu hoch. Meistens ging er allein, denn da war er schneller und konnte sich dabei komplett dem Berg hingeben. Außerdem hatte er schon zu viele Tragödien in den Bergen erlebt. Neben etlichen tapferen Bergkameraden hatte er auch seine beiden Brüder und den Vater seiner Frau bei seinen Unternehmungen verloren. Der Johann wusste, dass der Tod sein ständiger Begleiter war, aber es erschien ihm, als wäre er unantastbar, unbesiegbar gewesen.

       Nun gut, wo sind wir stehengeblieben? Ach ja, beim Fest.

      Nach seinem musikalischen Liebesgeständnis zu seiner Heimat, kippte er einen Viertelliter Zirbenschnaps mit einem Schluck hinunter und rief: „Wollt ihr noch ein Lied?“

       „Ja!“, hallte es im Chor durch die stickige Wirtsstube.

      „Vom Grimming weht der Schneewind rüber

       Heut‘ zum aller letzten Mal im Winter

       Jodeleidio Jodeleidio…“

      Da wir nun den Johann kennen, darf ich euch auch noch weitere wichtige Persönlichkeiten in Schöttau vorstellen. Beginnen wir mit dem heiligen Triumvirat: Dem Bürgermeister, dem Pfarrer und dem Lehrer.

       Ludwig, der Bürgermeister, war ein gieriger, verfressener und dem Alkohol schon komplett verfallener Mann. So etwas wie Anstand oder Moral kannte er nicht wirklich. Für eine Hand voll Heller und drei Flaschen Wein hätte er seine Großmutter, Gott hab sie selig, verklopft und sich dabei noch