Michael Schwingenschlögl

Schöttau - Ein Heimatdrama


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Der Brenner Karl lachte und antwortete: „Ja, ich habe ihn schon gefragt, er will erst im Herbst heiraten, weil es da romantischer ist, meint er. Aber mein Georg und deine Theresia werden auf jeden Fall am 6. August heiraten, das ist in den Stein gemeißelt.“

      Oh, welch spannende Neuigkeiten, da werden also der Johann und der Brenner Karl bald miteinander verwandt sein, das passt doch!

      Wie bitte? Wer der Brenner Karl eigentlich war?

      Der Brenner Karl war im Prinzip so etwas wie Johanns kleiner Bruder, obwohl er ein halbes Jahr älter war. Wie der Johann war auch der Brenner Karl ein stattlicher Recke, auch wenn er vielleicht ein bisschen schlanker war und er ein paar Gramm an Muskelmasse weniger hatte.

       Karl war immer der Zweite. Er war der zweitgrößte Bauer in Schöttau, er war der zweitbeste Schütze und er war immer als Zweiter auf den schwierigsten Bergen. Außer ein einziges Mal am berühmten Admonter Reichenstein, Johanns Schicksalsberg. Dort war der Johann einmal abgestürzt und hatte sich dabei schwere Verletzungen zugezogen. Den Abstieg hatte dieser Teufelskerl aber dennoch ohne Hilfe geschafft.

       Danach hatte er gehörigen Respekt vor diesem Berg, kehrte oft zurück, versuchte sich erneut an dem bleichen Felsgiganten, drehte aber immer an seiner Absturzstelle wieder um. Er war also doch nicht unbesiegbar, aber dies war auch seine einzige Niederlage.

       Obwohl die beiden schon seit der Schule beste Freunde waren und sich immer als Brüder anstatt als Konkurrenten sahen, aber das mit dem Reichenstein hat sich der Brenner Karl einfach nicht verkneifen können.

       Und so war er der Erste aus Schöttau, der da oben stand und nicht der Johann, wie sonst immer.

       Auch wenn es der Johann nie zugab, aber die Aktion hatte ihn schwer getroffen.

       Der Brenner Karl als erster Schöttauer auf seinem Schicksalsberg, in your face, wie man heute so schön sagen würde.

       Außerdem war der Brenner Karl einer der wenigen aus der Schöttauer Schickeria, der sich gut mit dem Xaver verstand. Er unterstützte seine Ansichten nicht wirklich, fand sie aber dennoch interessant und die beiden diskutierten und philosophierten ab und zu bei einem guten Glas Wein über die Welt und alles andere.

      Bevor wir schon wieder abdriften, begeben wir uns zurück in den Rathauskeller.

      Dort sprang nämlich plötzlich die Türe auf und die edle Frau Gräfin trat herein. Sie wirkte ziemlich aufgebracht und eilte mit entsetzter Miene zu ihrem Göttergatten. Die schick gekleidete Adelige fuchtelte wild herum und schrie wie am Spieß, der feine Herr Graf konnte sie nur schwer beruhigen.

       „Was ist denn?“, fragte der Johann.

       „Eine Katastrophe! Kommt alle mit!“, kreischte die Gräfin.

       „Liebste Irmgard, so beruhige dich doch endlich, die Leute schauen schon so komisch.“, sagte ihr mitfühlender Ehemann und strich ihr lieblich über die bleiche Wange.

       In Wahrheit machte er sich aber mehr Sorgen um die komischen Blicke der anderen als um seine Gattin.

       Die Gräfin wedelte mit ihrem Fächer, atmete tief durch und sprach: „Kommt mit, seht euch die Katastrophe selbst an.“

       „Hat man euch einen Zettel an die Türe genagelt?“, fragte der Ludwig, der an diesem Tage selbst schon einen gehörigen Schrecken erlebt hatte.

       „Viel schlimmer!“, meinte die feine Gräfin.

       „Na dann gehen wir eben!“, sagte ihr Gatte und ergänzte: „Johann, Ludwig, Pius, Karl, Walter, ihr geht alle mit! Alfred und Peter, ihr ebenfalls, oder brauchen wir keine Gendarmerie, liebste Irmgard?“

       „Natürlich brauchen wir die! Die Armee würden wir benötigen!“, quietschte sie.

       „So schlimm wird es schon nicht sein.“, meinte der Johann.

      „Erzähl uns doch einmal, was denn da passiert ist.“, sagte der noble Herr Graf zu der noblen Frau Gräfin, als sie am Weg zu ihrer feudalen Villa waren.

       „Als ich vorhin von Kirche heimgekommen bin, habe ich schon beim Gartentor bemerkt, dass da etwas mit der Haustüre nicht stimmt.“, sagte sie und fügte noch hinzu: „Übrigens, es ist wieder eine wundervolle Messe gewesen, lieber Pius.“

       „Danke, danke! Solch löbliche Worte aus dem Mund einer so fantastischen Dame und einer so vorbildhaften Christin zu hören, ist eine wahre Wohltat in diesen Tagen. Gott schütze Sie.“, bedankte sich der Pfarrer.

       „War die Türe denn aufgetreten? Hat wer bei uns eingebrochen? Nicht, dass sie mir mein italienisches Porzellan gestohlen haben.“, meinte der besorgte Graf.

       Die hysterische Gräfin rang wieder mit den Tränen und antwortete: „Nein! Draufgenagelt haben sie uns etwas! Aber das werdet ihr bald sehen.“

       „Jetzt geht es los! Wir werden alle sterben!“, rief der stets optimistische Bürgermeister.

       „Unsinn Ludwig, niemand wird sterben.“, meinte der Johann und schüttelte dabei seinen Kopf.

       „Dass dieser Tag kein guter wird, habe ich schon gespürt, als ich in der Früh das Fenster aufgemacht habe und mir diese eisige Luft ins Gesicht geblasen hat. Der Teufel hat in der Nacht seine Runden gedreht, das habe ich sofort beim ersten Luftzug gemerkt. Es hat nach Schwefel gerochen. Jawohl, der Höllenfürst persönlich geht um!“, sagte der Pfarrer.

       Das mit dem Teufel war natürlich nur sein übliches Geschwurbel, aber der Pfaffe hatte schon recht, es war ein seltsamer Tag. Man hatte das Gefühl, es war noch November und nicht schon Anfang April. Neblig war es, so neblig wie schon lange nicht mehr, die Sicht reichte ja kaum mehr als einen Meter weit. Eine graue Walze, die in jedem Winkel Einzug fand und von einem eiskalten Lüftchen begleitet wurde. Ich frage mich nur, wie die werte Frau Gräfin bei diesem Nebel die Haustüre vom Gartentor aus sehen konnte, wie sie uns eben erzählt hatte. Ja, sie stand unter Schock und wir werden in Bälde wissen, ob das auch berechtigt war, oder ob sie maßlos übertrieb.

       Die kleine Gruppe war der Villa schon sehr nahe, ein äußerst beschwerlicher Spaziergang bei diesem Wetter.

       „Dieser verdammte Nebel wird ja immer dichter! Ich hoffe, wir verlaufen uns hier draußen nicht.“, sagte der Ludwig und der Johann entgegnete ihm: „So ein Blödsinn! Wir gehen ja nur zum Grafen und wandern nicht irgendwo in der Schweiz umher.“

       Nach einigen weiteren zurückhaltenden Schritten in der Nebelsuppe, standen sie nun endlich vor der Haustüre und schauten alle dumm aus der Wäsche.

      „Das ist ja ein Gamsbock!“, stellte der Graf richtig fest und fuhr mit seiner profunden Analyse fort: „Da hat uns wer den Kopf von einem Gamsbock an die Türe genagelt. Ja, Kruzifix!“

       „Während wir alle in der Kirche waren! Ich habe es euch gesagt, der gefallene Engel treibt sich herum!“, ergänzte der Pfarrer und streckte ihnen seinen Zeigefinger ins Gesicht.

       „Das ist ein Zeichen! Man wird uns alle holen!“, rief der Ludwig, der von dem kleinen Spaziergang noch immer völlig außer Atem war.

       Der Empfänger des netten Geschenks wirkte viel gelassener als der Ludwig oder gar die vornehme Gräfin, die wieder Rotz und Wasser heulte und meinte nur: „Den Bock muss ja wer gewildert haben.“

       „Freilich, oder glaubst du, dass sich der Bock selbst den Kopf abgeschnitten und ihn dann auf deine Türe genagelt hat? Jetzt haben wir schon wieder einen Wilderer, aber der wird genauso enden wie der Erste.“, sagte der Johann zu unserem adeligen Captain Obvious.

      Alfred, der Gendarm, meldete sich jetzt einmal zu Wort, denn bei so einer Untat konnte der Gesetzeshüter nur schwer schweigen: „Sollen wir da ermitteln?“

       Der Johann griff sich auf die Stirn und sagte: „Ihr zwei Vögel habt ja noch nie irgendwo ermittelt! Ihr sitzt ja nur in eurer bequemen Wachstube und spielt Karten!“

       „Pass ja auf, was du da sagst!“, meinte der Alfred.

       Der Johann sah ihn aber nur mit einem strengen Blick an und befahl: „Es ist besser, wenn ihr jetzt wieder von hier verschwindet. Und dass das klar ist, die Angelegenheit regeln wir wieder selbst.