Michael Schwingenschlögl

Schöttau - Ein Heimatdrama


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zog der Johann sein Gewehr und schoss. Dieser Schuss hallte durch die Täler, man konnte ihn der gesamten Steiermark hören, so fühlte es sich zumindest für den Johann an.

       Blattschuss, wie immer. Sein Erzfeind fiel mit dem Gesicht voran in den Schnee, der rund um ihn einen schönen roten Anstrich bekam.

      „Ich habe gesiegt!“, rief der Johann in die schier unendliche Bergwelt hinaus und streckte dabei sein Schießeisen triumphal in die Lüfte.

       Hurtig stiegen der Brenner Karl und er zu der Leiche ab und drehten sie um.

       Sie sahen sich das Gesicht des Wilderers ganz genau an und der Johann fragte: „Hast du den schon einmal gesehen?“

       „Nein, ich glaube, niemand in Schöttau hat ihn jemals gesehen.“, antwortete der Karl.

       Mit einem verschmitzten Lächeln im Gesicht, meinte der Johann: „Dann sorgen wir, dass das so bleibt.“

       Daraufhin ließen sie die Leiche für alle Zeiten verschwinden und kehrten ins Tal zurück.

       Wer dieser Wildschütz gewesen war, auf welchen Namen er gehört hatte, aus welchen Motiven er gehandelt hatte, sollte wohl niemand mehr erfahren, aber es interessierte auch niemanden. Hauptsache, er war nun endlich so tot wie sein gewildertes Vieh.

      Die erfreuliche Nachricht verbreitete sich in Schöttau wie ein Leuchtfeuer und der Graf, der erst vor ein paar Tagen wieder in unsere Lieblingsstadt gekommen war, um dem geselligen Krampustreiben am 5. Dezember beizuwohnen, veranstaltete zur Feier des Tages ein großes Fest.

       Wie ein Superstar wurde er dort empfangen, der Johann. Und wie einen Helden verehrten sie ihn.

       Als er mit breiter Brust und einem übertriebenen Selbstwertgefühl durch die Menge wandelte, klopften ihm alle stolz auf die Schulter und stimmten euphorische Jubelchöre an.

       Der Johann war wieder einmal der Größte und er hatte seine Vormachtstellung erneut eindrucksvoll untermauert.

      Ein nettes Heldenepos, keine Frage, aber gerade einmal vier Monate später, schien der dunkle Dämon zurückzukehren.

       Und da sind wir nun wieder, in den ersten Apriltagen des Jahres 1899 und stehen vor des Grafens Haustüre. Der Gamskopf war mittlerweile längst entfernt und der Brenner Karl erschien im Nebel mit drei Dutzend Jägern im Schlepptau.

      4. Auf Spurensuche

      Johanns goldene Erinnerungen an seinen großartigen Triumph im Dezember waren in der grauen Nebelfront verblichen. Diese trübe Wand spiegelte die Stimmung aller wider. Unser lieber Johann fühlte sich leer und ausgebrannt, wieder schien alles von vorne zu beginnen, wieder mussten sie auf die Jagd gehen, wieder drohte ein langer, dunkler Sommer. Aber der Johann hatte ja damals noch keinen blassen Schimmer, dass dieses Mal alles viel schlimmer werden sollte.

       Im Frühjahr wollte der Johann eigentlich schon viele Bergtouren unternehmen, aber so musste er wieder den Heeresführer über seine Jägerschar spielen und einen Wilderer zu Fall bringen.

       Vielleicht habt ihr vorhin einen schlechten Eindruck von diesem rachsüchtigen Johann bekommen, der sich über das Gesetz stellte, der Truppen kommandierte, der vor lauter Wut seine Familie im Stich ließ, der mit all seiner Kraft ein Leben auslöschen wollte und als er dies schlussendlich auch tat, die Heldenfeierlichkeiten sichtlich genoss.

       Im Grunde war der Johann ganz anders. Er wollte immer nur das Beste für alle, für seine Familie und auch für jeden anderen im Tal. Der Johann war fürsorglich, äußerst großzügig und ein absolutes Vorbild für jedermann und jedefrau. Aber er war eben auch ein Mann voller Stolz und Ehre und der Wilderer hatte seine Ehre beleidigt und war auf seinem Stolz herumgetrampelt, da kannte der Johann dann keine Gnade mehr.

      Sein Schwiegersohn in Spe, der Georg, der Bub vom Brenner Karl, war ebenfalls ein leidenschaftlicher Jäger und gehörte zu dem Aufgebot, das nun Jagd auf den Wildschütz machen sollte.

       „Bist du dir sicher, dass wir wieder einen Wilderer haben? Vielleicht war das ja wirklich nur ein Spinner, der ein paar Leuten einen Schrecken einjagen will.“, sagte der Georg zu seinem zukünftigen Schwiegervater.

       Dieser ging zum Brenner Georg hin, legte eine Hand auf seine Schulter und meinte nölig: „Mein Sohn, glaube mir, das war ein Wilderer, so etwas erkenne ich sofort. Und ich spüre auch, dass dieser Wildschütz bösartiger als der erste ist. Er hat gerade erst angefangen, deswegen müssen wir ihn stoppen, bevor er so richtig loslegt.“

       Der Brenner Georg nickte und sagte: „Du kannst dich auf mich verlassen, ich werde dir folgen!“

       Einer der ältesten und erfahrensten Weidmänner, der Ortner Franz, paffte ungeduldig an seiner Pfeife und wirkte sehr verärgert.

       „Ja Kruzifix, von wo kommen die Wilderer denn immer her? Gibt es da ein Nest mit dem Gesindel? Und warum zum Teufel treiben die immer bei uns ihren Schabernack? Die sollen gefälligst am Grimming wildern und nicht in unserem schönen Tal.“, sprach der Wutopa.

       „Franz, beruhig dich, wir gehen jetzt hinauf und suchen einmal den Rest von dem toten Gamsbock. Im Idealfall führt er uns zum Wilderer.“, sagte der Johann zum Ortner Franz und stellte sich dann anschließend vor die versammelte Jägermeute.

       Voller Inbrunst sprach er zu seinen Jüngern: „Ich weiß, dass die Umstände keine leichten sind. Die Sicht ist schlecht, es ist kalt und am Berg drohen wohl Lawinen. Ich weiß, dass viele von euch jetzt lieber in ihrer warmen Stube wären. Aber ich weiß auch, dass jeder hier auf gar keinen Fall will, dass uns so ein verdammter Wilderer wieder den ganzen Sommer lang an der Nase herumführt und uns, unserem Tal und unseren Tieren, Schaden zufügt! Je eher es endet, desto besser ist es für uns alle! Vertraut mir und folgt mir, dann wird dieser Tag noch ein gutes Ende haben. Auch wenn wir uns heute vielleicht in gefährliche Höhen begeben müssen und uns vielleicht die Dunkelheit einholen wird, vertraut mir und folgt mir, dann wird jeder von euch wieder sicher bei seinen Liebsten sein! Auf! Auf!“

       „Auf! Auf!“, brüllten alle im Chor und folgten anschließend ihrem Anführer.

       Sie kämpften sich nur langsam durch den dichten Nebel und irgendwie hatte jeder ein flaues Gefühl im Magen. Jedoch waren alle höchst konzentriert bei der Sache und sperrten Augen und Ohren weit auf.

      Bei der alten Jagdhütte auf dem Schütterpass teilten sie sich auf und gingen in Zweiergruppen weiter. Bevor sich die Wege der Jäger trennten, befahl der Johann: „Immer schön in Hörweite zum nächsten Zweiergespann bleiben!“

       Der Johann und der Brenner Karl nahmen den noch verschneiten Waldsteig Richtung Kirchenkogel. Da hatten sie letztes Jahr den ersten gewilderten Steinbock gefunden. Beginnt es dort, wo es schon einmal begonnen hatte?

       Unser Johann wollte eigentlich in der Südschlucht am benachbarten Großen Zinkenstein suchen, da sich dort im späten Winter immer viele Gämse tummelten.

       Der Brenner Karl meinte allerdings, dass dort das Lawinenrisiko zu groß sei und schlug den Weg zum Kirchenkogel vor.

       „Der Plainer Fred hat vor ein paar Tagen dort oben auch einige Gämsen gesehen.“, sagt er.

       Als sie sich der Baumgrenzen näherten, riss der Nebel auf und die Sicht wurde klarer.

       Auf einmal merkte man dem Johann all die Sorgen gar nicht mehr an. Er lächelte, er war nicht mehr auf der Jagd nach einem Wilderer. Ja, er war wieder in seinem Element, er war wieder am Berg, er war wieder heroben, endlich wieder heroben.

       Auch dem Brenner Karl taten die Sonnenstrahlen sichtlich gut. Mit einem leichten Grinsen im Gesicht, aber immer mit einem wachsamen Auge in der Umgebung, stiegen die beiden immer höher empor.

       „Eigentlich ist es ja doch noch ein herrlicher Tag geworden!“, stellte der Johann mit einem Lachen im Gesicht fest.

       Der Brenner Karl klopfte ihm sanft auf die Schulter und meinte: „Noch herrlicher wäre es, wenn wir dort oben etwas finden würden, mein Freund.“

       „Wir sind über 35 Leute am Berg, irgendwer wird schon etwas finden.“, gab sich der mittlerweile gutgelaunte Johann optimistisch.

       Dann zog