Michael Schwingenschlögl

Schöttau - Ein Heimatdrama


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Mit der wohltuenden Sonne im Gesicht und dieser herrlich duftenden Frühlingsluft in der Nase schmeckte ihm sein Honigbrot gleich doppelt so gut. Wohl gestärkt und wetterbedingt noch besser gelaunt machte er sich auf den Weg zum Brenner Georg.

       Ich glaube, er war zuvor noch nie so fröhlich auf Wildererjagd gegangen, jetzt kamen seine Tage, das konnte er spüren.

       Auch der Brenner Georg war in bester Frühjahrslaune, als er den Johann am Gartentor begrüßte.

      Ach, der Georg, der war schon ein feiner Bub, da konnte der Karl stolz auf ihn sein. Er war der Ältere zweier Brüder und kam ganz nach seinem Vater. Am Hof und auf der Alm wirkte er fleißig mit und sein alter Herr führte ihn schon früh in die Jagd und in den Alpinismus ein. Ich würde behaupten, von allen Jungspunden im Schöttauer Tal, war der Georg der Tüchtigste und Tapferste.

       Zwei Jahre zuvor, also im Jahre 1897, genauer gesagt im August 1897, lud er die Theresia, Tochter vom Johann, am Kirtag zu einem Tanz ein.

       Der Kirchtag in Schöttau war auch immer besonders fein. Die Blaskapelle spielte die größten Hits der damaligen Zeit, dazu wurde getanzt, gesoffen, gefressen und gelacht, herrlich! Feinste Grillspezialitäten wurden serviert und ein eigens für diesen Tag gebrautes Bier ausgeschenkt. Der Pfarrer, der Graf, der Ludwig und der Johann hielten umwerfende Reden und die alten Peitschenknaller traten natürlich auch noch auf, ein Traum! Zuvor gab es natürlich noch eine vierstündige Messe, die Pfarrer Pius immer besonders zelebrierte.

       Wie gesagt, am Kirtag im Jahre 1897, tanzte der Georg mit der Theresia, nach dem Tanz küssten sich die beiden, dann verliebten sie sich und ein Jahr später verlobten sie sich. Wie wir ja schon wissen, sollte dann am 6. August 1899 geheiratet werden.

       Ja, die zwei waren ein Traumpaar! Die Tochter vom mächtigsten Bauer im Tal und der Bub vom zweitmächtigsten Bauer im Tal, perfekt, was will man mehr?

       Damals war das mit der Liebe auch noch viel einfacher. Wenn einem Mann ein Mädel gefiel, dann tanzte er mit ihr, dann küssten sie sich irgendwann, darauf gab es die Verlobung und schlussendlich folgte die Hochzeit. Natürlich nur, wenn der Vater der Braut damit einverstanden war. In Schöttau musste man sich außerdem immer noch den Segen vom Johann holen, aber bei seiner Theresia und dem Buben von seinem besten Freund, war er selbstverständlich sofort einverstanden und davon begeistert. Es war seinerzeit wirklich viel leichter, man musste nicht ewig auf WhatsApp hin und her schreiben, sich keine Gedanken machen und keine komischen Pseudoregeln befolgen. Und die Ehen hielten alle, keine Spur von Scheidungen und Patchworkfamilien. Warum ist so etwas Einfaches wie die Liebe nur so kompliziert geworden? Weil damals alles noch einfacher war, wie ich diese Zeiten nur vermisse. Unsere Gesellschaft wurde ruiniert durch die sozialen Medien und das Internet generell, den Kapitalismus, die Globalisierung, den Zusammenbruch der Monarchie…

       Wie bitte? Ich schweife schon wieder ab? Sorry!

      Gut, zurück zu unseren beiden Freunden Johann und Georg, denn die genossen gerade einen herrlichen Tag am Berg, obwohl sie einen Wilderer aufspüren mussten. Als die zwei nach einer anstrengenden Wanderung durch den patzigen Schnee einen wunderbaren Aussichtspunkt erreichten, legten sie eine kurze Pause ein.

       Der Johann war in diesem Moment glücklich, richtig glücklich. Obwohl ihm seine Familie und auch jede andere Figur in Schöttau sehr viel bedeuteten, das Glück, das einzig wahre Glück, das reine Glück, fand er immer nur oberhalb von 1500 Metern über dem Meer. Dort oben, wo die schroffen Felsdornen begannen, sich in den Himmel zu schrauben, erstreckte sich sein Paradies. Hier war seine eigentliche Heimat. Hier gingen all seine Gedanken verloren, hier verschmolz sein Körper mit dem Berg und sein Geist mit dem schier unendlichen Horizont. Hier war er endlich frei. Hier heroben war er endlich der Enge des Tals entflohen, diese verdammte Enge. Auch wenn der Aufstieg oft so mühsam und schweißtreibend wie das Leben war, hier heroben gab es keine Lasten am Buckel. Keinen Kummer, keine Sorgen, nichts, nur er und der Berg. Er und der über alles und jeden erhabene König Dachstein, dessen steinerne Krone weit über alle Lande hinausleuchtete.

       Je höher es ging, je schwieriger und einsamer es wurde, je archaischer sich ihm die Natur wiedergab, desto mehr tauchte er in die absolute Freiheit und in das glasklare Meer des Glücks ein.

       Er blickte den mächtigen König voller Ehrfurcht an, der Johann. Still war es, nur der sanfte Wind war noch zu hören.

       Nachdem der Johann diesen Moment ein wenig auf sich wirken hatte lassen, klopfte er dem Georg auf die Schulter und tat etwas, das er schon lange nicht mehr getan hatte: Er lud ihn ein.

      „Weißt du was, Bub? Kurz vor der Hochzeit unternehmen wir beide ein großes Bergabenteuer. Wir könnten auf den Großen Ödstein im Gesäuse gehen, auf den Hochkönig oder gar auf den Watzmann.“, sagte er zum Georg.

       „Liebend gerne! Das würde mich sehr freuen!“, antwortete der sichtlich begeisterte Georg und dann sagte er etwas, das den Johann innerlich schwer traf. Aber der Junge wusste es nicht, weil es zwölf Jahre zurücklag und niemand in Schöttau darüber jemals wieder ein Wort verlor: „Weil du das Gesäuse erwähnt hast, könnten wir doch aufs Hochtor gehen. Du gehst ja schließlich jedes Jahr zweimal dort hinauf, ich würde gerne einmal dabei sein.“

       Ja, der Johann ging seit dem Jahr 1887 zweimal jährlich aufs Hochtor und war auch schon davor öfters am höchsten Berg der Ennstaler Alpen.

       Aber warum bestieg er diesen Gipfel jedes Jahr zweimal?

       Das wusste der Georg eben leider nicht.

      Am 8. Juni 1887 wollten der Johann mit seinem beiden jüngeren Brüdern, dem Felix und dem Helmut, aufs Hochtor. Seine jüngeren Geschwister waren zwar auch gerne in den Bergen unterwegs, beide waren aber keine so guten Alpinisten wie ihr ältester Bruder. Immer wieder erzählte der Johann vom Gesäuse, vom Haindlkar, vom Johnsbachtal und vor allem vom Hochtor. Sie wollten dort auch hinauf und der Johann nahm sie eines Tages mit.

       Der Felix und der Helmut gingen am Seil, der Johann allein. Er stieg voraus, sprang voller Freude wie eine Gams die imposanten Wände empor, weiste den Weg und seine Brüder stiegen ihm freudig und in flottem Tempo nach. Es war wohl ihr schönstes Erlebnis am Berg. Alles war perfekt, das Wetter, der Stein, die Aussicht und das Gefühl, das in einem hochkommt, wenn ein langersehnter Traum endlich wahr wird.

       Zwei entsetzliche, schon fast aus dem Jenseits hallende Schreie waren es, die der Johann nie mehr wieder vergessen konnte. Der jüngste Bruder, der Felix, stürzte ab und riss den mittleren Bruder, den Helmut, mit in den Tod. Johann schloss in jenem Moment seine Augen und wusste sofort, was unter ihm passiert war, dass es keine Chance mehr gab, dass seine Brüder nicht mehr waren. Fassungslos und geistleer starrte er für eine halbe Ewigkeit in die Tiefe. Er konnte spüren, wie der Berg immer kälter und der Himmel immer dunkler wurden. Unter ihm gab es kein Leben mehr, nur noch ein abscheuliches Felsengrab und einen noch viel abscheulicheren Abgrund. Die Zeit stand irgendwie still, wieder steckte in dem sanften Lüftchen, das ihm ins Gesicht blies, der Hauch des Todes. Wieder hatte er zwei Bergkameraden verloren, aber dieses Mal waren es seine beiden geliebten Brüder.

       Es dauerte einige Zeit, bis er wieder bei Sinnen war. Als sich sein Geist aufgerappelt hatte, kletterte er zu den beiden Leichen hinab, barg und beerdigte sie in Schöttau.

       Seitdem ging der Johann jedes Jahr zweimal auf den 2369 Meter hohen Berg, einmal für Felix und einmal für Helmut.

       Aber es war nicht wie beim benachbarten Admonter Reichenstein, dass der Johann Angst vor diesem bleichen Felskoloss bekam. Das Hochtor schenkte ihm jedes Mal Kraft und eine unbeschreiblich tiefe Verbundenheit zu seinen Brüdern. Und er wusste auch, dass es nicht seine Schuld war. Es war ein Felsgriff, der sich lockerte und den Felix und den Helmut in die Tiefe stürzte, es war Schicksal. Auch macht er sich nie Vorwürfe, dass er nicht mit ihnen am Seil ging. So waren sie schneller und der Johann konnte in Ruhe den besten Weg für sie suchen. Unfälle passieren, es war keine Hybris, die ihnen das Leben kostete, sie wussten genau, was sie taten. Wäre der Johann nicht zu hundert Prozent überzeugt gewesen, dass seine Brüder es schaffen würden, hätte er sie nie mitgenommen.

       Das war auch das letzte Mal, dass der Johann jemanden auf eine seiner großen Touren mitgenommen hatte, von da an ging er immer nur noch allein.

      Anscheinend war er aber nun wieder